Bischof Duka zu Kirche und Gesellschaft in Tschechien
Dokumentation (Teil 3)
Noch vor dem Besuch von Papst Johannes Paul II. im April 1990 versammelten sich die Bischöfe aus Böhmen, Mähren und der Slowakei und errichteten eine Bischofskonferenz. Für die Kirche bedeutete diese Periode einen Zeitraum der Euphorie und fieberhaften Tätigkeit. Jeder Traum schien möglich. Trotzdem kam es bereits zu dieser Zeit zu einer Entfremdung zwischen der Kirche und der Gesellschaft. Die Kirche selbst war logischerweise nach innen hin orientiert und verwendete einen großen Teil ihrer Energie für die Wiederherstellung kirchlicher Strukturen, die Renovierung verfallener Gebäude und Kirchen. Auch die Anpassung an neue ökonomische und gesellschaftliche Bedingungen hat viel Mühe gekostet. Das Interesse für geistliche Belange und die Kirche war so groß, daß kein neues Seelsorgeprogramm notwendig war
Durch die Teilung des Staates kam es zu einer gewissen Enttäuschung, und die Kirche erlebt in vollem Maße die Spaltung in der Laiengesellschaft. Es traten zahlreiche Probleme hervor, auf die die Priester sowie die Gläubigen nicht genügend vorbereitet waren. Die erste Enttäuschung war die Abnahme der Schüler in den kirchlichen Schulen, und wir müssen leider gestehen, daß der Grund dafür nicht im Desinteresse, sondern in den mangelhaften Fähigkeiten der Pädagogen lag, die den Unterricht erteilten. Diese hatten eine unzulängliche Ausbildung, es mangelte an Lehrmitteln, zudem wurde die Lehrpläne nicht verbessert. Die kurze Existenz der neugegründeten theologischen Fakultäten hat die entsprechenden Seelsorgeprogramme in den Pfarreien nicht ermöglicht, und deshalb begegnen wir in den meisten Pfarreien einer Stagnation des religiösen Lebens. Aus der gesellschaftlichen und politischen Sicht trat die Frage des politischen Engagements in den Vordergrund. Die Kirche hat als Institution zahlreiche herausragende und angesehene Laienmitarbeiter verloren, die in den Staatsdienst, in politische und gesellschaftliche Institutionen gegangen sind. Die Tatsache, daß die Gläubigen nicht an eine politische Partei oder eine gesellschaftliche Vereinigung gebunden sind, verursachte die Spaltung der Kirchengemeinden, in denen es zu einer beträchtlichen Polarisierung kam. Diese gesellschaftlich-politische Polarisierung betraf nicht nur die Gläubigen, sondern auch den Klerus und die Vertreter der Hierarchie. Die Aufnahme neuer Weltimpulse bedeutete für manche eine Konfronta-tion mit dem polarisierten religiösen und kirchlichen Leben in den Ländern Westeuropas und den USA. Zahlreiche westliche Bewegungen unterstützten zusammen mit den Emigranten bestimmte Bewegungen und Strömungen, die in unserer Kirche eine ähnliche Polarisierung hervorriefen, die wir aus den 70er Jahren in der freien Welt kennen. Demzufolge spricht man auch in unserer Kirche von den Progressiven und Konservativen. Zudem wurde diese Spannung noch durch das Problem der Untergrundkirche verstärkt, die sich um den verstorbenen Bischof Davidek gruppiert hatte
Die vielfältigen Spannungen rufen bei zahlreichen Gläubigen Abwehrreaktionen hervor, die die Kirche anscheinend noch mehr von der Gesellschaft trennen sollen und die durch die Stellungnahmen eines Teiles der Laienöffentlichkeit und der Massenmedien bestätigt werden, die die Befürchtungen der postkommunistischen Schichten zum Ausdruck bringen. Ein Teil der Laienöffentlichkeit sieht in der Kirche einen Verbündeten der Regierung nach 1989 und macht sie für alle Mißerfolge verantwortlich, die die Bürger in unserem Land sehen. Die ehemalige regierende Partei sowie die ehemaligen privilegierten Schichten können ihre Stellung nicht vergessen. Ihr Groll spiegelt sich, durch die Massenmedien vermittelt, auch in der Kritik und Diffamierung der Kirche wider
Die Änderung in der Regierungskoalition bedeutet auch einen Umbruch im religiösen und gesellschaftlichen Leben der Tschechischen Republik. Der Aufstieg der Linksparteien war mit einer gewissen Enttäuschung sowie der Unzufriedenheit eines großen Teiles der Bevölkerung mit der mangelhaften Bereitwilligkeit zur Lösung wirtschaftlicher und rechtlicher Probleme verbunden. Insbesondere das Gefühl der Bedrohung sowie das Bewußtsein, daß die Staatsgewalt nicht imstande ist, die Bürger vor Kriminellen und der Korruption zu schützen, hat den Wahlsieg der Linksparteien herbeigeführt. Die Kirche muß in dieser Situation deutlicher erkennen, was das Leben in einer demokratischen Gesellschaft für sie bedeutet. Sie ist kein Günstling der jetzigen Regierung - trotzdem ist sie auch für diese Regierung ein Partner, und die Befürchtung einer antikirchlichen Politik hat sich nicht bewahrheitet. Es ist an der Zeit, daß die Kirche nach einem spontanen Aufstieg, der in seiner letzten Phase mit der Polarisierung ihres inneren Lebens verbunden war, ihre Prioritäten festlegt, übermäßig ehrgeizige Pläne revidiert und erneut den Dialog mit der Gesellschaft aufninmmt, die, obwohl säkularisiert, der Kirche nicht feindlich gegenübersteht. Dies ist ein Grund zur Vorbereitung der Synode der katholischen Kirchen in der Tschechischen Republik. Bereits in den ersten Monaten dieses Jahres können wir eine gewisse Konzentration der Kirche auf Probleme verzeichnen, die die ganze Gesellschaft bewegen
Bei den Hochwasserkatastrophen der letzten Jahre wurde die Kirche in der Öffentlichkeit durch die Caritas rehabilitiert, die den Betroffenen mit materiellen und finanziellen Mitteln tatkräftig half. Dank ausländischer Hilfe entstand in den Pfarreien, Regionen und Diözesen ein Netz von Zweigstellen. Dieser Dienst der Kirche verhalf uns zu einer Neuentdeckung dieses Wirkungsbereiches, der selbst von den Geistlichen nicht genug geschätzt wurde, weil die kommunistische Ideologie behauptet hatte, soziale Arbeit sei Sache des Staates
Fortsetzung folgt.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 13.12.1998