Weihnachten in Rußland
Auslandsgrüße
Die Redaktion hat zum Weihnachtsfest Grüße von Pfarrer Hartmut Kania (Bistum Görlitz, jetzt in St. Petersburg) und Pfarrer Peter Danisch (Bistum Magdeburg, jetzt in Tscheljabinsk am Ural) erhalten. Beide erzählen in den Briefen, wie sie Weihnachten feiern:
Pfarrer Kania schreibt aus St. Petersburg: Liebe Freunde in Deutschland! Unsere Weihnachtstage sind in Rußland normale Arbeitstage. Noch immer hat Neujahr einen größeren Stellenwert. Doch wir in der Petersburger Herz-Jesu-Kirche - junge Russen, Familien und Ältere, viele junge Afrikaner und deutsche Freiwillige - treffen uns Heiligabend zum Mitternachtsgottesdienst. Wie überall lesen wir die Frohe Botschaft und singen in unseren Liedern, die aus verschiedenen Sprachen ins Russische übertragen wurden, unsere Freude darüber
Nach dem Gottesdienst bleiben wir beisammen, da keine öffentlichen Verkehrsmittel mehr fahren. Dann werden die Tische in der unteren Etage unserer Kirche gedeckt. In dieser Nacht wird mit den Ausgaben für das Essen nicht gespart: Butterbrote, Gemüse- und Kartoffelsalate, geräucherter Fisch und Wurst, Käse, Hefekuchen, Kekse, Bananen, Äpfel, Konfekt und Eis. Und Tee, wenn die Müdigkeit anfängt. Aber auch kleine Geschenke, vorbereitet aus den deutschen Paketsendungen in unserem Caritaslager, gehören dazu. Für viele werden dies die einzigen sein, die sie zu Weihnachten bekommen
Geschlafen wird in dieser Nacht nicht. Denn zwischendurch wird viel erzählt, gesungen und getanzt. Gegen sechs Uhr verabschieden sich die ersten, da die Metro wieder zu fahren beginnt. Doch viele bleiben noch und fahren von der Kirche aus gleich zum Dienst
So ist das Weihnachtsfest auch bei uns ein besonderer Tag, der sich von allen anderen Tagen unterscheidet. O du Fröhliche, o du Selige - das können wir zwar nicht singen, aber diese Spur von Freude ist auch bei uns gegenwärtig. Und die wünsche ich auch allen Lesern: Frohe Weihnachten!
Pfarrer Danisch aus Tscheljabinsk schreibt:
Liebe Leser! Aus dem Südural übermittle ich Ihnen gute Wünsche für ein Weihnachtsfest, reich an Freude, Hoffnung und Gottes Segen, auch im Namen von Pfarrer Wilhelm Palesch und Pfarrer Lucian Gehrmann (beide Bistum Erfurt), Pfarrer Reinhard Franitza (Bistum Hildesheim), unseren vier Agnes-Schwestern aus den USA sowie der Gemeinde
Schon seit Wochen sind auch alle sonst so schmutzigen Ecken der Millionenstadt und die Felder und Wälder in freundliches Weiß gehüllt, die zahlreichen Seen mit einer dicken Eisdecke bedeckt. Man braucht sich hier keine Gedanken darüber zu machen, ob es weiße Weihnachten geben wird
Die Menschen haben andere Sorgen: Viele haben seit Monaten kein Geld bekommen. Auch die Renten werden immer mehr mit Verzögerung gezahlt. Die Preise sind auf das Doppelte und Dreifache gestiegen, aber die Löhne und Renten nicht erhöht. Das Geld reicht oft nicht für die notwendigen Lebensmittel. Wir wundern uns, wie die Menschen leben. Auf Fragen hört man nur: "Ja, es ist sehr schwer". Irgendwie finden sie immer noch etwas. Allerdings gibt es immer mehr Menschen, die nicht wissen, wie sie die notwendigsten Ausgaben bestreiten können. In vielen Wohnungen wird in diesem Jahr keine Jolka zu Weihnachten oder Neujahr stehen, die Geschenke äußerst bescheiden ausfallen, wenn es überhaupt welche gibt
Für nichtorthodoxe Christen, die Weihnachten am 25. Dezember feiern, ist das Fest meistens ein Arbeits- und Schultag. Ob es mehr oder weniger festlich begangen wird, hängt von den Umständen ab. Wir werden in unserer neuen Kapelle am Heiligabend um 17 Uhr eine Kinderkrippenfeier halten, um 20 Uhr die Christmette. Am 25. wird morgens eine heilige Messe in deutscher Sprache sein, überwiegend für die älteren Gemeindemitglieder, um 18 Uhr die Festmesse in russischer Sprache
Vom 24. bis 27. Dezember wird immer einer von uns mit Helfern in Städten und Dörfern der Umgebung bis 180 Kilometer Entfernung unterwegs sein, um mit den dortigen Gemeinden Weihnachten zu feiern. In der kleinsten Gemeinde sind manchmal nur sieben alte Frauen versammelt - viele Familien sind aus diesem früher ganz deutschen Dorf nach Deutschland gegangen -, in der größten bis 100. Einen Christbaum oder eine Krippe haben wir nicht an allen Orten. Aber dennoch ist es überall schön, weil sich gläubige Menschen dort finden und oft die Gegenwart Gottes zu spüren ist
Eine kleine Caritasgruppe bereitet mit viel Liebe Geschenke und einen weihnachtlichen Nachmittag für Kinder aus bedürftigen Familien des Stadtbezirkes vor, und das, obwohl sie eigentlich mit sich selbst genug Probleme haben
In wenigen Familien sind noch Traditionen der Rußlanddeutschen lebendig. Das Christkindel erscheint, in seiner Begleitung der "Pelznickel", vergleichbar dem Knecht Ruprecht. Nachdem die Kinder in lustigen Kostümen gefragt wurden, wie sie sich im vergangenen Jahr verhalten haben, bekommen sie Geschenke. Gedichte werden aufgesagt und Weihnachtslieder gesungen (sehr beliebt ist "O Tannenbaum"), dann setzt man sich an die Festtafel. Zum Schluß beglückwünscht man sich mit dem Spruch: "Ich wünsche Euch / Dir glückseliges Weihnachten, langes Leben, Gesundheit, Frieden und Einigkeit."
Mehr und mehr stoßen zur Gemeinde Menschen, die keine Tradition mitbringen. So sagt Sweta Jefanowa, eine junge Frau, die mit Mann und Sohn vor drei Jahren gläubig wurde und sich sehr in der Gemeinde engagiert: "Für uns ist Weihnachten ein kirchliches Fest, wir feiern es in der Kirche. Bei uns zu Hause wird nichts vorbereitet. Wir möchten gern lernen, wie man dieses Fest feiert."
Die in Europa herrschende vorweihnachtliche Hektik fehlt hier, auch das Übermaß an Geschenken. Einige Luxusgeschäfte im Stadtzentrum, die sogar dekorierte Schaufenster haben, wünschen den Vorübergehenden auch "S roshdestwom", etwa "Frohe Weihnachten", aber an das eigentliche Weihnachtsgeschehen erinnert in der Öffentlichkeit sonst nichts. Aus der kommunistischen Zeit sind "Ded Moros", Väterchen Frost, und Märchenfiguren geblieben
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.12.1998