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Bistum Dresden-Meißen

Vor 50 Jahren das erste Weihnachten in der Fremde

Ungarndeutsche

Dresden - Das Weihnachtsfest 1948 war für sie ein bitteres Fest. Zum ersten Mal mußten sie die Geburt Christi in der Fremde feiern, fern von ihren vertrauten Kirchen und ohne ihre Nachbarn und Freunde. Sie hatten fast alles verloren und schauten in eine ungewisse Zukunft: Die etwa 35 000 Ungarndeutschen, die zwischen Januar und Juni 1948 in die Sowjetische Besatzungszone (SBZ) gekommen waren. Die ungarische Regierung hatte sie wegen angeblicher Mitschuld am Krieg zwangsweise ausgesiedelt: Menschen, die meist einfache Bauern oder Handwerker waren und fernab der großen Politik standen. Trost fanden die Vertriebenen bei Landsleuten, die schon länger in der Fremde leben mußten - waren doch bereits im Sommer 1947 15 000 Ungarndeutsche in die SBZ ausgewiesen worden

Bei einer Volkszählung im Jahr 1941 hatten auf dem Gebiet des heutigen Ungarn 490 000 Personen als Muttersprache "Deutsch" angegeben. Dies allein genügte, um nach Kriegsende auf eine Ausgliederungsliste gesetzt zu werden. Von Januar 1946 an rollten Transporte mit Ungarndeutschen in die amerikanische Besatzungszone Deutschlands. 150 000 Vertriebene trafen hier bis Jahresende ein; dann weigerten sich die Amerikaner, weitere Transporte aufzunehmen. Doch Ungarn wollte die Aussiedlung fortsetzen und verhandelte mit der Sowjetunion. Aufnahmegebiet wurde nun das Land Sachsen

Am 22. August 1947 traf der erste Transport in der SBZ ein: 1431 Männer, Frauen und Kinder kamen mit einem Güterzug in Pirna an. Diesem Transport folgten neun weitere. Bis zum 18. September 1947 trafen über 14 700 Ungarndeutsche in Sachsen ein. Mitte September 1947 stellte Ungarn die Aussiedlung der Deutschen für ein Vierteljahr ein, um sie dann ab Januar 1948 noch intensiver fortzusetzen. In der Zeit vom 11. Januar bis zum 13. Juni 1948 erreichten 23 Vertriebenentransporte Pirna. Zwei Züge mit fast 3000 Personen setzten die Fahrt in Richtung Sachsen-Anhalt fort. Die übrigen 31 603 Ausgesiedelten kamen in Pirnaer Lager

Als am 13. Juni 1948 der Transport Nr. 4823 auf dem Bahnhof Pirna eintraf, war der Endpunkt der ungarischen Vertreibungsaktion erreicht. Innerhalb von zehn Monaten hatte man 49 306 Deutsche aus dem Donaubecken in den sowjetisch besetzten Teil Deutschlands abgeschoben, 46 324 nach Sachsen. Dazu kamen später, Anfang der 50er Jahre, noch sogenannte "Repatrianten" aus Ungarn - vorwiegend "elterngelöste" Kinder und Kriegsgefangene

Alle neuangekommenen Vertriebenen mußten im Aufnahmelager eine vier- bis vierzehntägige Quarantänezeit verbringen. Während dieser Zeit wurden die Männer auf Bergbautauglichkeit untersucht. Das Ergebnis war ausschlaggebend für den künftigen Wohnort. Ein beträchtlicher Teil der Ungarndeutschen wurde in den Uranbergbaugebieten im Vogtland und Erzgebirge angesiedelt. Die anderen fanden Aufnahme in den Kreisen Meißen und Pirna sowie in der Oberlausitz und im Umland von Leipzig

In den schweren Nachkriegsjahren leistete das Bistum Meißen den aus Ungarn Ausgewiesenen Hilfe beim Einleben in der neuen Umgebung. Die ungarndeutschen Katholiken waren die einzige Vertriebenengruppe, für die Bischof Petrus Legge (1882 - 1951) spezielle pastorale Regelungen erließ. Mit Wirkung vom 1. September 1948 beauftragte er Vikar Peter Ruppert (1917 - 1992) - einen Priester aus der Diözese Fünfkirchen (Pécs) - "sich der in das hiesige Bistum umgesiedelten Volksdeutschen aus Ungarn seelsorglich anzunehmen". Im Mai 1950 erließ das Ordinariat in Bautzen eine "Kollektenregelung" für die Gottesdienste der Ungarndeutschen, aber schon sieben Monate später endete das kurze Kapitel der Vertriebenenseelsorge. Vikar Ruppert wurde ab dem 16. Januar 1951 "studienhalber" beurlaubt und ging nach Westdeutschland. Hintergrund der Beurlaubung war, daß der Priester vor Repressionen geschützt werden sollte

Sich in landsmannschaftlichen Verbänden zu organisieren, wurde den Ungarndeutschen - wie allen Vertriebenen - von den DDR-Behörden strikt verboten. Staatliche Zielvorgabe war "die Assimilierung der Umsiedler in ihrer neuen Heimat und ihr Verwachsen mit der alteingesessenen Bevölkerung" - so das SED-Politbüromitglied Paul Merker. Doch die wirtschaftliche Stagnation und die ideologische Bevormundung veranlaßten viele zur Flucht in den Westen. Heute leben in Sachsen noch etwa 10 000 Ungarndeutsche. Ein Teil von ihnen hat sich in den letzten Jahren organisiert: in drei Regionalverbänden, die 1990/91 gegründet wurden und die im Rahmen des Bundes der Vertriebenen (BdV) tätig sind. Nach ihrem Selbstverständnis wollen diese Verbände keinerlei Ressentiments schüren, sondern als Brückenbauer zwischen Sachsen und Ungarn wirken. Peter Bien

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 52 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.12.1998

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