Gott mit uns auf Augenhöhe
Weihnachtsbotschaft des Bischofs
Erfahrungsgemäß ist die Freude dort am größten, wo etwas Gutes sich überraschend einstellt. "Damit habe ich nicht gerechnet!" Mit diesem Ausruf ist zum Ausdruck gebracht, daß "Berechenbares" wenn es dann erwartungsgemäß eintritt, zwar auch Genugtuung auslöst. Aber das ist nicht vergleichbar mit jener Freude, die sich beim "Glücksfall" einstellt, dann, wenn etwas Unwahrscheinliches Wirklichkeit wird. Ich erinnere an die Freude der Hausfrauen in der alten DDR-Zeit, wenn sie vor den weihnachtlichen Festtagen Apfelsinen, Bananen oder andere "Mangelware" per Zufall erstehen konnten. Diese Art von Freude hat uns die Marktwirtschaft, in der eben alles überall und andauernd erhältlich ist, genommen!
Die Weihnachtsbotschaft: Gott wurde "arm", damit wir "reich" werden können, ist keine "berechenbare" Nachricht. Je länger ich als Seelsorger über dieses Festgeheimnis zu predigen habe, desto schwerer fällt es mir, das "Unwahrscheinliche" dieser Aussage unseres Glaubens in Worte zu fassen. Gottes Zuwendung zu dieser Welt in der Menschwerdung Jesu, zudem in dieser Art eines Menschenlebens, eingezwängt zwischen Stall und Kreuz, ist alles andere als "normal", "berechenbar", "selbstverständlich". Angesichts dieser Nachricht kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, als sei nichts wesentliches passiert
Die christliche Frömmigkeitsgeschichte hat deswegen auch auf einzig richtige Weise auf dieses Glaubengeheimnis reagiert: Mit immer neuen Ausdrucksformen einer tiefen Freude! Auf die Überraschung, daß da ein Mensch mich gerne hat, mich gar liebt und in Treue zu mir stehen will, wird auch nicht auf rechte Weise geantwortet mit "Problematisieren" und dauerndem Hinterfragen. Da gibt es nur eine Antwort: die Antwort des Herzens! Selbst in dem säkularisierten Weihnachtsrummel unserer geschäftigen Welt erkenne ich noch Spurenelemente jener Antwort wieder, die der christliche Glaube auf Gottes menschenfreundliche Liebe gibt: eine von Herzen kommende Freude, geboren aus dem Stauen über das Geschehen von Betlehem
Kürzlich sah ich, wie sich ein Erwachsener, als er sich mit einem Kind unterhalten wollte, niederhockte und gleichsam "auf Augenhöhe" mit dem Kind sprach. In ihm war wohl das Gespür da, mit einem Kind nicht "von oben herab" richtig reden zu können. So macht es Gott, der Herr aller Wirklichkeit und allen Seins, mit uns. Er "kniet" sich nieder, macht sich klein, um uns "auf Augenhöhe" zu begegnen
Das Weihnachtsfest ist Anlaß, wieder mit neuen Augen auf Jesus, das menschgewordenen "Wort Gottes", zu schauen und sich von ihm anschauen zu lassen. Aber im Schauen auf Jesus und im Sich-Anschauen-Lassen dürfen wir nicht vergessen, wem wir da eigentlich begegnen. An der Intensität unserer Freude werden wir ermessen können, ob wir das begriffen haben
Bischof Joachim Wanke
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.12.1998