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Bistum Görlitz

Gebürtiger Görlitzer setzt Kontrapunkt

Heimatlied

Görlitz / Waldetzenberg - "Lieder, die Heimat zum Thema haben, so mit der Rückerinnerung ,Wie war es doch damals schön', davon gibt es ja wahnsinnig viele." Dies ist die Meinung des 1932 in Görlitz geborenen Musiklehrers und Komponisten Georg Friemel. Deswegen jedoch einen "Kontrapunkt" zu setzen, hatte er ursprünglich nie beabsichtigt. Mit der Entstehung seines eigenen Heimatliedes verhielt es sich ganz anders:

1997 hatte der in Waldetzenberg (Landkreis Regensburg) lebende Musikpädagoge und Komponist Georg Friemel bei einem Klassentreffen seinen früheren Schulkameraden, den heutigen Weihbischof von Limburg und deutschen Vertriebenenbischof, Gerhard Pieschl, wiedergetroffen

Gemeinsam waren sie in den 50er Jahren in Königstein am Taunus zur Schule gegangen. Auf Wunsch Pieschls hat Friemel, von 1960 bis 1994 bei den Regensburger Domspatzen als Musiklehrer tätig, ein Lied über den heiligen Georg, seinen eigenen Namenspatron und den Patron des Bistums Limburg, getextet und komponiert

Nach der erfolgreichen Uraufführung des Georgsliedes trat Pieschl erneut mit einem Auftrag an den früheren Klassenkameraden heran: "Zum Thema Heimat würde ich auch was brauchen." Friemel erfüllte den Wunsch seines Freundes. Er schrieb den Text selbst und schuf dazu eine leicht tänzerische Melodie in D-Dur und im Dreivierteltakt. Das Lied kann einstimmig wie auch im Kanon, mit Klavierbegleitung oder nur mit Gitarre, zwei Querflöten und Schellentrommel gesungen werden

"Immer wieder geht Heimat verloren, mit leeren Händen stehn Menschen da. Doch für die Zukunft sind wir geboren, Heimat wächst neu, wo Menschen sich nah." Bereits in der ersten Strophe wird deutlich, daß es Friemel, der selbst nach dem Zweiten Weltkrieg aus seiner Heimat Schlesien vertrieben wurde, um mehr geht als um den verklärten Blick zurück in die Heimat der Kindheit. "Es ist ein etwas kritischer Text", erläutert Friemel. "Es war meine Absicht, daß man den Begriff ,Heimat' nicht einfach so stehen läßt, sondern daß auch der christliche Aspekt, der Blick in die Zukunft hineinkommt. Der Begriff ,Heimat' muß heute doch ein bißchen anders gesehen werden: durch die unendlich vielen Heimatlosen, die bei uns leben, schwarz oder weiß, aus welchen Völkern auch immer sie kommen und vertrieben sind."

"Heimat ist, wo Menschen sich einen, Friede entsteht, wo Menschen verzeihn, Hände sich reichen, Zukunft im Blick, Wege nach vorn gehn und nicht zurück." Beim Rezitieren der zweiten Strophe seines Liedes erinnert Friemel an zwei Familien aus Bosnien, die für ein paar Jahre eine vorübergehende Heimat in seiner Pfarrgemeinde fanden und von den einheimischen Mitmenschen sehr gut aufgenommen und betreut wurden. "Diese Familien haben hier so etwas wie ein Stückchen Heimat gefunden. Sie waren hier sehr gut integriert." Zum Abschied dieser beiden Familien schuf Friemel ein eigenes Lied: "Für unsere bosnischen Freunde Kresimir und Fanika". Darin heißt es unter anderem: "Ein Auge lacht, das andere weint. Ihr kehret heim, was Ihr lang erträumt. Ihr kehret heim, wir wünschen Euch Glück auf Eurem Weg in die Heimat zurück! Fasset Mut, Ihr seid nicht allein! Friede ist dort, wo Menschen verzeihn." Auch hier ist Heimat, wie im Lied für Weihbischof Pieschl, ein zentrales Thema

"Heimat ist wie blühende Blumen: Sie blühn heut hier und blühn morgen da. Heimat vergeht, wo Menschen vertrieben, Heimat entsteht, wo Menschen sich nah." Die selbst heute noch in weiten Teilen der Welt gängigen Vertreibungen spricht Friemel in der dritten Strophe seines Liedes an. "Das Lied besitzt eine traurige Aktualität. Immer weniger Menschen sind heute bereit, flüchtende Mitmenschen aufzunehmen." Mit musikalischen Mitteln will er die Menschen aufrütteln und im Text auch auf den christlichen Gedanken der Nächstenliebe aufmerksam machen

"Heimat wächst, wo Menschen sich neigen zum Heimatlosen, schwarz oder weiß. Heimat ist überall, Heimat ist nirgends; wenn wir am Ziel sind, Heimat ist da." Das Lied ist zwar kein ausgesprochenes Kirchenlied, beinhaltet aber durchaus christliche Aussagen. Es kann in Gottesdiensten und Andachten zum Thema "Heimat" verwendet werden. Sing- und aufführbar ist es aber natürlich besonders bei Treffen von Heimatvertriebenen

Im Gegensatz zu vielen anderen seiner Werke, die im Musikverlag Anton Böhm (Augsburg) veröffentlicht sind, liegt das Lied "Heimat" bisher nur als Manuskript vor. Veröffentlicht ist dagegen zum Beispiel eine Bearbeitung des mährischen Liedes "Blüh nur, blüh, mein Sommerkorn" für vier gleiche Stimmen oder eine Vertonung des Liedes aus dem Elsaß "Es kommt ein Schiff geladen" für dreistimmigen gemischten Chor. Großen Wert legt Friemel auf die Auswahl der Texte, die er in Musik umzusetzen gedenkt. Sie sollten Aussagekraft besitzen, wie beispielsweise Antoine de Saint-Exupérys "Warum zwingst du mich, Herr, zu dieser Durchquerung der Wüste". Diesen Text hat Friemel bereits 1994 in eine vierstimmige Motette umgesetzt, die vor allem in der Passionszeit zur Aufführung gelangen kann. Aber auch humorvolle Textvorlagen setzt Friemel um wie zum Beispiel Joachim Ringelnatz' "Im Park" (Ein ganz kleines Reh stand am ganz kleinen Baum) für vier- bis fünfstimmigen Chor à capella

"Die junge Generation sieht die Heimat etwas anders als die Heimatvertriebenen des letzten Krieges", meint der Pädagoge, der 34 Jahre lang bei den berühmten Regensburger Dom-spatzen unterrichtet hat. So betrachtet er sein Heimatlied auch als eine "Aktualisierung des Heimatthemas"

Der jungen Generation ist er in seinen Kompositionen sehr verbunden. Auf der Basis der berühmten Rede des Häuptlings Seattle vor dem Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika im Jahre 1855 hat er für vier- bis fünfstimmigen Chor eine "Indianische Kantate" geschaffen, in der Sprech- und Singteile sowie im lateinamerikanischen Schlagwerk dominieren. Die in Chören, ob nun in Kinder-, Jugend- oder Erwachsenenchören, gesungene Literatur hält er für den wichtigsten Faktor, wenn man an die Perspektiven der Chöre und des Chorwesens insgesamt denkt

"Wir können uns heute mit den Texten der traditionellen Kirchenlieder nicht mehr so identifizieren. Es sind im Grunde genommen Texte, die unsere Zeit nicht mehr versteht." Aus diesem Grund schreibt Friemel oft selbst die Texte zu seinen Liedern und setzt sie so um, daß sie auch und vor allem von Durchschnittschören gesungen werden können

Viele Lieder und Chorsätze hat Georg Friemel, ein christlich geprägter und zukunftsorientierter Komponist bis heute geschrieben. Immer der Maxime seines Heimatliedes verbunden: "Für die Zukunft sind wir geboren, Heimat wächst neu, wo Menschen sich nah."

Markus Bauer

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 52 des 48. Jahrgangs (im Jahr 1998).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.12.1998

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