Ist Religion Ursache des Unfriedens?
von Pater Damian
Viele Kriege, Massaker und Terroranschläge der Gegenwart und jüngsten Vergangenheit entstanden aus politischen und sozialen Anlässen, sind so unbeschreiblich fanatisch und gnadenlos, weil sie religiös fundiert sind. Wenn Gott selbst "mit uns" ist mit unserer Religion, Konfession, Partei, dann muss die Gegenseite des Teufels sein und daher ist ihr gegenüber alles erlaubt. Eine traurige Bilanz: Muslime gegen Christen und Christen gegen Muslime, Juden gegen Muslime und umgekehrt, Hindus gegen Buddhisten, Katholiken gegen Protestanten, Liberale gegen Fundamentalisten ...
Die Frage ist: Ist der religiöse Glaube an sich die eigentliche Ursache dieser Konflikte? Oder wird nicht die Religion als Vehikel der grausamen Auseinandersetzungen missbraucht? Der Inder Anthony de MeIlo gibt in einer Weisheitsgeschichte folgende Antwort: Jemand fragte den Meister, warum er der Religion gegenüber so argwöhnisch sei. "Ist denn die Religion nicht das Erhabenste, das die Menschen besitzen?" Die Antwort des Meisters war schleierhaft: "Das Beste und das Schlechteste -das ist es, was dir die Religion gibt." "Warum das Schlechteste?" "Weil die Leute meistens gerade genug Religion annehmen, um zu hassen, aber nicht genug, um zu lieben."
Tiefreligiöse Menschen sind nicht Fanatiker oder verhärtete ,,Fundamentalisten". Sie haben es nicht nötig, sich gegen andere Menschen für einen Gott zu ereifern, der doch gütig und barmherzig ist und die Menschen liebt. Sie wissen: Der Glaube an Gott ist nur echt, wenn er gleichzeitig menschenfreundlich ist. Ich vermute, Fanatiker und Fundamentalisten haben im Letzten einen schwachen Glauben und ein geringes Vertrauen in Gott. Sie setzen etwas absolut, was relativ ist. Sie wollen an etwas Vorletztem festhalten.
Der religiöse Glaube an sich ist nicht die Ursache des Unfriedens, sondern die verhärteten Herzen: "Ein Inder saß eines Tages am Ufer eines Gebirgsbaches im Himalaya. Er freute sich über das klare Wasser und zog schließlich einen Kieselstein aus dem Flussbett. Einen schönen, runden, harten Stein. Er zerschlug ihn und stellte fest, dass er innen ganz trocken war. Der Stein hatte Jahrhunderte, Jahrtausende im Wasser gelegen, doch es war nicht ins Innere vorgedrungen. Und er begann zu meditieren: Ist es nicht ebenso mit uns Menschen? Umflutet von den Segnungen der Religionen, doch wie hart sind die Menschen geblieben! Die Schuld liegt offenbar nicht an den Religionsstiftern oder ihren Lehren, sondern an denen, deren Herzen verhärtet sind! Als er dieses Gleichnis einem christlichen Missionar erzählte, wurde dieser traurig und einsilbig. Der Inder hatte den Finger auf die Wunde gelegt. Doch da umarmte er ihn und murmelte: ,Es geht uns allen so, allen Menschen aller Religionen! Wir gleichen den Kieselsteinen im Bergbach.'"
Pater Damian Meyer
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Freitag, 19.10.2001