Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Aus der Region

Justitia et Pax-Tagung zur DDR-Geschichte

Aufarbeitung

Berlin - Die Eindrücke gingen tief: Zu Beginn ihrer dreitägigen Tagung zum Umgang mit der DDR-Vergangenheit besuchten die rund zwei Dutzend Teilnehmer und Referenten zwei Orte, die mit dem Thema eng zusammenhängen: die ehemalige Zentrale des DDR-Staatssicherheitsdienstes (MfS) in der Berliner Normannenstraße und das Stasi-Untersuchungsgefängnis in Berlin-Hohenschönhausen. Auf Mielkes Schreibtisch liegt noch die Totenmaske Lenins, und der Besucher kann die Couch besichtigen, auf der der Minister sein Mittagsschläfchen machte. Nur wenige Auto-Minuten entfernt: die Folter- und Arrestzellen im von den Häftlingen "U-Boot" genannten Trakt des Stasi-Gefängnisses Hohenschönhausen. Ortstermine - Begegnung mit einer Wirkungsstätte der Täter und einer Leidensstätte der Opfer

Der Zeitpunkt für den von der Deutschen Kommission "Justitia et Pax" - getragen von der Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken - veranstalteten Workshop konnte kaum günstiger sein: Das Jahr, in dem sich zum zehnten Mal die Ereignisse der Wende jähren, hatte gerade mit Forderungen nach Amnestie und Schlußstrich unter die DDR-Vergangenheitsdebatte begonnen. Derartigen Forderungen erteilten die Teilnehmer eine Absage. Prälat Dieter Grande (Dresden), der die "Arbeitsgruppe Aufarbeitung" für die katholische Kirche im Osten Deutschlands geleitet hat, sprach sich für die Fortsetzung der bisherigen Aufarbeitung aus. Notwendig seien allerdings Korrekturen: Die Palette seiner Anregungen reichte von einer Differenzierung im Gebrauch des Begriffs für Inoffizielle Mitarbeiter (IM) bis zur Verankerung von Rechtsgrundsätzen in außergerichtlichen Überprüfungen auf Stasi-Mitarbeit (siehe auch Interview im Tag des Herrn vom 17. Januar). "Ziel der weiteren Aufarbeitung sollte nicht nur die weitere Wahrheitsfindung sein, sondern diese sollte der Versöhnung der Gesellschaft dienen", betonte Grande

Die Frage der Versöhnung war eine Schlüsselfrage des Workshops und hier schieden sich auch die Meinungen. Wenn an den Begriff Aufarbeitung immer gleich die Versöhnung angehängt werde, habe er Unbehagen, unterstrich der Mediziner Julius Schoenemann (Köln). Der Katholik Schoenemann, der als Arzt in Rostock tätig war und ab 1969 von der Stasi systematisch in seinem beruflichen Werdegang behindert wurde, hatte 1972 die DDR verlassen. Heute plädiert er dafür, die Versöhnung "getrost der nächsten Generation" zu überlassen, weil das die Generation der Betroffenen gar nicht leisten könne. Auch der an der Universität der Bundeswehr in Hamburg lehrende Theologe und Sozialethiker Thomas Hoppe warnte vor der Gefahr einer "vorschnellen Rede von Versöhnung, die letztlich einer Generalamnestie gleichkommt". Versöhnung dürfe kein letzter Maßstab sein; sie könne nur dort gelingen, wo zuvor Unrecht feststellbar und bereut worden sei. Prälat Grande unterstrich, daß Versöhnung nicht so sehr ein Ziel sondern ein Prozeß sei, "der aus tausend Schritten besteht. Wir können froh sein, wenn wir fünf oder sechs gehen.

Auch diese Schritte sind schwierig. Pfarrer Claus Herold (Halle) - viele Jahre als führendes Mitglied des "Aktionskreises Halle" (AKH) im Blick der Stasi: "Die jungen Leute haben kein Interesse. ,Das ist doch Schnee von gestern', sagen sie. Und bei denen, die uns bespitzelt haben, fehlt jede Anerkennung der Schuld: ,Der Mensch ist doch nicht als Märtyrer geboren', heißt ihr Argument." Gesprächsteilnehmer, die zu DDR-Zeiten Opfer der Stasi geworden sind, berichteten übereinstimmend, daß es - wenn sie überhaupt stattfanden - keine geglückten Gespräche mit Tätern gegeben habe. Angesichts dieser Erfahrungen sei es notwendig, wenigstens nach Wegen der Informationsweitergabe zu suchen. Nur so könne der Gefahr einer "Deformierung der Geschichte" begegnet werden, meinte Dr. Günter Fritzsch (Darmstadt), der aus politischen Gründen in der DDR zu sechs Jahren Haft verurteilt worden war

Die klare Konfrontation mit der Vergangenheit sei sowohl für Täter als auch für Opfer kaum erträglich, unterstrich der Theologe Hoppe auch mit Blick auf Erfahrungen in der Vergangenheits-Aufarbeitung in Lateinamerika, Südafrika und Osteuropa. Auf beiden Seiten gebe es Verdrängung. Um so notwendiger sei es, nach Formen des Erinnerns zu suchen, meinte Hoppe. Der Prozeß der sorgfältigen Aufklärung über die historische Wahrheit dürfe zeitlich nicht hinausgeschoben werden: "Nur die möglichst verzugslose Erforschung des Geschehenen und die sofortige Sicherstellung entsprechender Dokumente kann davor bewahren, daß sich von interessierter Seite mit einer selektiven Verwendung geschichtlicher Fakten Politik machen läßt." Aufklärung sei auch notwendig, wenn sie nicht unmittelbar in Strafverfolgung münde. Zwar erweise sich eine juristische Aufarbeitung häufig als Illusion, dennoch müßten Versuche der Wiedergutmachung, Entschädigung und Rehabilitation erfolgen, forderte Hoppe. Außerdem sei es nötig, "den Umfang der Hilfsangebote über das heutige Maß hinaus zu erweitern". Von Hoppe geforderte "geschützte Räume" dienten nicht in erster Linie dazu, Täter-Opfer-Gespräche zu ermöglichen. Sie sollten vielmehr ein Versuch sein, die Opfer aus ihrer Isolation zu befreien. Das aber könne ihnen helfen, mit der Zeit auch wieder auf die ehemaligen Täter zuzugehen

Ein geglücktes Täter-Opfer-Gespräch hat der Leiter einer Dresdner Beratungseinrichtung "bei Stasi-Konflikten", Norbert Peikert, noch nicht erlebt. Viel wäre gewonnen, wenn wenigstens Einzelne sich den Tätern öffnen könnten. Für die Täter - von denen nur wenige in seine Beratung kämen -, sei es sehr schwer, sich ihrer Schuld zu stellen. Zwar gestand Peikert zu, daß die Täter nach außen häufig arrogant und unverschämt aufträten, innen aber seien sie von großen Ängsten und Einsamkeit geprägt

Heftig umstritten war die Frage, welche Rolle die Kirche bei der Bereitstellung von Beratungs- und Hilfsangeboten für Opfer und Täter spielen könne. Wenn die Kirche hier nach außen gehen wolle, müsse sie erst selbst aufrichtig mit ihrer Vergangenheit umgehen, forderte der Historiker Bernd Schäfer, der als Mitarbeiter in der von Grande geleiteten Arbeitsgruppe tätig war. Hoppe, der ein solches Engagement der Kirche angeregt hatte, betonte, daß die Kirchen trotz aller Belastung am ehesten in der Lage seien, einen solchen Dienst anzubieten. Und der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Hellmut Puschmann, meinte, die Kirche könne zwar Rahmenbedingungen schaffen. "Ob das Vertrauen da ist, wird sich zeigen"

Matthias Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.01.1999

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps