Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Service

Zum Verhältnis von Staat und Kirche in der DDR

Buchtip

Tatort Berlin, Französische Straße, Anfang der achtziger Jahre: Dem Ostberliner Büro des Berliner Ordinariates benachbart ist ein Bankgebäude, in dem die Staatssicherheit vermutlich Richtmikrophone aufstellt, um die Konferenzen der Berliner Bischofskonferenz und die internen Gespräche ihres Vorsitzenden abzuhören. Ergebnis sind ausführliche geheimdienstliche "Informationen" für das Zentralkomitee und Politbüro der SED, die der Politologe am Dresdner Hannah-Arendt-Institut, Bernd Schäfer, in den Akten der "Gauck-Behörde" gefunden und ausgewertet hat

Nach dem Tod des Berliner Kardinals Bengsch (1979) hatte sich die kirchenpolitische Großwetterlage zu ändern begonnen. Die "Öffnung" der katholischen Kirche unter Bengschs Nachfolger Meisner (1979-1989) sahen die SED-Funktionäre und ihre Sicherheitspolizei als Bedrohung ihres Staates. Die Überwachung kirchlicher Aktivitäten und Großereignisse wie des Dresdener Katholikentreffens (1987) wurde intensiver, das Klima zwischen den "Gesprächspartnern" Staat und Kirche rauher. Doch anders als noch zu Zeiten von Bengschs Amtsvorgängern Weskamm (1951-1956) und Döpfner (1957-1961) verzichteten die sozialistischen Machthaber diesmal auf eine gewaltsame Unterdrückung der katholischen Kirche. Ihr mühsam gewonnenes internationales Ansehen wollte die DDR nicht um den Preis eines neuerlichen Kirchenkampfes verspielen - einer kirchenpolitischen Zwickmühle, die durch Gorbatschows Perestroika-Politik noch verschärft wurde. Mehr oder minder ohnmächtig sah man im Politbüro wie im Staatssekretariat für Kirchenfragen, ja selbst in der für kirchliche Angelegenheiten zuständigen Hauptabtei-lung XX des Mielke-Ministeriums zu, wie die katholische Kirche das unter Kardinal Bengsch (1961- 1979) errichtete und verfochtene Fundament "politischer Abstinenz" verließ; mit ihrer Beteiligung an der "Ökumenischen Versammlung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung" (1988-1989) bereitete sie den Boden für die Revolution im Herbst 1989 mit vor

Schäfers Buch über das Wechselverhältnis von Staat und katholischer Kirche in der DDR ist spannend. Es hält zahlreiche solcher Durchblicke durch die staatliche Kirchenpolitik bereit. Der Autor spannt dabei den weiten Bogen von 1945/49 bis 1989. Die zahllosen Akten des Staatssekretariates für Kirchenfragen und des Ministeriums für Staatssicherheit erlauben es, ein genaues Bild von den verschiedenen Phasen kirchenpolitischer Aktivitäten der Akteure um Ulbricht und Honecker und der kirchlichen Reaktion darauf zu entwerfen. Fraglich ist allerdings, ob sich das offensive Verhalten der Berliner Kardinäle von Preysing (bis 1951) und Döpfner (1957- 1961) gegenüber dem kirchenfeindlichen Ulbricht-Regime als "realitätsfern" und "westlich" bezeichnen läßt. Gelegentlich stockt dem Leser der Atem, ob der Aktenvermerke, die verhandelnde Staatssekretäre und überwachende MfS-Offiziere über ihre "Gespräche" mit den kirchlich beauftragten Prälaten anfertigten. Wie groß war die Nähe beziehungsweise Distanz der katholischen Kirche zum SED-Staat?

Für die Jahre vor wie nach dem Mauerbau gilt gleichwohl, daß der SED-Staat von seinem totalitären Weltanschauungsanspruch gegenüber den christlichen Kirchen letztlich nicht abgelassen hat. Daß dies deutlich bleibt, ist ein besonderes Verdienst dieses Buches. Es empfiehlt sich damit zur Lektüre auch und vor allem jenen, die zehn Jahre nach der errungenen Freiheit und Einheit Deutschlands leichtsinnigerweise einer generellen Amnestierung von SED-Unrecht das Wort reden oder gar eine Schließung der Stasi-Akten fordern!

Christoph Kösters,
Kommission für Zeitgeschichte, Bonn

Bernd Schäfer, Staat und katholische Kirche in der DDR, Böhlau Verlag Köln Weimar Wien 1998, 504 S., 24,5 x 17,5 cm, Pappeinband, ISBN 3-412-04598-5, 88 Mark

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 4 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 31.01.1999

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps