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Aus der Region

Beim Wiederaufbau wird um jeden Stein gekämpft

Frauenkirche

Die hohen Metallregale sind auf den ersten Blick das Außergewöhnliche: Hunderte von Metern erstrecken sie sich auf dem Dresdener Neumarkt vor der Baustelle der Frauenkirche. Auf Stellagen sind die noch vorhandenen Trümmer des Bauwerks numeriert und aufgereiht, das bis zu seiner Zerstörung im Februar 1945 als wichtigstes Gotteshaus des Protestantismus nördlich der Alpen galt. Nun ist es das bedeutendste Wiederaufbauprojekt in Deutschland

Mancher Dresdner mochte geglaubt haben, daß die barocke Kirchen-Kuppel, auch als "Steinerne Glocke" bezeichnet, den vernichtenden Luftangriff der Engländer und Amerikaner überstanden hatte. Die brennbare Innenausstattung war ihm schon zum Opfer gefallen. Doch der Feuersturm von mehreren 100 Grad, der "Elbflorenz" in Schutt und Asche legte, war auch an die Substanz des Bauwerkes gegangen. Zwei Tage nach Beginn der Bombardierung sank die Kirche zusammen

Der Dresdener Ratszimmermeister George Bähr errichtete die Frauenkirche von 1726 bis 1743. Weit darüber hinaus wurde sie als Meisterwerk bewundert, bei dem Bähr vor allem bei der Konstruktion der Kuppel an die damaligen architektonischen Grenzen ging. Mit Schloß und katholischer Hofkirche gehörte die Frauenkirche zum berühmten Panorama der Stadt

Wiederaufbaupläne entstanden schon wenige Jahre nach Kriegsende. Doch für die DDR-Führung hatte der Aufbau einer "sozialistischen Großstadt" Vorrang. Erst nach dem Fall der Mauer brachte eine Bürgerinitiative 1990 mit einem Aufruf die Rekonstruktion wieder auf die Tagesordnung. Eine Stiftung der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche und eine Gesellschaft wurden gegründet, um das Projekt zu verwirklichen. Der Wiederaufbau war nicht unumstritten, da manche die Ruine als Mahnmal gegen den Krieg erhalten wollten

Nach der Enttrümmerung begann 1995 der Wiederaufbau. Bis zum Jahr 2004 soll der Steinbau fertig sein, bis 2005 auch die Innenausstattung. Pünktlich zur 800-Jahr-Feier Dresdens im Jahr 2006 soll die Frauenkirche eingeweiht werden. Angst, daß die Prognose fehlschlägt, hat Baudirektor Eberhard Burger nicht: Jetzt bereits ist der Bau rund neun Monate schneller vorangeschritten als geplant

Der Computer macht es möglich: Seine Programme können die komplizierten Konstruktionen um ein Vielfaches schneller berechnen als ein Heer von Bauzeichnern, betont Burger. Auch können die Architekten auf exakte Unterlagen zurückgreifen. Mit ihrer Hilfe ist es möglich, die Position der meisten vorhandenen Originalsteine zu bestimmen. Rund 2000 wurden für die Außenfassade wieder verwendet, 4500 sollen es sein. Die neue Frauenkirche wird dann zu etwa 45 Prozent aus Originalmaterial bestehen. "Wir kämpfen um jeden dieser Steine", sagt Burger

Das Zusammenspiel von moderner Bautechnik und Treue zum ursprünglichen Plan macht das architektonische Konzept des Erbauers "erst heute umsetzbar", wie Burger betont. Eine gleichmäßigere Vermauerung und bessere Qualität der Steine als zu Zeiten Bährs soll die statischen Probleme verhindern, die Denkmalschützern bei der Frauenkirche früher immer stark zu schaffen machten

Das Projekt mobilisiert nicht nur die Kreativität der Rekonstrukteure: Mit einer für Deutschland bislang wohl einzigartigen Spendenaktion zugunsten eines Bauwerks soll die Hälfte der mindestens 250 Millionen Mark Baukosten aufgebracht werden. So wurden etwa durch Stifterbriefe und den Verkauf von Souvenirs mehr als 86 Millionen Mark eingenommen. Zudem leisten Künstler durch Benefizkonzerte und Handwerksbetriebe durch Sachleistungen einen Beitrag

Freunde der Frauenkirche sind auch im Ausland aktiv, besonders in den USA und Großbritannien. In London wurde bereits das neue Turmkreuz vorgestellt, das von einer britischen Privatstiftung finanziert wird. Nach Burgers Angaben sind rund 40 Millionen Mark noch nicht gedeckt, auch wenn die Spenden in dem Maße wie bisher eingehen

Offene Fragen gibt es auch bei der Innenrekonstruktion. Ungeklärt ist, ob das Gotteshaus einen Nachbau seiner berühmten Silbermann-Orgel oder eine moderne Hauptorgel erhalten soll. Nicht entschieden ist ebenso, wie der barocke Hauptaltar aussehen wird. Schon haben die Restaurateure 1400 Bruchstücke wieder zusammengefügt und hoffen, für die rund 2,50 Meter hohen Altarfiguren noch weitere 400 Teile wiederverwenden zu können. Dann stellt sich die Frage, wie stark die Figurengruppe mit Moses, Aaron, Paulus, Philippus und Jesus ergänzt werden soll. Bleibt sie ein Torso, der an die Zerstörung erinnert, oder soll sie wiederhergestellt werden?

Solche Fragen machen für Burger die Last, aber auch den Reiz seiner Arbeit aus. Vieles, was für moderne Bauten akribisch festgelegt ist, muß er mit Architekten und Handwerkern selbst entscheiden. "Eine Deutsche Industrie-Norm für Sandsteinbau gibt es nicht", sagt der Baudirektor. Hat er jemals am Sinn des Wiederaufbaus gezweifelt? Für Burger keine Frage: "Ruinen machen aggressiv", betont er, "geheilte Wunden fördern die Versöhnung.

kna

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 6 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.02.1999

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