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Aus der Region

Eindrücke einer Pilgerreise auf dem Camino

Jakobsweg

Unzählige sogenannte Jakobswege durchziehen Deutschland und Frankreich. In Spanien vereinigen sie sich zu einem Hauptweg, der nach Santiago de Compostela führt. Seit mehreren Jahren begleitet Meinrad Bauer aus Erfurt Jugendgruppen auf dem spanischen Jakobsweg. Über seine Erfahrungen schreibt er:

"Adonde vas? - Wohin gehst du?" So wird man in Nordspanien oft gefragt. Und die Antwort kommt schnell: "A Santiago - Nach Santiago!" Es erfolgt ein Schulterklopfen, eine gute Reise wird gewünscht und, wenn man Glück hat, wird man noch auf einen Kaffee eingeladen

Warum nehmen heute tausende junge und alte Leute in jedem Jahr die Mühen einer Pilgerreise auf sich, wo es doch auch viel einfacher ginge? "Gewitter, Hitze und Blasen an den Füßen" überschrieb eine galicische Tageszeitung die Schwierigkeiten einer solchen Pilgerreise

Vor über 1000 Jahren, als fast ganz Spanien maurisch besetzt war und nur im Norden des Landes christliche Königreiche bestanden, verbreitete sich in Europa die Kunde von der Entdeckung des Grabes des Apostels Jakobus im äußersten Nordwesten Spaniens. Das, was diese Nachricht auslöste, ist heute nicht mehr von Europa wegzudenken. Millionen von Pilgern strömten aus ganz Europa über Jahrhunderte hinweg an diesen Ort, nach Santiago de Compostela

An den Pyrenäen angekommen, hatten sie noch einen etwa 800 Kilometer langen Weg vor sich, der sie immer der untergehenden Sonne nach in Richtung Westen führte. Entlang des Weges entstand für heutige Verhältnisse eine fast unglaubliche Infrastruktur: Herbergen, Brücken, Hospitäler wurden gebaut. Noch heute stehen in fast allen Orten entlang des Weges alte romanische Kirchen. Es entstanden sogar neue Ortschaften, gegründet von Pilgern, die nicht mehr in ihre Heimat zurückkehren wollten

Noch heute gibt es in Spanien - einmalig in Europa - ein durchgängiges Netz von Herbergen, in denen Pilger, die zu F uß oder mit dem Fahrrad unterwegs sind, kostenlos oder gegen geringes Entgeld übernachten können. Freiwillige Helfer betreuen in den Sommermonaten die Pilger. Sollte es in einer Herberge einmal gar zu eng werden, können die Pilger unter den Arkaden der Kirchen oder in den Schulen übernachten. Benötigt wird lediglich ein Pilgerpaß, der vor Ort oder von den Deutschen Jakobsgesellschaften ausgestellt wird

Die Faszination des Weges wird in unzähligen Pilgerberichten beschrieben. Christen und Nichtchristen, Europäer und Menschen aus anderen Erdteilen, Junge und Alte entdecken diesen Weg, den Camino, neu als einen der ältesten Völker verbindenden Wege Europas

Ausgehend von Saint-Jean-Pied-de-Port erreicht der Pilger am Ende der ersten Tageswanderung das Kloster Roncesvalles in den Pyrenäen. Weiter führt der Weg nach Pamplona, berühmt durch seine jährliche "Fiesta", den "San Fermines". Das Bergland der Provinz Navarra geht über in das Ebrotal der Provinz La Rioja. Mit Wein und Kaffee in den Bars gestärkt führt der Weg nach Burgos am Rande der kastilischen Hochebene. Immer wieder begegnen dem Pilger Menschen am Wegesrand, die ihn bitten ihre Anliegen mit nach Santiago zu tragen. Zehn Tage führt der Weg durch die ebenen, baumlosen, weiten Flächen Kastiliens - als Kontrast zur Pyrenäenlandschaft sehr reizvoll

Jedoch ist frühes Aufstehen angesagt, um rechtzeitig vor der Mittagshitze am Tagesziel zu sein. Leon empfängt den Pilger mit dem wunderbaren Licht im Inneren der Kathedrale. Von Astorga aus geht es nun in die Berge von Rabanal und auf 1500 Meter Höhe steht der Pilger vor dem "Cruz de Ferro", einem kleinen Eisenkreuz auf einer Holzstange. Seit Jahrhunderten ist es Brauch, hier einen mitgebrachten Stein hin zu legen, Zeichen für Last, Schuld, Dankbarkeit und Bitte. Eine Templerburg beeindruckt in Ponferrada - die Berge von Galicien sind schon zu sehen. Der Aufsteig führt in eine völlig neue Welt: Der Pilger kommt in das "grüne Spanien". Hier kann es selbst im Sommer heftig regen. Durch Eukalyptuswälder, vorbei an kleinen Bauernhöfen, geht es zum Ziel: Santiago de Compostela. Hier - fast am Ende der Welt - enden die Strapazen, aber der alte Pilgerruf "Ultreya" wird noch lange im Ohr bleiben

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 6 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.02.1999

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