Theresia Birkefeld begleitet seit sieben Jahren Schwerstkranke
Porträt
"Als ich das erste Mal zu Frau N. kam, flehte sie mich an, ich sollte mich dafür einsetzen, daß man ihr eine Todesspritze gibt", erzählt Theresia Birkefeld. "Ich begriff schnell: Die leukämiekranke Frau hatte keine Angehörigen. Sie war verzweifelt, fühlte sich mit ihrer Angst allein und auch vom pflegerischen Personal in ihrer Not zuwenig ernstgenommen. Als ich ihr versprach wiederzukommen, auch nachts, wann immer sie es wollte, war von der Spritze keine Rede mehr. - Bei ihrem Tod war ich dabei. Sie ging ganz ruhig."
Theresia Birkefeld arbeitet seit 1992 in der Erfurter Hospizgruppe mit. "Ich hatte als Krankenschwester auf Station die traurige Erfahrung gemacht, daß Sterbende im Gegensatz zu den anderen Patienten nicht mehr genug ernst genommen wurden mit ihren Schmerzen und Ängsten. Das Pflegepersonal schob sie nicht selten in separate Räume und vergaß, ihnen gerade dort mehr Zuwendung zu schenken." Ich habe mich gefragt, wie es wäre, wenn ich dort liegen würde", erinnert sich Frau Birkefeld. Durch eine Freundin, die auf einer Kinder-Krebs-Station arbeitete, sei sie dann mit der Hospizidee bekannt geworden
Inzwischen hat die heute 62jährige zahlreichen Schwerstkranken in ihren letzten Stunden beigestanden. "Sterben kann sehr bitter sein", sagt Frau Birkefeld. "Aber es gibt auch viele Möglichkeiten, Menschen ihr Sterben zu erleichtern und ihnen zu helfen, es bewußt als Teil ihres Lebens zu erfahren." "Wie intensiv der Kontakt zwischen mir und dem Schwerstkranken wird, hängt oft von der ersten Begegnung ab", sagt Frau Birkefeld. "Von meiner Seite her gilt jedoch: Wenn ich jemanden begleite, dann ist er mir die wichtigste Person." A und O der Hospizarbeit sei, sich auf den Sterbenden ganz einzulassen und ihm gegenüber echt und verläßlich zu sein. "Dies ist oft eine Gradwanderung zwischen Nähe und Distanz. Es kommt darauf an, dem Sterbenden mit viel Einfühlungsvermögen zu begegnen und ihm seine möglicherweise letzten Wünsche zu erfüllen."
Im vergangenen Jahr habe sie zum Beispiel einen schwerkranken Mann, der von Beruf Gärtner war, in ihr Auto geladen und sei mit ihm in den Wald gefahren. "Er berührte die Zweige der Bäume, die Blumen, atmete die frische Luft ein, und wußte, daß es zum letzten Mal ist. Ein Abschied, der für ihn sehr wichtig war." Oft gehe es aber nur darum, einfach dazusein, die Hand zu halten, einen kleinen Dienst zu erweisen, etwa ein Fußbad zu machen oder noch einen Angehörigen zu benachrichtigen
Ein wichtige Aufgabe, Menschen zu helfen, in Würde sterben zu können, sei auch die Schmerzlinderung, betont Frau Birkefeld. Leider würden die Ärzte noch immer zuwenig dran denken, was schlimme Schmerzen auch nur fünf Minuten bedeuten können. Glücklicherweise rücke die Schmerztherapie zunehmend mehr ins Blickfeld der Medzin. Frau Birkefeld: "Wir von der Hospizgruppe sind deshalb froh über die Palliativstation, die es seit zwei Jahren im Erfurter Katholischen Krankenhaus gibt und von deren Mitarbeitern gewisse Impulse in das Umfeld ausgehen, die palliativmedizinische Möglichkeiten stärker zu nutzen."
"Besonders, wenn Menschen sehr leiden müssen, merke ich, wie hilflos ich bin, und daß ich nur mit dem Sterbenden gemeinsam aushalten kann", sagt Frau Birkefeld. "Manchmal kann Sterben sehr schwer sein. Das ist dann ein lebendiger Kreuzweg, den ich mit dem Sterbenden gehe. Oft fallen mir dann Jesu Situation am Ölberg und seine Worte ein: ,Konntet ihr nicht eine Stunde mit mir wachen?' Aber manchmal kann ich den Weg auch ein Stück erleichtern."
Die Hospiz-Mitarbeiterin begleitet Menschen im Krankenhaus, im Altenpflegeheim, aber genauso auch zu Hause. Wenn Verwandte bereit sind, ihre Schwerstkranken zu Hause im Sterben zu begleiten, bemüht sie sich, die Angehörigen in ihrem Tun zu stärken und die Angst zu nehmen. Es sei gut, wenn Angehörige und Schwerstkranke im Angesicht des Todes offen miteinander umgehen, um so die letzte Zeit ihres Beisammenseins bewußt zu gestalten und von einander Abschied zu nehmen. Zudem sollten sie bei ihrer Sorge um den Sterbenden bedenken, daß Gefühl und Gehör zuallerletzt schwinden
"Der Dienst am Nächsten sei immer voller Spannungen", sagt die frühere Krankenschwester. "Ich lasse mich freiwillig auf die Menschen ein, gehe aber auch mit Ängsten zu ihnen: Ich weiß nie, wie die Begegnung gerade heute sein wird. Zugleich werde ich aber immer wieder beschenkt: Der Sterbende schenkt mir sein Vertrauen. Er erlaubt mir, ihn zu begleiten."
Um diesen oft nicht leichten Dienst leisten zu können, seien Kraftquellen nötig, räumt Frau Birkefeld ein. "Mir helfen vor allem mein christlicher Glaube, das große Verständnis meines Ehepartners und meiner Kinder und die Freude an meinen sechs Enkelkindern." Aber auch der regelmäßige Saunabesuch und Zeiten der Einsamkeit und Stille in der Natur würden ihr immer wieder Entspannung und Zuversicht geben. Eine wichtige Hilfe, die Belastungen im Umgang mit den Schwerstkranken zu tragen, seien nicht zuletzt die regelmäßigen Abende und Tagungen der Hospizgruppe und die Möglichkeit der Supervision. "In der Gruppe fühle ich mich gut aufgehoben. Hier kann ich alles reflektieren, was mich bewegt. Ohne die Gruppe könnte ich den Dienst nicht durchstehen."
Zu den Aufgaben von Theresia Birkefeld gehört auch die Begleitung Trauernder. Monatlich findet ein Treffen in der Gruppe statt. Dazwischen bietet die Hospiz-Mitarbeiterin viele Einzelgespräche an. "Das wichtigste dabei ist, einander zuzuhören", sagt Frau Birkefeld. "Die Trauernden brauchen Gelegenheit, sich wieder selbst zu erfahren, ihre Bedürfnisse zu erspüren. Sie stehen oftmals völlig neben sich." Daneben übernimmt die frühere Krankenschwester immer wieder Aufgaben auf der Palliativstation des Katholischen Krankenhauses, sitzt am Telefon des Hospizdienstes oder spricht vor angehendem medizinischen Pflegepersonal über die Hospizarbeit
"Es fällt mir so manches Mal nicht ganz leicht, wieder zu einem Schwerkranken aufzubrechen. Und ich bin auch immer wieder froh, wenn ich von einem Sterbebett aufstehen und nach Hause gehen kann", gesteht die Hospiz-Mitarbeiterin. Dennoch möchte Frau Birkefeld ihren Dienst nicht missen: "Wer sich diesen Erfahrungen nicht stellt, verpaßt etwas: Durch das mir entgegengebrachte Vertrauen erlebe ich mich immer wieder reich beschenkt. Und: Im Angesicht des Tod verschieben sich die Wertigkeiten. Man lebt viel intensiver.
Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.02.1999