Viel Hilfe, im Leben selbst Tritt zu fassen
10 Jahre Kolping-Berufsbildungswerk Hettstedt
Hettstedt (ep) -Er hatte schon als Junge Interesse an Blumen und Grünpflanzen -Tobias Albrecht, derzeit im Kolping-Berufsbildungswerk in Hettstedt in der Ausbildung zum Gärtner im Fachbereich Zierpflanzenbau. Weil ihm das Lernen schwerer fiel als anderen Kindern, ging Tobias (Foto auf Seite 1) in die Lernbehindertenschule in Eisleben. Im Anschluss absolvierte er ein Berufsvorbereitungsjahr und hatte Gelegenheit, Praktika in einer Gärnterei zu machen, was seinen Neigungen und Fähigkeiten entgegenkam. Folge: Tobias gefiel die Arbeit und er entschied sich -inzwischen mit dem Kolping-Berufsbildungswerk Hettstedt bekannt gemacht -für eine Ausbildung zum Werker im Gartenbereich, einem Teilberuf. Weil er sich in der Ausbildungszeit gut enwickelte, konnte der inzwischen 21-Jährige eine Ausbildung im Vollberuf Gärtner aufnehmen. Tobias, der nicht ohne Stolz darauf hinweist, dass man in seinem Beruf 460 lateinische Pflanzennamen kennen muss, ist froh darüber und hofft, in einem Jahr Facharbeiter zu sein. Einen ähnlichen Werdegang hat auch Martina Vater aus Tilleda. Die 19-Jährige erlernt den Beruf der Modeschneiderin, nach dem sie zunächst den Teilberuf der Modenäherin angestrebt hatte. Weil sie sowohl in der Berufsschule als auch in der berufspraktischen Ausbildung gute Ergebnisse hatte, kann sie sich nun auf die Facharbeiterprüfung vorbereiten.
Lebens- und Ausbildungswege, wie sie im dieser Tage zehn Jahre alten Kolping-Berufsbildungswerkes Hettstedt keine Ausnahme sind, wie Gesamtleiter Markus Feußner und Ausbildungsleiter Hubert Böttcher deutlich machen. Und dies, obwohl die jungen Leute insgesamt immer schächere schulische Voraussetzungen mitbringen und die Klientel "schwieriger" wird, wie sie sagen.
"Wir bieten den lern- und psychisch behinderten Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine Ausbildung, die auf dem freien Arbeitsmarkt keine Möglichkeit haben, einen Ausbildungsplatz zu bekommen oder eine Ausbildung ohne fremde Hilfe zu absolvieren", sagt Feußner. Mit Erfolg, wie sich an Tobias Albrecht und Martina Vaters Entwicklungsweg erkennen lässt. "Durch eine auf ihre persönlichen Leistungsmöglichkeiten abgestimmte Begleitung lernen die Teilnehmer bei uns, mehr und mehr ihre Zukunft selbst in die Hand zu nehmen", sagt Ausbildungsleiter Böttcher. Dazu gehöre die berufliche Ausbildung, aber auch das Leben in der Wohngemeinschaft sowie psychologische, medizinische, sozialpädagogische und seelsorgliche Begleitung. Weil die jungen Leute einen großen Förderbedarf haben, bedarf es einer guten Verzahnung der einzelnen Bereiche und einer intensiven Betreuung. Dabei steht die dauerhafte Eingliederung in das Berufs- und Arbeitsleben und in den gesellschaftlichen Alltag im Vordergrund, was dem Auftrag des Arbeitsamtes, aber zutieftst auch dem Anliegen Adolph Kolpings entspricht, sagt Feußner, der Geschäftsführung und Gesamtleitung in den letzen eineinhalb Jahren vom langjährigen Chef Heinz-Willi Stiepeldey übernommen hat. Denn Träger des Berufsbildungswerkes Hettstedt sind die Diözesan-Kolpingverbände Erfurt und Magdeburg sowie das in Köln ansässige Deutsche Kolpingwerk.
Dementsprechend legt Feußner auf die "christliche Ausrichtung" als spezifisches Angebot in Hettstedt wert, obgleich viele der Jugendlichen nicht getauft sind. Das Kolpingberufsbildungswerk Hettstedt unterhält Kontakte zu Kolpingeinrichtungen in der ganzen Welt. Die sechs modernen Jugendwohnheime tragen die Namen von Ländern, in denen Kolpingfamilien zu Hause sind: Chile, Phillippinen, Uganda, Mexiko, Nigeria, Portugal. Auf dem Gelände der Einrichtung findet sich neben den Unterkünften, den Gebäuden und Räumen für den Berufsschul- und berufspraktischen Unterricht auch ein Raum der Stille. Anlässlich des zehnjährigen Bestehens feierte Bischof Leo Nowak in der vergangenen Woche im Berufsbildungswerk einen Dankgottesdienst mit Angestellten und Gästen der Einrichtung. Wöchentlich seien die jungen Leute zum Montagskreis eingeladen, bei dem es aus christlicher Sicht um Fragen aus Gesellschaft und persönlichem Leben gehe, sagt Feußner. Kürzlich sei zum Beispiel der Terror in Amerika Thema gewesen.
Ausgebildet wird in Hettstedt in den Berufsfeldern Gartenbau, Metalltechnik, Holztechnik, Farbtechnik und Raumgestaltung, Textiltechnik und Bekleidung sowie Ernährung und Hauswirtschaft. 222 Ausbildungsplätze stehen zur Verfügung, zudem 30 Plätze im Bereich Berufsfindung und -vorbereitung. Nicht ohne Stolz verweist Ausbildungsleiter Böttcher darauf, dass bisher 70 Prozent der jungen Leute nach Abschluss ihrer Ausbildung in den ersten Arbeitsmarkt vermittelt werden konnten, was nicht zuletzt Flexibilität bei den Jugendlichen voraussetze, aber auch das Ergebniss einer guten Ausbidlung sei: "Die Unternehmen erwarten heute gut qualifizierte und auf vielen Gebieten den aktuellen Erfordernissen entsprechend fitte Arbeitnehmer. Dem versuchen wir mit zahlreichen Zusatzqualifikationen auch über die Erfordernisse des Berufsabschlusses hinaus zu entsprechen", sagt Böttcher. Tobias Albrecht zum Beispiel ist schon mit der Schädlingsbekämpfung bei Zierpflanzen vertraut.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 25.10.2001