Erfurter Schüler helfen im Tagestreff der Caritas Bedürftigen
Fastenaktion
Erfurt (ep) - Im Erfurter Caritas-Tagestreff (Suppenküche /Wärmemestube) ist am Aschermittwoch ein nichtalltägliches Schülerprojekt gestartet worden: Unter dem Motto "Not sehen und handeln - Schüler für Menschen in Not" werden sich 23 Mädchen und Jungen der neunten bis zwölften Klasse des Erfurter Johann-Wilhelm-Häßler-Gymnasiums in den nächsten Monaten regelmäßig Zeit für Menschen in Not nehmen
"Wir haben vor, das sechsköpfige Team des Tagestreffs in seiner Arbeit zu entlasten. Vor allem aber wollen wir den Menschen, die hierher kommen, Angebote zur Freizeitgestaltung machen", sagte Schülersprecherin Jana Sladko bei der Auftaktveranstaltung zu dem Schülerprojekt, an der auch viele der regelmäßigen Besucher des Tagestreffs teilnahmen. Der Leiter des staatlichen Häßler-Gymnasiums, Studiendirektor Reinhard Müller, sagte, das Projekt biete den Schülern Gelegenheit, das, was sie an theoretischer Werteerziehung in der Schule erfahren, im Alltag einmal ganz praktisch umzusetzen. "Junge Menschen können so die Erfahrung machen, in Not nicht nur nach Vater Staat oder den Wohlfahrtsverbänden zu rufen, sondern selbst Hand anzulegen, um Menschen zu helfen", so der Direktor. "In dem sie unmittelbar mit Frauen und Männern in besonderen Lebenssituationen zusammenkommen, werden sie verstehen lernen, wie Menschen in diese Situation gekommen sind und so Vorurteile abbauen.
In den vergangenen Jahren habe das Gymnasium immer wieder notleidende Menschen im Ausland, zum Beispiel in Sibirien, unterstützt, berichtete Schülerin Jacqueline Rückert gegenüber unserer Zeitung. "In der Vorweihnachtszeit ist uns der Gedanke gekommen: Auch in unserer Stadt gibt es Menschen in Not. Warum sollen wir nicht einmal etwas für sie tun?", so die 16jährige Erfurterin. So seien in der Schule kleine Geschenke gepackt und zwei Adventsnachmittage im Caritas-Tagestreff gestaltet worden. Das gute Gelingen dieser Aktionen habe die Schüler auf die Idee gebracht, nicht nur vor Weihnachten Menschen in Not eine Freude zu machen, sondern auch übers Jahr etwas zu tun. "Wir haben die Erfahrung gemacht, daß es gar nicht so schwer ist, mit den Besuchern der Suppenküche ins Gespräch zu kommen oder etwas zu machen", sagt Jacqueline Rückert. Daraus ist in Zusammenarbeit von Schule und Caritas das Schülerprojekt "Not sehen und handeln - Schüler für Menschen in Not" entstanden
"Wir haben vor, mit den kleinen Kindern der Familien, die hier in die Suppenküche kommen, zu spielen, zu basteln oder zu malen", sagt Schülerin Jacqueline. "Den größeren Kindern werden wir Hilfe beim Lernen anbieten. Oder zum Beispiel mit einer Familie mal einen Ausflug machen. Manche Familie war vielleicht noch nie im Zoo ..." Außerdem werden die Schüler einfach mit den Besuchern des Tagestreffs das Gespräch suchen und Arbeiten in der Kleiderkammer des Caritas-Tagestreffs übernehmen. Insgesamt 23 Schüler beteiligen sich in fünf Gruppen an dem Projekt. Jeweils am Dienstag wird eine der Gruppen im Tagestreff sein, so Jacqueline Rückert
Die Leiterin der Suppenküche, Schwester Karola-Maria Hikade, freut sich über das Interesse an den Armen der Stadt. Sie berichtete während der Eröffnung des Schülerprojekts von der Arbeit ihres Teams: Täglich besuchten zwischen 80 und 120 Menschen den Tagestreff gegenüber dem Erfurter Theater. "Zu uns kommen alleinstehende Wohnungs- und Obdachlose, aber zunehmend auch Familien in sozialer Not", berichtete die Franziskanerin. Der Tagestreff ist täglich geöffnet. Wer hierher kommt, kann drei Mahlzeiten bekommen. Es besteht eine Kleiderkammer, um Menschen mit Anziehsachen weiterzuhelfen, wobei derzeit an warmer Kleidung und Schuhen ein Engpaß besteht, wie Schwester Karola-Maria sagte. Wer in den Tagestreff kommt, hat die Möglichkeit, sich zu duschen und Wäsche zu waschen. Ein Sozialarbeiter bietet Beratung bei Alkoholabhängigkeit, Wohnungslosigkeit, Schulden an
Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller eröffnete während der Auftaktveranstaltung das Projekt offiziell. Zuvor hatten die Schüler auf den Tischen Teelichte verteilt. Direktor Heller deutete diese Geste: "Menschliche Zuwendung wie die der Schüler bringt immer Wärme und Geborgenheit wie eine Kerze und schafft eine Art Zuhause." Daß die soziale Lage im Land "nicht rosig" sei, werde auch in der Erfurter Suppenküche deutlich. Um so erfreulicher sei es, wenn Schüler diese Situation nicht nur sehen, sondern ehrenamtlich etwas für Menschen in Not tun wollen.
Die Schirmherrschaft des Projekts hat der Erfurter Oberbürgemeister Manfred Ruge übernommen. Bei der Eröffnung ließ er sich vom Beigeordneten für Kultur, Joachim Otto Kaiser, vertreten. "Die Kommune kann sich glücklich schätzen, daß es freie Träger wie die Caritas gibt, die Menschen in Not ein Zuhause bieten, so daß sie sich nicht völlig ausgegrenzt fühlen", sagte Kaiser. Der Beigeordnete für Kultur übergab Schuldirektor Müller einen Scheck von 300 Mark für das Schülerprojekt. Musikalisch wurde die Auftaktveranstaltung von einer Flötengruppe des Häßler-Gymnasiums umrahmt
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.02.1999