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Bistum Erfurt

Worte von Bischof Wanke zur Fastenzeit

Hirtenbrief

Wenn wir ehrlich sind: In diesem Leben gelingt uns nicht alles, meist nicht einmal die Hälfte dessen, was wir uns vorgenommen haben. Es ist gut zu wissen, daß Gott väterlich vollenden wird, was bei uns in Ansätzen stecken bleibt. Ich darf auch Unvollkommenes, nicht Gelungenes dem Vater übergeben. Eltern nehmen ja von ihren kleinen Kindern auch unbeholfene Strichzeichnungen entgegen, windschiefe Bilder oder etwas dürftige Geschenke, weil sie auch in diesen Fragmenten das Ganze der kindlichen Liebe und Zuneigung erkennen und honorieren können. So macht es Gott mit uns: Er nimmt das Wenige, was wir ihm bieten - und vollendet es. Gott kann auch mit meinen Lebensbruchstücken noch etwas anfangen. Er wird sie einfügen in das vollkommene "Gefäß seiner Gnade", das ich einmal sein werde - zu seiner Ehre und Freude

Dieses Wissen ist für mich entlastend. Es macht mir Mut, das mir hier und jetzt Mögliche zu tun. Ich warte dann nicht darauf, ob sich meine Stimmung bessert, die Gelegenheit günstiger wird, die Zeiten sich ändern. Ich tue einfach, was mir möglich ist, mit den Kräften, die mir zur Verfügung stehen - und überlasse alles andere Gott

Meine einzige Sorge ist, daß in meinen Lebensfragmenten, in den unvollendeten "Stücken", die ich Gott vorzeigen kann, auch das Ganze meiner Liebe zu Gott und zum Nächsten erkennbar wird. Ich nenne einmal Beispiele:

- Ob ich eine Geldspende gebe oder für Menschen, die mich brauchen, eine "Zeitspende" mache: Wichtig ist, daß ich ein wenig mehr von mir selbst wegkomme und hingabebereiter werde.
- Ob ich drei Rosenkränze am Tag bete oder nur ein grundehrliches "Vaterunser" und "Ave Maria": Wichtig ist, daß ich tiefer in die Gottesgegenwart hineinwachse und wacher, sensibler werde für seine Nähe mitten in meinem Alltag.
- Ob ich mit Humor oder manchmal nur weinend oder wütend mit den Schwächen anderer oder eigenen Schwächen umgehen kann: Wichtig ist, daß ich mir und anderen immer Zukunft offen halte, die Tür zur Vergebung und die Chance zum Neuanfang.
Kurz: Die Richtung meines Handelns muß stimmen. Es muß aus Glaube, Hoffnung und Liebe erwachsen, dann wird Gott vollenden, was mir noch fehlt

So zu denken ist nicht müde Resignation. Ich habe Angst vor Leuten, die nicht die Gelassenheit haben, auch Unvollkommenheiten zu ertragen und Schwächen auszuhalten - eigene und fremde. Die Beter des "Vaterunser" sind vermutlich weiser als alle Revolutionäre der Welt zusammen. Und mir sind Zeitgenossen wenig sympathisch, die wegen der Unvollkommenheit der Welt ständig nur nörgeln und meckern und darüber versäumen, das ihnen Mögliche zu tun. ..

Ich empfehle Euch für Euer persönliches Gebet die Verse, die Bischof Hugo Aufderbeck sehr geliebt hat. Ich habe sie mir selbst auch zu eigen gemacht: "Ich weiß, daß Du mein Vater bist, in dessen Arm ich wohlgeborgen. Ich will nicht fragen, wie du führst, ich will dir folgen ohne Sorgen. Und gäbest du in meine Hand mein Schicksal, daß ich selbst es wende, ich legt mit kindlichem Vertraun es doch zurück in deine Hände". Diese schlichten Verse können zu einer Lebensmelodie werden. In der vor uns liegenden österlichen Bußzeit sollten wir sie wieder in uns kräftig zum Klingen bringen

Bischof Joachim Wanke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 8 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.02.1999

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