Zum 100. Geburtstag des Dichters
Erich Kästner
Generationen von Kindern sind mit den Büchem von Erich Kästner groß geworden. Geschichten wie "Emil und die Detektive" (1928), "Das fliegende Klassenzimmer" (1932) und "Das doppelte Lottchen" (1950) haben ihn populär gemacht. Am 22. Februar vor 100 Jahren wurde der Schriftsteller, dessen pragmatisches Motto "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es" sprichwörtlich geworden ist, in Dresden geboren
Der Erfolg des Kinderbuchautors läßt allzuoft die anderen Aspekte seiner Persönlichkeit und seines Schaffens vergessen. Als Lyriker, Essayist, Zeitchronist und Romancier bewies er zumindest für seine Person die Richtigkeit seiner Feststellung: "Gute Kinderbuchautoren, die keine guten Schriftsteller wären, gibt es nicht." Einen ganz eigenen Ton schlägt er in seinen Gedichtbänden "Herz auf Taille" (1928), "Lärm im Spiegel" (1929), "Ein Mann gibt Auskunft" (1930) und "Gesang zwischen den Stühlen" (1932) an: sachliche Nüchternheit, ironisch gebrochene Sentimentalität, Gesellschaftskritik, schwankend zwischen Resignation und einem trotzigen Glauben an den Sieg von Vernunft und Humanität. Der Lyriker Kästner hat sich frischer gehalten als viele seiner dichtenden Zeitgenossen; seine "Gebrauchslyrik" ist immer noch in "Gebrauch" auf vielen Theater- und Kleinkunstbühnen
Nach seinem Erfolg mit der Lausbubengeschichte "Emil und die Detektive", die bereits 1930 ebenso erfolgreich verfilmt wurde, schockte er Öffentlichkeit und Verlag mit dem Roman "Fabian. Die Geschichte eines Moralisten" (1931). Das Werk ist eine Bestandsaufnahme seiner Zeit, der Endphase der Weimarer Republik. Der Titelheld, der viel mit seinem Autor gemein hat, ist ein Werbefachmann, der die Arbeitslosigkeit, den brutalen Parteienkampf und die allgemeine Korruption am eigenen Leib erfährt. Am Ende stirbt der Nichtschwimmer symbolträchtig bei dem Versuch, ein Kind vor dem Ertrinken zu retten. Den Kindern, den kleinen Leuten, den Schwachen der Gesellschaft fühlte er sich zeit seines Lebens ganz besonders verbunden
In kleinbürgerlichen Verhältnissen aufgewachsen, erlebte er als Einzelkind eine glückliche Kindheit und Jugend vor allem an der Seite der über alles geliebten Mutter, der er in zahlreichen Schriften und Werken ein literarisches Denkmal setzte. Als 17jähriger erlebte er den Ersten Weltkrieg an der Front mit, anschließend studierte er in Leipzig Geschichte, Philosophie, Germanistik und Theatergeschichte und promovierte 1925 über Friedrich den Großen. 1927 übersiedelte er nach Berlin, wo er sich als freier Journalist verdingte. 1933, nach Hitlers Machtergreifung, wurden seine Bücher verbrannt. Kästner, der im Gegensatz zu vielen anderen Intellektuellen in Deutschland blieb, erhielt Publikationsverbot, durfte aber in der Schweiz weiter veröffentlichen. Es entstanden die populären Unterhaltungsromane "Drei Männer im Schnee" (1934), "Die verschwundene Miniatur" (1935) und "Der kleine Grenzverkehr" (1938) - auch sie dienten als Vorlagen für mehrere Kino- und Femsehfilme. Ausgerechnet 1942, im Jahr des absoluten Publikationsverbots, schrieb Kästner unter dem Pseudonym Berthold Bürger das Drehbuch für den aufwendigen "Münchhausen"-Farbfilm mit Hans Albers
Nach 1945 konnte Kästner, nahtlos an seine Popularität, aber nicht mehr an seine frühere Qualität anschließen. Seine Bücher wurden Bestseller, die Reihe der Kästner-Filme wurde fortgesetzt. In einigen hatte er Kurzauftritte, die ihn endgültig als "Märchenonkel" der Nation etablierten. Dabei wurde leichthin übersehen, daß er in dem dokumentarischen Bericht "Notabene" (1961) ein wenig schmeichelhaftes Bild des Nachkriegsdeutschlands zeichnete, das sich allzu schnell wieder in der sogenannten Normalität einrichtete
Peter Kohl (kna) / tdh
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.02.1999