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Aus der Region

Bedenken, was trägt

Zur Woche der Brüderlichkeit

Dresden, Straßenbahnlinie 3, aus dem Lautsprecher ertönt die Ansage: "Nächste Haltestelle: Rathenauplatz, Synagoge". Da fragt ein Kind, daß alle im Wagen es hören können: "Mutti, was ist eine Synagoge?" Alle sind gespannt, was die Mutti antworten wird. Sie bekommen zu hören: "Eine Synagoge ist eine Kirche für die Juden. Wir Christen haben unsere christlichen Kirchen, die Juden haben ihre Synagoge. So ist es richtig. Jeder hat sein eigenes Haus. Wir Christen gehen in unsere Kirche, die Juden in ihre Synagoge." Soweit der Kommentar der Mutter

Bei uns in Sachsen ist es noch etwas Neues, daß eine Straßenbahnhaltestelle auf eine Synagoge hinweist oder auf den Ort, wo bald eine stehen soll, am Rande des inneren Stadtkerns, wo bis 1938 etwa 100 Jahre lang eine Synagoge gestanden hatte. Dieser Neubau ist nicht nur eine Sache der Jüdischen Gemeinde, sondern in gewisser Weise eine der ganzen Stadt und des ganzen Landes. Deshalb beteiligten sich am 9.11.1998, am ersten Spatenstich für die Synagoge, nicht nur der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Dresdens, Roman König, sondern auch der Landtagspräsident und der Ministerpräsident des Freistaates Sachsen und der Oberbürgermeister der Stadt Dresden. Denn für Dresdner Juden ist ein entsprechendes Gemeindezentrum eine Notwendigkeit, um als jüdische Gemeinde zu überleben. Für alle Bürger Dresdens und Sachsens jedoch ist es eine Chance zu bedenken, ob unsere Fundamente tragfähig sind, auf denen wir nach der Wende in unseren neuen Bundesländern manches nach 1945 Liegengebliebene wieder aufbauen. Wird es besseren Bestand haben als die Bauten der NS-Zeit?

Das diesjährige Jahresthema der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Deutschland lautet: "Bedenken, was trägt". Mit ihm wird die Woche der Brüderlichkeit eröffnet. Das heißt: Sollen wir auf die Kraft unserer Ellenbogen vertrauen, die uns einstimmen läßt in die Parole: "Deutschland (allein) den Deutschen"? Oder gründen wir unser Zusammenleben auf ein anderes Fundament, das des Respekts vor anderen Kulturen und Religionen aus dem Glauben heraus, daß wir Kinder ein und desselben Vaters sind und nach dem Bibelwort: "Einen Fremden sollst du nicht ausnützen oder ausbeuten, denn ihr selbst seid in Ägypten Fremde gewesen!" (Ex 22,20). Aus diesem Geist heraus hat der selige Propst Bernhard Lichtenberg am 9.11.1938 in der Hedwigskathedrale von Berlin ausgerufen: "Draußen brennt die Synagoge! Das ist ein Gotteshaus!"

Die zentrale, deutschlandweite Eröffnungsfeier der Woche der Brüderlichkeit ist wie vor ein paar Jahren in Dresden so wieder einmal in einem neuen Bundesland. Sie ist in diesem Jahr in Potsdam am 14. März, 10.00 Uhr. Sie wird vom Fernsehen übertragen. In Potsdam gibt es eine junge Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit. Bei dieser Feier wird traditionellerweise die Buber-Rosenzweig-Medaille verliehen. Der Preisträger ist in diesem Jahr Henryk Muszynski, Erzbischof von Gnesen und Vizeprimas von Polen. Erzbischof Muszynski war Vorsitzender der bischöflichen Kommission für Fragen des Judentums in Polen, die viel unternommen hat zur Aussöhnung von Juden und Christen in Polen

Am Nachmittag des 14. März 1999 ist im Plenarsaal des Rathauses der Landeshauptstadt Dresden unter der Schirmherrschaft des Oberbürgermeisters Dr. Herbert Wagner ebenfalls eine Festveranstaltung, bei der Prof. Dr. Pater Willehad Eckert OP, Düsseldorf, über das Jahresthema sprechen wird. Im Rahmen der Festveranstaltung findet die Preisverleihung des Preisausschreibens des Vereins zur Förderung der Jugendbewegung in Theresienstadt e.V. statt an drei Preisträger: 1. Jugend der Jüdischen Gemeinde Dresden, 2. ein Sportverein Dresden-Leubnitz, 3. ein evangelisches Jugenddorf bei Freiberg. Möge Gott alle Vorhaben segnen

Dr. Michael Ulrich

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 10 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.03.1999

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