In Dresden wird eine neue Synagoge gebaut
Rückkehr zur Normalität
Ort: Dresden, Bautzner Straße; Zeit: In den siebziger Jahren. Neugierig betrachtet ein Junge die Auslagen von "Eisenwaren Schmidt", gleich daneben eine Durchfahrt mit dem Schild "Jüdische Gemeinde". Auch das Schild weckt Neugierde! "Jüdische Gemeinde" - was ist das eigentlich? Immer wieder kommt der Junge auf dem Weg zu seiner Großmutter an diesem Laden, dem Haus und dem Schild vorbei und immer wieder kehrt die Frage zurück. Schließlich spricht er die Großmutter darauf an und sie berichtet von den jüdischen Geschäften in den zwanziger Jahren, den für sie befremdlich erscheinenden Ostjuden mit ihrem freien Handel in den engen Gassen der Elbestadt und schließlich von der Verfolgung und Vernichtung der jüdischen Bürger. Dabei behauptete sie niemals, nichts von der Judenverfolgung gewußt zu haben - wenn auch das tatsächliche, grauenhafte Ausmaß erst nach dem Krieg bekannt wurde, wie sie sagte. Der gelbe Stern, die Verschleppungen und andere Schikanen waren hingegen offen sichtbar gewesen. Für den im christlich-jüdischen Dialog engagierten evangelischen Dresdner Pfarrer Siegfried Reimann geht dieses Bekenntnis ziemlich weit, denn immer wieder komme die Aussage: "Wir haben nichts gewußt". "Dies ist für die Juden besonders schmerzlich", betont Reimann
Inzwischen sind viele Jahre vergangen - das Schild "Jüdische Gemeinde" ist verschwunden - vermutlich aus Sicherheitsgründen. Doch ich finde den Weg in die Verwaltungsräume in dem Haus, an dem ich als Kind so oft vorbeigegangen bin und das für mich zu einem ersten Anstoß zur Begegnung mit dem Judentum wurde. Roman König, der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde, berichtet von der Notwendigkeit eines Neubaus der Synagoge und das nicht ohne innere Erleichterung darüber, daß jüdisches Leben in Dresden wieder eine Zukunft hat. Sah es doch vor zehn Jahren so aus, als wäre die kleine Gemeinde am "aussterben". König nennt Zahlen, 1933 gehörten über 6000 Mitglieder zu seiner Gemeinde, nach 1945 nur noch etwa 250. Im Zuge der stalinistischen Aktionen gegen die Juden zu Anfang der fünfziger Jahre verkleinerte sich die Gemeinde wieder, 70 Prozent gehen nach Westberlin. "Etwa 80 Mitglieder haben seither die Tradition von Generationen in Dresden aufrechterhalten", sagt Roman König. Mit dem Jahr 1989 war die Zahl der Juden in der Elbestadt auf zirka 60 Gläubige gesunken, die überwiegend schon in einem hohen Alter standen
Doch mit der Zuwanderung jüdischer Bürger aus der ehemaligen Sowjetunion steigt die Zahl der Mitglieder seit 1990 ständig. Heute liegt sie bei 220 Mitgliedern. "In der kommenden Zeit wird die Gemeinde weiter wachsen, viele Juden leben noch in den Durchgangslagern", berichtet der Vorsitzende. Es kommen Frauen, Männer und - was König besonders freut - viele Kinder. "Auch sind wir seit einigen Jahren in der glücklichen Lage, eine eigene Religionslehrerin zu haben, so daß die Kinder leicht mit dem Judentum vertraut werden und so in die Gemeinde hineinwachsen", freut sich Roman König. Doch eines fehlt, endlich wieder eine richtige Synagoge mit angrenzendem Gemeindezentrum zu haben. Das Provisorium auf dem "Neuen Israelitischen Friedhof" ist längst zu klein geworden. Dazu kommt, daß eine Synagoge nach jüdischem Glauben nicht auf einem Friedhof stehen darf. In den fünfziger Jahren ging die Gemeinde nach Verhandlungen mit der Stadt Dresden jedoch den Kompromiß ein, die alte Trauerhalle in eine Synagoge umzubauen. Um sie vom Friedhof zu trennen, wurde eine Hecke um das Gebäude gepflanzt. Daß dieser Zustand über fünfzig Jahre andauern würde, ahnte damals niemand
Inzwischen haben die Dresdner Verkehrsbetriebe die Haltestelle am künftigen Standort des Neubaus bereits im Januar 1998 in "Rathenauplatz / Synagoge" umgetauft - als symbolischer Akt, wie es damals hieß. Ein großes Schild verweist zudem weithin sichtbar auf das geplante Bauvorhaben. Roman König hofft, sobald es das Wetter zuläßt, mit den Arbeiten beginnen zu können. Der erste Spatenstich fand am 9. November vergangenen Jahres statt
Roman König verweist auch darauf, daß mit dem geplanten Gemeindezent-rum ein Haus entsteht, das für Begegnungen offen sein wird. "Jeder ist bei uns willkommen, der interessiert ist und mit uns in Dialog treten möchte." Auf die Frage, was der Bau für ihn ganz persönlich bedeutet, antwortet Roman König: "Es ist ein Einstieg in eine Normalität, die das Gleichgewicht wieder herstellt, das in Dresden schon einmal vorhanden war. Und da wir bis 1989 keinen Gedanken an ein solches Bauvorhaben verschwenden brauchten, ist es jetzt ein schönes Gefühl, den Mitgliedern die Möglichkeit zu geben, weiter jüdisches Leben zu praktizieren."
Zur Unterstützung der Finanzierung des 20 Millionen Mark teuren Bauwerkes hat sich 1996 ein Förderkreis gebildet, der 1998 in einen Förderverein umgewandelt wurde. Schirmherren des Vereins sind Bischof Joachim Reinelt, Landesbischof Volker Kreß, Ministerpräsident Kurt Biedenkopf und Dresdens Oberbürgermeister Herbert Wagner. Den Vorsitz hat Pfarrer Siegfried Reimann inne. Seiner Meinung nach wird mit dem Neubau einer Synagoge in Dresden ein Ungleichgewicht behoben, was mit dem Aufbau der Frauenkirche entstand. "Es darf nicht vergessen werden, daß die Synagoge noch in Friedenzeit zerstört wurde, die Frauenkirche erst gegen Ende des Krieges", betont der evangelische Pfarrer, der jetzt im Ruhestand lebt. Leider ist es so, daß der Förderverein zum Neubau der Synagoge im Schatten der alles überragenden Frauenkirche steht, meint Reimann. Auch gibt er zu bedenken, daß es für die Frauenkirche eigentlich keine Gemeinde gibt, "die Synagoge und das angrenzende Zentrum werden jedoch mit Leben erfüllt sein."
Siegfried Reimann erzählt, wie es nach 1990 zum Bauvorhaben und zum Förderverein kam. Nach Gesprächen zwischen der Jüdischen Gemeinde und der Stadt Dresden in den Jahren 1992 und 1993 kam es zu keiner Lösung. Selbst bat er in Zusammenhang mit seiner Pensionierung Oberbürgermeister Herbert Wagner, die Synagoge nicht aus dem Blick zu verlieren. Nach einigen Wochen erfuhr Reimann, daß "der Faden zwischen der Stadt und der Gemeinde wieder aufgenommen wurde." Zunächst galt es unter anderem, die Frage des Standortes zu lösen. Schließlich fiel die Wahl auf ein Grundstück, auf dem schon vor der Pogromnacht am 9. November 1938 Teile der von Gottfried Semper erbaute Synagoge standen. Am 28. Oktober 1996 kam es zur Gründung des Förderkreises. Übrigens, der 28. Oktober war in der Geschichte der Juden bisher ein leidvolles Datum. Pfarrer Reimann erzählt: "An diesem Tag im Jahr 1938 fand sozusagen die erste Deportation statt, alle polnischstämmigen Juden wurde nach Polen abgeschoben."
Vor 60 Anwesenden aus Gesellschaft, Kirche und Kunst erinnerte Reimann bei der Gründung an dieses Geschehen und richtete an alle die Bitte, beim Neubau tatkräftig mitzuhelfen. Dabei ist es ihm wichtig zu sagen, daß jede Spende zählt - jeder solle selbst prüfen, inwieweit er zur Finanzierung beitragen kann. "Wir verlangen nicht, daß jeder 1000 Mark auf den Tisch legt, vielleicht sind aber 50 möglich." Denn eines ist klar, die kleine jüdische Gemeinde ist nicht in der Lage, die fehlenden Gelder aufzubringen. Siegfried Reimann: "Wir dürfen nicht vergessen, es ist nicht die Schuld der Juden, daß sie keine Synagoge mehr haben ... Die Zerstörung der Synagogen sowie die Verfolgung und Vernichtung der Juden sind eine Vergangenheit, die wir mittragen, obwohl wir es nicht getan haben. Dennoch muß ich auf diese Vergangenheit eine Antwort geben." Eine Chance, sich ganz persönlich an das Thema anzunähern und sich an begangenes Unrecht zu erinnern. Dies gilt für jeden einzelnen wie auch für Organisationen, Banken und Unternehmen. Reimann erinnert daran, daß die Dresdner Bank eine jüdische Gründung ist. Und so ist er der Hoffnung, daß sich gerade die Dresdner Bank noch mehr an der Finanzierung beteiligt und es nicht an einer Anschubfinanzierung - "die uns sehr geholfen hat" - von 50 000 Mark bewenden läßt
Er berichtet, daß sich der Verein vorgenommen hat, insgesamt vier Millionen Mark durch Spenden und Sponsoren zusammenzutragen. Diese Summe betrachtet Reimann allerdings als etwas überzogen. Persönlich sieht er Stadt und Freistaat in der Verantwortung, ihre finanziellen Zusagen von jeweils fünf Millionen Mark nachzubessern. Wörtlich sagte der Fördervereins-Vorsitzende: "Nicht zuletzt ist die öffentliche Hand auch aus moralischen Gründen gefordert."
Gerade auch, weil sich unter dem Grundstück noch eine Anlage der Verkehrsbetriebe und eine Heiztrasse befinden, die zur Baufreimachung verlegt werden müssen. Die damit verbundenen zusätzlichen Kosten betragen allein 3,5 Millionen Mark. Somit sieht Pfarrer Reimann für die Zukunft einige finanzielle Probleme, was zu zeitweiligen Bauunterbrechungen führen könne. "Doch wer länger baut, der baut auch wieder teurer", fügt Reimann hinzu
"Es gibt keinen Grund, den Kopf in den Sand zu stecken", betont hingegen Heidrun Müller, stellvertretende Regierungssprecherin des Freistaates Sachsen. Längst sind für sie nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft, weite Teile des Baus über Spenden zu finanzieren
Auch wenn die Akzeptanz leider nicht mit der zum Wiederaufbau der Frauenkirche vergleichbar sei. Dennoch, so Heidrun Müller, die Synagoge ist ein gesellschaftliches Anliegen und betrifft alle. Für sie wäre es eine Katastrophe, wenn sich eine Erwartungshaltung durchsetze, daß der Freistaat Sachsen oder die Stadt letztlich alles richten solle. "Wir dürfen den Bürgersinn einfach nicht unterbewerten", betont sie weiter. Alle, denen eine Synagoge in Dresden wichtig ist, sollten als Multiplikatoren für dieses Anliegen wirken, meint Heidrun Müller. Dabei weist sie auf die verschiedensten bisherigen Aktionen, beispielsweise der Versteigerung des 50millionsten Dresdner Siemens-Chip via Internet und auf ein Benefizgastspiel des Südthüringischen Staatstheaters Meiningen
Doch auch Roman König und Siegfried Reimann verfallen nicht in Pessimismus. Ähnlich antworteten beide: "Wenn die Bauarbeiten begonnen haben, dann wird es auch eine große Neugier geben und die Dresdner und ihre Gäste werden sich für das Anliegen und die jüdische Gemeinde interessieren ..." Und dieses Interesse ist wichtig, geht es doch um Akzeptanz und Toleranz in der Stadt sowie der gesamten deutschen Gesellschaft. Zum ersten Spatenstich gaben die Dresdner Bürgerinnen und Bürger ein beeindruckendes Zeichen. Siegfried Reimann: "Bei strömendem Regen bildete sich rund um die Baustelle ein Meer aus Schirmen. Tausende bekundeten so ihre Verbundenheit mit den heute in Dresden lebenden Juden."
Holger Jakobi
Kontaktadresse: Bau der Synagoge Dresden - Förderverein, Bautzner Straße 20, 01099 Dresden
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.03.1999