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Aus der Region

Über Irrwege deutsch-polnischer Nachbarschaft

Buchlesung

Leipzig (jk) - Zu einer Buchlesung mit anschließender Diskussion hatte der St. Benno-Verlag vorige Woche in den Konvent St. Albert eingeladen. Pfarrer Gerold Schneider stellte dort vor rund 110 Gästen sein Buch "Vergangenheit, die nicht vergehen will. Irrwege deutsch-polnischer Nachbarschaft" vor. In diesem Buch erinnert sich Pfarrer Schneider an die Nachkriegszeit in seiner schlesischen Heimat, in der er als 17jähriger nicht nur die Gefangenschaft und Zwangsarbeit in russischen und polnischen Lagern erlebte, sondern auch die Vertreibung der Deutschen am eigenen Leib erfuhr

Detailliert und genau beschreibt er, was er und sein Schulfreund Reinhard Roche in der Nachkriegszeit erlebt haben. Mit 17 Jahren wurden die beiden in einen sowjetischen Gulag verschleppt. Dort arbeiteten sie als Zwangsarbeiter in einem Stahlwerk unter menschenunwürdigen Zuständen. Sie erlebten mit, wie hunderte ihrer Kameraden im Lager durch Hunger und unmenschliche Behandlung ums Leben kamen. Nachdem sie diesem russischen Kriegsgefangenenlager entkamen, flohen sie in ihre schlesische Heimat zurück. Dort waren sie schließlich Gefangene und Arbeiter der polnischen Miliz, bis sie zusammen mit hunderten anderen Schlesiern im Juli 1946 in die amerikanische Zone vertrieben wurden. "Am größten war für mich die Betroffenheit. Ich habe das so konkret noch nie gehört", sagt ein Mann, nachdem Pfarrer Schneider einzelne Passagen aus seinem Buch vorgestellt hatte

Pfarrer Schneider hat lange gezögert, seine Erinnerungen aufzuschreiben. Zwar besaß er schon Notizen und hat auch in seiner Zeit als Pfarrer in Cottbus in den siebziger und achtziger Jahren vor Schülern im Religionsunterricht immer wieder von den Verbrechen, die an der deutschen schlesischen Bevölkerung nach Kriegsende von Russen und Polen begangen wurden, erzählt. Doch er hatte Angst, mißverstanden zu werden, weil in Deutschland das Wort "Erinnern" oft negativ besetzt ist und oftmals kurzschlüssig als "Aufrechnen" verleumdet würde. Diese Angst teilte auch ein Besucher der Buchlesung: "Ich hatte Angst, daß dieses Buch wieder als Munition für propagandistische Zwecke mißbraucht werden könnte." Dem Pfarrer geht es aber nicht um ein Aufrechnen, sondern um Versöhnung zwischen Polen und Deutschen. Er selber habe längst verziehen. "Wir haben den Leuten doch immer gesagt, wir wollen Schlesien doch gar nicht wiederhaben. Oft wird einem aber Mißtrauen entgegen gebracht, ob man das auch wirklich so meint", so Schneider

Gerold Schneider fordert in seinem Buch eine gerechte Aufarbeitung der Verbrechen in dieser Zeit, damit wahre Versöhnung zwischen Polen und Deutschen geschehen kann: "Echte Aussöhnung aber kann nur aus der Vergebung wachsen. Schuld vergeben ist ohne Schuld zugeben ganz unmöglich. Das wiederum setzt wahrhaftiges Erinnern voraus." Der Pfarrer beklagt, daß die zwei Millionen Todesopfer, die die schlesische Vertreibung gefordert hat, selten erwähnt, ganz verschwiegen oder gar verleugnet werden. "Von den zwei Millionen Vertreibungsopfern hört man in ganz Deutschland kaum ein Wort. ... Tatsache aber ist, daß ihre sterblichen Überreste noch immer an Straßenrändern liegen, so wie sie damals in großer Eile verscharrt werden mußten", schreibt Gerold Schneider in seinem Buch. Für ihn ist die These, daß die Vertreibung mit ihren Millionen Todesopfern letztendlich von deutschen Kriegsverbrechen verursacht worden ist, nur eine Halbwahrheit: "Es ist schlicht und einfach falsch, daß auf Terror mit naturgesetzlicher Gewalt Terror folgen muß." Gerold Schneider hofft, daß sein Buch einen kleinen Beitrag zur Versöhnung liefern kann

Gerold Schneider: "Vergangenheit, die nicht vergeht. Irrwege deutsch polnischer Nachbarschaft", St. Benno-Verlag Leipzig, 19.80 Mark

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 10 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 14.03.1999

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