Klösterliches Leben hat Einzug gehalten
Petersberg
Petersberg (tdh) - Anfang März hat auf dem Petersberg wieder klösterliches Leben Einzug gehalten. Prior Markus Wächter kommt mit zwei Brüdern und einem Novizen der evangelischen Communität Christusbruderschaft Selbitz regelmäßig zu den Stundengebeten in der Krypta der romanischen Kirche zusammen. Sie leben zunächst provisorisch in einer Wohnung am Fuße des Berges, bis ihr künftiges Domizil auf dem Berg fertig restauriert ist. Dann wollen sie sich in wachsendem Maße öffnen, Einkehrzeiten und "Kloster auf Zeit" anbieten. Am 22. Mai wird der evangelische Bischof von Magdeburg, Axel Noack, sie in einem Gottesdienst offiziell einführen
Schon jetzt ist es möglich, als Gast mit den Brüdern zu leben. Besonders willkommen sind Helfer, die bei den Bauarbeiten auf dem Petersberg mit Hand anlegen wollen. Die vier Brüder lebten seit einigen Monaten im ebenfalls wiedergegründeten Kloster Volkenroda. Ihr kontemplativ ausgerichtetes Leben ließ sich jedoch schwer in Einklang bringen mit dem Leben der eher dem sozialen Engagement verschriebenen Jesusbruderschaft, die ebenfalls in Volkenroda ansässig ist. Die Christusbruderschaft entstand vor 50 Jahren im bayrischen Selbitz und besteht heute aus mehr als hundert Schwestern und Brüdern. Eine Selbitzer Schwesterngemeinschaft hat sich unter anderem in Magdeburg angesiedelt
In katholischen Kreisen stößt die evangelische Gemeinschaft, die sich für einen Außenstehenden kaum von einem katholischen Kloster unterscheidet, hin und wieder noch auf Erstaunen. Prior Markus Wächter hat schon mehrfach die Frage gestellt bekommen, ob Martin Luther das klösterliche Leben nicht abschaffen wollte. Er verweist auf einen Brief Luthers an das Kloster Herford. Darin forderte er die Mönche auf, das Klosterleben in evangelischem Geist fortzusetzen, im Bewußtsein, sich das ewige Leben nicht im Kloster verdienen zu können, sondern es als Geschenk der Gnade Gottes zu erwarten
Der Prior bedauert, daß die Klostertradition durch die Reformation abgebrochen wurde. Vorläufer der Selbitzer Gründung sieht er in der Betonung persönlicher Spiritualität im Pietismus des vorigen Jahrhunderts und in der Diakonissenbewegung. Daß klösterliches Leben in jüngster Zeit auch in der evangelischen Kirche auf wachsendes Interesse stößt, erklärt er mit der gegenwärtigen Umbruchzeit: "In solchen Zeiten suchen Menschen nach etwas, an dem sie sich festhalten können, nach stabilen Werten, einem gültigen Ausdruck christlichen Lebens", sagt er
Große Nachfrage erfährt die Selbitzer Gemeinschaft bei ihren Angeboten für Gäste, eine Zeitlang ihr klösterliches Leben zu teilen. "Es scheint ein großes Bedürfnis danach zu geben, eine Zeitlang zur Ruhe zu kommen, keine Leistung bringen zu müssen, sondern man selbst zu sein und seine innere Stimme wieder zu hören", erklärt der Novize Ralf Schamel
Auf dem Petersberg hatten von 1124 an bis zur Reformation Augustinerchorherren gelebt. Als geistliches Zentrum ist der Berg auch bei den katholischen Christen der Umgebung beliebt. Unter anderem findet hier seit vielen Jahren die hallesche Dekanatswallfahrt statt. Zu ihren Stundengebeten lädt die Communität täglich um 8, 12 und 18 Uhr ein; am ersten Sonntag im Monat findet um 20 Uhr Taizégebet statt, Gottesdienst mit Abendmahl sonntags um 10.30 Uhr.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 28.03.1999