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Aus der Region

Politik in der Sackgasse

Kosovo-Krieg

Thomas Hoppe ist Professor für katholische Sozialethik an der Universität der Bundeswehr in Hamburg. Der Tag des Herrn sprach mit ihm über die mit dem NATO-Militärschlag im Kosovo verbundenen Risiken und ethischen Probleme:

Frage: Herr Professor Hoppe, hätten Sie den Befehl für einen Militärschlag gegeben?

Hoppe: Ich kann die Gründe für diese Entscheidung verstehen. Die NATO hätte sonst riskiert, bei sich verschärfender Offensive der Serben im Kosovo die Bevölkerung einer großflächigen Vertreibung, vielleicht sogar einem Völkermord auszusetzen. Zu fragen ist aber: Wodurch ist die Politik in diese Sackgasse geraten? Wir handeln jetzt ohne eine Alternative, die wir favorisieren könnten; alle praktisch möglichen Entscheidungen sind mit schwerwiegenden Risiken belastet

Frage: Im Vorfeld sind also Chancen verpaßt worden?

Hoppe: Ja. Das Problem hätte viel früher auf die Tagesordnung gehört. Seit Jahren warnen Fachleute vor einer Eskalation. Die Situation im Kosovo wurde durch die Aufkündigung des Autonomie-Status 1989 und durch die Unterdrückungspolitik der Serben gegenüber den Albanern angeheizt. Die Uneinigkeit vor allem der europäischen Staaten trug dazu bei, daß Bemühungen nichtstaatlicher Akteure um eine Verringerung der Spannungen kaum Erfolg hatten. Spätestens in Dayton hätte eine gewaltvorbeugende Regelung beschlossen werden müssen. Und man hätte die langjährige gewaltfreie Politik von Ibrahim Rugova viel deutlicher politisch anerkennen müssen. Konflikte wie dieser können nicht militärisch gelöst, sondern müssen frühzeitig politisch bearbeitet werden

Frage: Wie müßte ein politisches Instrumentarium dafür aussehen?

Hoppe: Der Auf- und Ausbau verläßlicher Strukturen kooperativer und kollektiver Sicherheit muß forciert werden. Nötig sind effiziente politische Frühwarnsysteme und besseres internationales Krisenmanagement. Das gilt auch für eine gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU. Internationales Recht muß ausgebaut werden, krasse Menschenrechtsverstöße müssen besser geahndet werden können. Und neue staatliche Einheiten dürfen international nur anerkannt werden, wenn sie Menschen- und Minderheitenrechte angemessen sichern

Frage: Sind Sie in dieser Hinsicht optimistisch?

Hoppe: Ich bin skeptischer geworden. Durch den jetzigen Militärschlag, für den es einerseits starke moralische Argumente gibt, werden andererseits politische Instrumente wie UNO oder OSZE geschwächt, weil sie in der entscheidenden Phase keine Rolle spielen. Zudem kann sich eine Verschlechterung des Ost-West-Verhältnisses etwa auf die Verhandlungen zu Rüstungskontrolle und gesamteuropäischer Stabilität negativ auswirken

Frage: Welche Rolle können denn die Religionsgemeinschaften spielen?

Hoppe: Die Religionsvertreter dürfen sich nicht zum verlängerten Arm politischer Interessen machen, indem sie rasche Rechtfertigungen für Gewaltanwendung bereithalten. Sie müßten sich gemeinsam auf eine Interpretation ihrer religiösen Traditionen verständigen, die Aufrufe zu Feindschaft und Haß delegitimieren. Außerdem gibt es viele Chancen für konkrete Friedens- und Versöhnungsarbeit. Ich erinnere an das, was Pax Christi, Renovabis oder Caritas in Bosnien leisten

Frage: Werden Militärschläge bei der Durchsetzung politischer Absichten künftig eine größere Rolle spielen?

Hoppe: Das steht zu befürchten. Die NATO hat einen Präzedenzfall geschaffen, auf den sich andere berufen könnten, wenn sie ohne hinreichendes UN-Mandat militärisch intervenieren wollen

Frage: Humanitäre Desaster gibt es auch anderswo - etwa wenn in Afrika Menschen verhungern. Da könnte mit viel weniger Geld geholfen werden. Hier hält sich das Interesse aber eher in Grenzen, oder?

Hoppe: Das ist ein genereller Einwand gegen Militärinterventionen: Wir haben ein großes Ungleichgewicht zwischen den hohen Kosten eines Militäreinsatzes und den eher lächerlichen Summen, die für vorbeugende Politik und humanitäre Hilfe ausgegeben werden. Die entscheidende Frage lautet: Wie kann Politik so verändert werden, daß die Akteure erkennen, daß sie sich die Kosten für manche Militäraktionen sparen könnten, wenn sie vorher mehr Geld und Engagement in Prävention investieren? Das Wissen um sich zuspitzende Krisen ist im Prinzip vorhanden. Aber für die politischen Akteure sind das zu oft Randfragen - nach dem Motto: "Wenn Menschen in Afrika verhungern, ist das schlimm, aber es gibt Wichtigeres"

Interview: M. Holluba

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.04.1999

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