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Bistum Görlitz

Gemeinschaft der Seligpreisungen

Vorgestellt

Neuzelle - Die jungen Leute tragen braune Hosen oder Röcke und helle naturfarbene Pullover - ihre Kleidung erinnert an die gängigen Klischees von Umweltschützern oder Reformhaus-Kunden. Doch für die Mitglieder der katholischen Gemeinschaft der Seligpreisungen hat diese Kleidung eine andere Bedeutung: Braun steht für die Farbe des Kreuzes Christi und der Erde, beige oder weiß symbolisiert dagegen den Sieg, die Auferstehung. Das Sterben und die Auferstehung Jesu wollen sich die Mitglieder der Gemeinschaft immer wieder vor Augen halten. Schwester Heidi, Leiterin des Gemeinschaftshauses in Neuzelle beschreibt schmunzelnd eine zweite Deutungsmöglichkeit: "Mit den Füßen stehen wir noch auf der Erde, aber mit dem Kopf sind wir schon im Himmel."

Die Farben der Kleidung sind nicht das einzige Markenzeichen der ordensähnlichen Gemeinschaft, die mit ihren zirka 1200 vorwiegend jüngeren Mitgliedern auf allen Kontinenten der Welt vertreten ist. Ehepaare und Familien, Zölibatäre, Priester und Unverheiratete, die sich noch auf keinen Lebensstand festgelegt haben, wohnen und leben zusammen. Glauben und Alltag sind bei ihnen untrennbar verbunden. Gemeinsam versuchen sie nach dem Vorbild der ersten christlichen Gemeinde zu leben, so wie ihre berühmten Vorgänger Petrus, Paulus und Philippus. Ganz konkret bedeutet das für sie Gütergemeinschaft, das tägliche Erleben von Liturgie und Sakramenten und Offenheit für das Wirken des heiligen Geistes. Neben dem Bespielen christlicher Kassetten und dem Bücherversand ist ihr Tagesablauf wesentlich getragen vom gemeinsamen Gebet. In der Hauskapelle treffen sich die zwölf Männer und Frauen des Neuzeller Gemeinschaftshauses. Sie stehen oder knien vor dem Altar. Manche von ihnen sind während des Gebets mit einem hellbraunen Mantel bekleidet. Gabriela hebt ihre rechte Hand und stimmt den ruhigen gregorianischen Gesang des Vespergebetes an. Die anderen stimmen ein, Gabrielas Hand schwingt ruhig und rhythmisch und gibt so das Tempo der Melodie an, die vierstimmig durch die nach Weihrauch duftenden Räume der Kapelle klingt

Wie viele Menschen in Klöstern und Gemeinden seit Jahrhunderten pflegt auch die Gemeinschaft der Seligpreisungen das Stundengebet. Gemeinsam mit Messe, Rosenkranz und freiem Gebet ziehen sich die Stundengebete wie ein roter Faden durch das tägliche Zusammenleben miteinander und mit Gott. Ähnlich wie die kontemplativen Orden lebt die Gemeinschaft aus dem Gebet und der Besinnung. Die Männer und Frauen hoffen, daß ihr Leben ausstrahlt, auch wenn sie sich nicht vorrangig und mit großen Aktionen im Ort und in der Region engagieren. "Wenn Menschen sich entscheiden, für Gott zu leben, dann hat das Auswirkungen", ist sich Schwester Heidi sicher

Eine solche betende Gemeinschaft hatte Bischof Rudolf Müller sich für die alten Gemäuer unmittelbar an der barocken Neuzeller Stiftskirche gewünscht, für den Ort, wo einst die Zisterzienser, später das Priesterseminar beheimatet waren. 1996 kamen die ersten vier Mitglieder der Gemeinschaft der Seligpreisungen hierher. Nun leben sie hinter den alten Mauern am Rande des Kirchplatzes, wo neben den ausgetretenen Gängen in den Häusern auch die schweren Eingangstüren von der Geschichte des Ortes künden

Die noch relativ junge geistliche Gemeinschaft der Seligpreisungen wurde 1973 in Frankreich von zwei Ehepaaren gegründet und 1978 von der katholischen Kirche anerkannt. Die Bindung zur katholischen Kirche und ihren Vertretern ist auch den Neuzellern sehr wichtig. Die Sonntagsmesse besuchen sie in der Stiftskirche, auch sonst sind sie hier immer mal anzutreffen oder helfen aus, besonders Bruder Clemens, der Diakon ist

Generell stehen die Türen des Hauses immer offen, gerade für Menschen in Nöten, Männer und Frauen. Auch Familien, Gebets- oder Gemeindegruppen können für einige Zeit mitleben in der Gemeinschaft, Einkehrtage halten und die Ruhe des Hauses erleben. Kinderlärm ist hier nicht zu hören, weil in der Neuzeller Gemeinschaft noch keine Familie lebt, aber auch laute Debatten gehören nicht zum Zusammenleben. Wie in einer großen Familie leben Gabriela, Regina, Christoph und die anderen zusammen. Auf den Fluren pulsiert kein aktionsreiches Leben. Nur unauffällige Schritte gehen dann und wann über die langen Gänge des Hauses, vorbei an den Wänden, die mit Ikonen geschmückt sind, und Treppenabsätzen, auf denen Christus-Skulpturen stehen. Selten tönt ein Bellen durchs Haus. Es kommt von Leika, dem schwarzen Mischlingshund, den die Neuzeller von einer Gemeinschaft am Niederrhein "geerbt" haben. Wenn Gäste an der braunen Pforte klingeln, dann macht sich Leika lautstark bemerkbar. Sonst stromert er im Garten herum oder liegt faul auf seiner Decke vor dem Kapelleneingang, gleich neben dem Ständer mit den hellbraunen Umhängen

In den Zimmern, von denen jedes nach einem Heiligen benannt ist, stehen ein Bett, ein Tisch, ein Schrank, ein Regal und eine kleine Kommode. Nur sehr wenige persönliche Gegenstände, ein Kärtchen mit Bibelspruch etwa, oder ein Foto, machen das Zimmer zu einem persönlichen Ort. Nur die Grundnahrungsmittel werden eingekauft; dafür ist Regina zuständig. Ansonsten hängt der Speiseplan von Spenden und Geschenken ab. Am Freitag abend allerdings ist Schlemmen angesagt. Dann kann es schonmal vorkommen, daß sich auf dem mit Blumen und Servietten festlich gedeckten Tisch ein lecker duftender Topf Pilzsuppe, Blumenkohl, Fischbuletten und eine große Schüssel Quarkspeise finden. Denn an diesem Abend feiern sie den Shabbat, das Fest, mit dem die Juden jede Woche vom Freitagabend bis zum Sonnabend den siebenten Tag der Schöpfung, den von Gott geschenkten Ruhetag feiern

Gabriela läßt ihre Hände, die sonst den Takt der gregorianischen Gesänge markieren, über die Tasten des Klaviers gleiten, Bruder Clemens setzt seine Klarinette an und israelische Musik erklingt. Fröhlich stimmen alle in den Gesang ein. Ganz nach der Tradition steht Schwester Heidi, die "Hausmutter" auf. Auch die anderen Frauen erheben sich von den Stühlen, die rund um den von Kerzen erhellten Tisch stehen. Sie fassen sich an den Händen und beginnen, genau wie auch die Männer, fröhlich um den Tisch zu tanzen. Die Gesichter sind von Freude gekennzeichnet. Alle haben ihre weiße Festkleidung angezogen. Bruder Clemens liest aus der Heiligen Schrift vom Weg Gottes mit seinem Volk Israel. Er schenkt den Wein ein, bricht das Brot. "Shabbat Schalom" - mit diesem hebräischen Gruß beendet er das traditionelle jüdische Ritual. Wie fröhliche Kinder wünschen sich auch die andern mit strahlenden Gesichtern den Frieden des Shabbattages

So wollen die Mitglieder der Gemeinschaft Gottes Schöpfung feiern, aber auch ihre Verbundenheit mit dem jüdischen Volk ausdrücken. Denn eines ihrer wichtigsten Gebetsanliegen ist die Bitte für das Volk Israel, den "älteren Bruder", bei dem die Wurzeln des Christentums liegen. Neben der Shabbatfeier gibt es noch andere feste Termine im Wochenplan. Denn jede Woche vollziehen die "Geschwister" von Donnerstag bis zum Sonntag das Erlösungsgeschehen nach. In der Nacht zum Freitag wacht jeder eine Stunde vor der ausgesetzten Monstranz in der Kapelle. Diese ist dann nur durch zwei Kerzen erhellt. Durch die blau-violetten Glasfenster dringt schon lange kein Tageslicht mehr. Im ganzen Haus ist kaum ein Laut zu hören. In Stille wachen Schwester Heidi und die anderen abwechselnd die ganze Nacht durch, so wie Jesus seinen Jüngern in der Nacht vor seinem Tod geboten hatte: "Wachet und betet"

Am Freitag fallen die Mahlzeiten kärglicher aus als sonst. Körbe mit Brot vom Vortag stehen dann auf dem Eßtisch und Margarine - sonst nichts. Freitag wird bis zum Sonnenuntergang gefastet. Die Woche über stehen Arbeiten in der Küche, der Wäscherei und dem "Kassettendienst" an, freitags dagegen wird das alte Haus am Stiftsplatz von oben bis unten geputzt. Regina wischt gerade den Treppenabsatz vor der Kapelle, als Bruder Clemens - bekleidet mit einer Schürze und mit Eimer und Wischlappen bewaffnet - in die Kapelle läuft. Samstagabend stimmen er und die anderen dann in einer Auferstehungsvesper und einem festlichen Abend mit fröhlichen israelischen Tänzen in den Jubel der Auferstehung ein

Die Spiritualität der Gemeinschaft ist stark geprägt von den Heiligen des Karmel, besonders von Therese von Lisieux. Immer wieder begegnet man im Haus Fotos der Heiligen, von der Schwester Heidi mit Wärme in der Stimme spricht. Ein Ausspruch der Karmelitin ist für die Gemeinschaft zum Leitwort geworden: "Im Herzen der Kirche will ich Liebe sein." Keine große Askese, sondern ein Weg der kleinen Schritte und des einfachen Vertrauens in Gott, erklärt Schwester Heidi, das sei das Ziel der Gemeinschaft

Juliane Hutmacher

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 13 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 04.04.1999

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