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Glaube steht zur Naturwissenschaft

Akademie

Bad Kösen - Was ist für die Naturwissenschaft und was für die Theologie (und den Glauben) "Wirklichkeit"? Welche Möglichkeiten, die "Wirklichkeit" zu erkennen, haben beide. Und in welchem Verhältnis stehen Naturwissenschaft und Theologie heute? Diesen Fragen widmete sich eine Tagung, zu der vom 19. bis 21. März die Katholischen Akademien Dresden, Magdeburg und Erfurt und die Katholische Akademie in Berlin ins Konrad-Martin-Haus nach Bad Kösen eingeladen hatten. Daß mehr als 70 Teilnehmer gekommen waren, macht das rege Interesse am Thema deutlich

Es sei kein Zufall, daß die Naturwissenschaften am Beginn der Neuzeit vom christlichen Abendland her ihren Ausgang nahmen. Darauf wies der Wissenschaftliche Direktor des Max-Planck-Instituts für Plasmaphysik in Garching, Professor Klaus Pinkau, in seinem Eröffnungsreferat hin. Schließlich sei die Schöpfung als Selbstoffenbarung und ihre Erforschung folglich als Nachdenken der Gedanken Gottes verstanden worden

Bei seinen weiteren Ausführungen bezog sich Pinkau - ausgehend von Platons Höhlengleichnis, wonach alle Wirklichkeit nur durch Schatten und Abbilder erkannt wird - auf Überlegungen des Theologen und Naturwissenschaftlers Nikolaus von Kues (1401-1464). Weil Gott absolut und allmächtig ist, hat er eine evolutive Welt geschaffen, der er dennoch zugleich in jedem Augenblick gegenwärtig ist - so Pinkau bei seinem Versuch, die naturwissenschaftliche Wirklichkeit einer evolutiven Welt mit der Wirklichkeit des Glaubens in Verbindung zu bringen. Wenn der Glaube davon redet, daß Gott die Schöpfung erhält, so gehe es dabei um Wirklichkeit oberhalb der Manifestationen der täglichen Umwelt. "Schöpfung ist nicht die Menge der hier vorzufindenden Gegenstände." Zugleich räumte Professor Pinkau ein: "Wir wissen nicht, wie tief wir naturwissenschaftlich eingedrungen sind und ob Erkenntnisse nicht mehrdeutig sind wie im Höhlengleichnis."

Angesichts von heutigen wissenschaftsfeindlichen Tendenzen warnte Pinkau: "Es wäre fatal, wenn die Kirchen auf die Seite fundamentalistischer Strömungen wechseln würden." Die Kirchen brauchten Auseinandersetzungen nicht zu scheuen

Die Arbeitsweise der Naturwissenschaft, aber auch ihre Grenzen, machte der Wissenschaftliche Direktor des Max-Planck-Instituts für Gravitationsforschung, Professor Jürgen Ehlers, Potsdam, deutlich. Der Physiker erläuterte an Hand von Beispielen die Beziehung von physikalischer Theorie und deren Nachweis oder Widerlegung durch Experimente. Dabei berief er sich unter anderem auf eine These des Physikers E. P. Jordan (1934): "Die wissenschaftlichen Theorien stellen nicht einen über die Erfahrung hinausgehenden Erkenntnisvorstoß in Richtung auf das ,Wesen' der Naturerscheinungen dar, sondern lediglich eine zur Ordnung unserer sinnlichen Erfahrungen nützliche, von uns hinzugedachte Hilfskonstruktion ..." Die alte philosophische Aussage, wonach das Ganze etwas anderes ist als die Summe seiner Teile, sei inzwischen auch durch die moderne Quantenmechanik bestätigt. Wirklichkeit im naturwissenschaftlichen Sinne sei immer nur "im Rahmen eines bestimmten Begriffssystems" zu begreifen. Ehlers: "Für mich ist es nicht vorstellbar, daß wir einmal die Beschreibung der Wirklichkeit an sich finden."

Der Potsdamer Entwicklungsbiologe Professor Joachim Nitschmann berichtete von den Erkenntnissen über die Evolu-tion und die Vielfalt des Lebens. Anhand eines unter seiner Leitung gedrehten Filmes über die Entwicklung des Hühnchens, in dem die ersten Herzschläge des Tieres zu sehen sind, wurden Gesetze des Lebens deutlich. Am Ende der Hierarchien der Evolution stehe der Mensch. Aus dem Wissen um seine Position erwachse dem Menschen Gewissen und damit Verantwortung gegenüber den Mitgeschöpfen. Zugleich sei er in der Lage, nach ewigen Wahrheiten zu fragen und sie beispielsweise in der Kunst zu artikulieren. Nitschmann erinnerte an die heutigen Möglichkeiten der Befruchtung menschlicher Eizellen und lobte das deutsche Embryonenschutzgesetz, das die befruchtete menschliche Einzelle als Embryo und damit als menschliches Leben qualifiziere

Der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff, der über Wirklichkeitsvorstellungen der Theologie und deren ethische Konsequenzen referierte, sagte: Der biblische Monotheismus stehe für die "innere Einheit der Wirklichkeit und damit für Rationalität. Weil die Schöpfung durch Gottes Geist bestimmt ist, ist sie der Erkenntnis des Menschen zugänglich." Von daher habe der christliche Glaube in der Postmoderne gegen allen Irrationalismus an der Seite der Naturwissenschaft zu stehen. Andererseits könne die Naturwissenschaft von sich aus keine Aussage darüber machen, "was überhaupt als Wirklichkeit anzusehen ist", also etwa darüber, ob die Auferstehung Jesu Wirklichkeit sei. An der grundsätzlichen Möglichkeit, daß sich Gott als der Schöpfer über die Gesetze der Evolution hinaus zur Geltung bringen kann, müsse der Glaube festhalten

"Die Naturwissenschaften als Herausforderung für die Gesellschaft" war das Thema eines abschließenden Vortrages, den der frühere sächsische Umweltminister Arnold Vaatz (MdB) hielt. Die Politik, so Vaatz, müsse stets nach "geeigneten Kompromissen" suchen zwischen dem, was der Naturwissenschaft möglich ist und was sie gern realisieren möchte und dem ethisch verantwortbaren Tun. "Wo ist die Grenze", sei eine entscheidende Frage. Wie stehe es um die Klonierung bei Mensch und Tier, wenn etwa dadurch die Verlängerung des Lebens möglich ist?

Mit diesem Forum fand bereits im fünften Jahr eine derartige Tagung zu wissenschaftlichen Fragen in Bad Kösen statt. (ep)

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 14 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.04.1999

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