Kritik, Trauer und Zorn
Kirchenvertreter zum Jugoslawien-Krieg
Leipzig (tdh) - Ostdeutsche Kirchenvertreter haben zu Ostern zum Frieden im Kosovo und zu Hilfen für die Flüchtlinge aufgerufen. "In diesen Tagen, da in Europa Menschen systematisch ermordet, in großer Zahl vertrieben werden und Flugzeuge Bomben werfen, will mir nicht recht ein froher Osterwunsch über die Lippen kommen", sagte Bischof Joachim Wanke in der Osterpredigt. Zugleich betonte er, "Mord, Totschlag, Massenvertreibung und anderes Unrecht gegen Menschen zu verhindern, gehört zu den Grundpflichten politischen Handelns"
Die Erfurter Diözesancaritas hat sich dem Spendenaufruf von Caritas international für die Flüchtlingshilfe angeschlossen. Es würden dringend weitere Spenden benötigt, erklärte Caritasdirektor Bruno Heller. Zu den Hilfen der Caritas gehören Nothilfeprogramme und Notunterkünfte für die Kriegsflüchtlinge sowie von der Caritas getragene Gesundheitsstationen in Albanien
Scharfe Kritik am Nato-Einsatz hat der Geschäftsführer der "Partnerschaftsaktion Ost" in Magdeburg, Heiner Hesse, geübt. Vergessen seien "all die Nachkriegsschwüre und auch die Erfahrungen, daß mit Gewalt Konflikte nicht zu lösen sind." Die angebliche Notwendigkeit "humanitären" militärischen Eingreifens sei "ganz bewußt über längere Zeit " im öffentlichen Bewußtsein verankert worden, die Problematik der seit Jahren im Nato-Staat Türkei "brutal unterdrückten Kurden" weitgehend verschwiegen worden. Wer "ohne UNO-Mandat mit Bomben für Ruhe und Ordnung" sorgen will, ohne den Rat von Kennern zu beachten, ohne auch nur die Folgen zu bedenken, sei ein "dillettantischer Abenteurer". Hesse: "Es ist Ausdruck unseres westlichen Überheblichkeits- und Überlegenheitswahns, daß andere ihre Konflikte so zu lössen hätten, wie wir es ihnen vorschreiben. Nur ein schnelles Ende der NATO-Einsätze könne dem Morden im Kosovo ein Ende setzen."
Der evangelische Landesbischof von Thüringen Roland Hoffmann bezeichnete das militärische Eingreifen als "Bankrotterklärung menschlicher Möglichkeiten", den Konflikt auf diplomatischem Wege zu lösen. "Auf Gewalt folgt Gewalt", fügte Hoffmann hinzu. Damit sei ein Teufelskreis in Gang gesetzt
Der Dresdner Bischof Joachim Reinelt betonte in seiner Osterpredigt: "Wir glauben an einen Gott, der keine Kriege, kein Leid erfindet, aber dort im Kosovo oder anderswo niemanden mit seinem Leid allein läßt." Das bedeute nicht, daß Grausamkeiten wie im Kosovo "für uns harmlos sind". "Wir Christen hassen das Töten. Gerade deshalb können wir die nicht allein lassen, die getötet oder vertrieben werden."
Der sächsische Landesbischof Volker Kreß hat sich für einen Abbruch der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien ausgesprochen. Was in Serbien und im Kosovo geschieht, sei ein "grausiges Fiasko". An dessen Ende drohe "über furchtbarem menschlichen Elend" wieder einmal ein zynischer Diktator "ungeschoren davonzukommen", sagte Kreß in einem Gottesdienst. Besorgt verwies er aber auch darauf, daß sich heute viele Vorwürfe gegen die Nato richteten. Dagegen klagten "nur wenige" den jugoslawischen Staatschef Slobodan Milosevic an
Die evangelischen Pfarrer der Leipziger Nikolai- und Thomaskirche, Christian Führer und Christian Wolff, haben in einer Erklärung die Rolle der Kirchen im Balkan-Konflikt scharf kritisiert. Katholische und orthodoxe Kirche in Serbien und Kroatien hätten in den vergangenen Jahren "Frieden stiftende Kraft" und "Initiativen gewaltfreien Zusammenlebens" vermissen lassen. Statt zur Konfliktlösung zwischen den Bevölkerungsgruppen beizutragen, hätten sie kriegerische Handlungen religiös gerechtfertigt. Dagegen bemühten sich christliche Basisgruppen auf dem Balkan seit Jahren, durch gewaltfreie Arbeit und interreligiöse Zusammenarbeit zivile Strukturen aufzubauen. Es sei Aufgabe der Christen in Deutschland, diese Bemühungen zu unterstützen. Der Militärschlag der Nato sei die "bittere Konsequenz" einer "seit über einem Jahrzehnt verfehlten Politik", heißt es weiter. "Demokratie und die Wahrung der Menschenrechte können nicht herbei gebombt werden."
Bischof Leo Nowak wies in der Osterpredigt auf das Dilemma des Konfliktes hin: "Es ist ja nun wirklich verhandelt worden bis zum ,Geht-Nicht-Mehr'." Die Menschheit könne das Unrecht, das an unschuldigen Menschen geschehe, nicht hinnehmen. Gewalt sei aber keine Lösung, sondern immer auch "Zeichen von Hilfslosigkeit". Niemand wisse, "wie wir aus diesem Dilemma herauskommen können. Das ist frustrierend. Wir strengen uns an, wir strampeln uns ab, aber wir finden keine Lösung. Und doch suchen alle nach dem Frieden."
Der evangelische Bischof Axel Noack hat den Nato-Einsatz ebenfalls scharf kritisiert. Durch die Luftangriffe hätten die Leiden der Bevölkerung "dramatisch" zugenommen, schreibt er in einem Brief an die Gemeinden. Zu einer Lösung müßten Kirchen und Religionsgemeinschaften beitragen. Es sei "bedauerlich", daß die christlichen Kirchen in Deutschland zum Teil als "Befürworter" der Angriffe wahrgenommen worden seien
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.04.1999