Denkanstöße beim Zähnputzen
Radio-Pfarrer
Magdeburg (dw) - Freitagabends sitzt Pfarrer Matthias Weise im Schaufenster des Magdeburger Karstadt-Kaufhauses. Er sieht den vorbeiströmenden Passanten zu, während er im City-Studio des Radiosenders Hitradio Antenne Sachsen-Anhalt seine Beiträge für das Wochenendmagazin Morgen-Mix aufnimmt
Mehr als 100 000 Frühaufsteher schalten seit vergangenem Dezember ihre Radiogeräte an, wenn samstags und sonntags um 7.15 Uhr anderthalb Minuten lang Matthias Weises Gedanken über Gott und die Welt gesendet werden
Der Pfarrer der Magdeburger St.-Agnes-Gemeinde, der bis Juli auch Rektor des Kollegs Norbertinum ist, nutzt das Radio als Chance, über Themen zu reden, die ihn als Christen bewegen. Dabei ist er sich durchaus bewußt, daß die Zeiten lange vorbei sind, in denen ganze Familien gebannt lauschend vor ihren Radiogeräten hockten
Wer am Wochenende frühmorgens Hitradio Antenne Sachsen-Anhalt einschaltet, der will unterhalten werden, während er die Zähne putzt oder sich dem Frühstücksei widmet. "Das eine oder andere geistliche Thema lassen sich die Leute dabei gefallen, und wenn der Beitrag gut gemacht ist, könnte es sein, daß sie sogar mal drüber nachdenken", hofft Matthias Weise
Zufrieden ist er, wenn seine Beiträge Menschen motivieren, über Dinge zu sprechen, die sie sonst in sich hineingefressen hätten. Gelungen ist ihm das beispielsweise bei einem Beitrag, in dem er seine eigene Leibesfülle zum Thema gemacht hat
"Du bist aber fett!" hatte ein kleiner Junge ihm in der Kaufhalle zweimal zugerufen. Die Mutter des Kleinen machte keinerlei Anstalten, ihn für diese Beleidigung zurechtzuweisen. Stattdessen tadelte sie ihn, weil er sich "mit fremden Männern" unterhielt. Matthias Weise schilderte seinen Hörern dieses Erlebnis und machte ihnen anschließend Mut, für ihre Mitmenschen freundliche Worte zu finden. Ein ebenfalls von Gewichtsproblemen belasteter Hörer rief nach der Sendung an und bedankte sich für die offenen Worte
An Ideen hat es dem redefreudigen Radio-Pfarrer, der vor seiner Zeit beim Privatradio schon beim MDR Rundfunkerfahrung gesammelt hat, bisher nie gemangelt. Viele Themen findet er beim Nachrichtenhören: Ein Mädchen wird in einen Dorfteich gejagt und niemand greift ein. Bei einer Nazidemo wird allen Ernstes erzählt, die Juden hätten die Nazis umgebracht. "Bei solchen Meldungen habe ich den Eindruck, vom Evangelium her habe ich etwas dazu zu sagen. Ich möchte vermitteln, daß jeder Mensch für seinen Nächsten verantwortlich ist", erzählt er. An kirchlichen Feiertagen wie Ostern, Weihnachten oder Pfinsten versucht er, über Inhalte des christlichen Glaubens so zu sprechen, daß auch Nichtglaubende es verstehen können
In einem 90-Sekunden-Beitrag steckt für Matthias Weise, der sich durch einen Kurs beim katholischen Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses auf sein Radio-Hobby vorbereitet hat, etwa eine Stunde Arbeit. Wenn er seine Gedanken zu Papier gebracht hat, gibt er sie einem Schüler des Norbertinums und dem Verwaltungsleiter Hans-Georg Lösche zu lesen. Sätze, die nicht beim ersten Lesen verständlich erscheinen, werden dann gestrichen, an manchen Formulierungen wird gefeilt
Demnächst wird der Magdeburger Pfarrer noch häufiger bei Antenne Sachsen-Anhalt zu hören sein. In Zusammenarbeit mit dem Leipziger St.-Benno-Verlag, der im Auftrag der Bistümer Magdeburg und Erfurt Privatsender mit kirchlichen Sendebeiträgen beliefert, produziert er spätestens ab Monatsende einen täglichen Abendbeitrag
Den zumeist jugendlichen Hitradio-Hörern wird er sich dann auf einer humorvoll gestalteten eigenen Internet-Homepage vorstellen und ihnen Gelegenheit geben, mit elektronischer Post unmittelbarer auf seine Radioworte zu reagieren. Bisher hält sich die Flut der Hörer-Reaktionen noch in Grenzen. Die meisten Echos bekommt Matthias Weise aus den Pfarrgemeinden, in denen er früher Vikar war
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.04.1999