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Bistum Görlitz

Die Osternacht aus dem Blickwinkel von Meßdienern

Görlitz

Görlitz - "Die Röcke reichen nicht!" Aufgeregt stürmt Oberministrant Daniel aus der Sakristei, rennt in Richtung Pfarrhaus. In einer Viertelstunde müssen alle 20 Ministrantinnen und Ministranten auf der Matte stehen. Punkt 21 Uhr soll die Osternacht beginnen mit der Segnung des Osterfeuers - ihr Einsatz. Jedes Jahr an Ostern und Weihnachten gibt es das gleiche Problem mit den Chorhemden. Dann ist Ministranten-Großeinsatz in der Görlitzer Kathedrale St. Jakobus. Eine Osternacht mit fünf Ministranten - unvorstellbar. Deshalb müssen jetzt schnellstens die Röcke her

Im engen Gang vor den Umkleideschränken herrscht Gerangel: der Kampf um die Ministrantenröcke. Wer bekommt den letzten - Tobias oder Raphael? Die Jungs feilschen. Monika sieht verzweifelt an sich hinunter. Der Rock ist viel zu groß. Da taucht Daniel auf mit einem Stapel frischer weißer Rochetts. Aufatmen!

Nun ab in die Martinskapelle. Die letzten Absprachen müssen getroffen werden. Wie immer setzen sich alle auf ihre Stammplätze. Das hat sich irgendwie so eingebürgert: Die Jungs sitzen in den ersten Reihen, die Mädchen gleich hinten an der Tür. Alle schwatzen durcheinander. Die Stimmung ist gut. Aufgeregt? "Klar bin ich aufgeregt", meint Claudia und schlenkert mit den Beinen. "Die Osternacht und die Christnacht sind schon etwas Besonderes ... So viele Leute gucken zu."

"Die Leute", das sind Eltern, Freunde, der Bischof. Und dann sind da noch die, die nur Ostern und Weihnachten in die Kirche kommen. Claudia ist mit ihren zehn Jahren eine der Jüngsten. Sie ist Fackelträgerin - die erste Stufe in einer "Meßdienerkarriere". Meßdiener oder Ministranten - das meint dasselbe: dem Priester in der Messe behilflich sein. Die nächste Stufe ist der Dienst am Altar, dann folgt der Weihrauchdienst. Einige haben sich noch zum Turm- oder Glockenführer qualifiziert. Mit ihrer weiß-roten Ministrantentracht und der Fackel in der Hand ist Claudia ein Blickfang. Da muß man doch aufgeregt sein

Aber psst! David, einer der drei Oberministranten, gibt letzte Anweisungen: "Ruhe jetzt. Zuhören. Alles klar? Fackeln. Leuchter. Beim Einzug Spalier bilden. In Zweierreihe. Erstes Lumen Christi: Hauptportal. Zweites Lumen Christi: Alle Fackeln an. Lichter austeilen. Drittes Lumen Christi am Altar: In der ersten Reihe Platz nehmen." Das alles haben sie in den Ministrantenstunden oft geübt. David hat es vorhin noch einmal erklärt. Die kurzen Kommandos müssen reichen. Es ist nicht einfach für die Oberministranten, alle in Schach zu halten und stets darauf zu achten, daß alles nach Plan abläuft, daß Ruhe bleibt

David nimmt seine Aufgabe ernst. Er ist Vorbild für die anderen. Wenn er gebraucht wird, ist er da. Die Ostertage verbringt er mehr in Jakobus als zu Hause. Heute Vormittag spielte er schon beim Passionsspiel der Kinder mit, kniete dann eine Stunde vor dem Heiligen Grab. Das ist hinten in der Kirche aufgebaut und wird zwischen Karfreitagsliturgie und Osternacht ständig von den Ministranten bewacht. Morgen früh geht es für ihn mit der Zehn-Uhr-Messe weiter

Angeblich ist Ministrieren - ohne einen Pfennig dafür zu bekommen - nicht mehr zeitgemäß, nicht mehr "in". Was bewegt junge Menschen, ihre Freizeit am Altar zu verbringen? "Fast alle Kinder und Jugendlichen haben noch andere Hobbys", sagt Pfarrer Wolfgang Kresak. "Mindestens drei Viertel gehen in die Musikschule; andere gehen zum Tanzen, Reiten oder zum Sport". Francisco zum Beispiel spielt Fußball, Tischtennis und Gitarre. Er ist außerdem der dritte Oberministrant. Für ihn ist klar: "Man muß sich Zeit nehmen für's Ministrieren, und wenn man das nicht will, dann kann man das eben nicht machen."

Denn da sind zum Beispiel die Ministrantenausflüge, Fußballspiele gegen die polnische Partnergemeinde und die vielen gemeinsamen Erlebnisse ... "Die Gemeinschaft ist groß bei den Minstranten", meint der 14jährige. "Man versteht sich gut. Das ist eigentlich die Hauptsache. Und man will ja Gott dienen!"

Gott dienen. Gudrun ärgert sich: Die Dienste werden oft einfach bestimmt von den Oberministranten. Und dann noch die neue Regel: Jeder sollte mindestens ein Mal die Woche ministrieren. Manchmal ist es schon anstrengend, nach acht Stunden Schule noch zur Kirche zu gehen. Gudrun sieht nach den drei letzten Tagen etwas geschafft aus. Jetzt wartet noch eine zweistündige Osternacht auf sie. Aber es macht doch Spaß: "Die Freude, die man hat beim Ministrieren - da braucht man eigentlich nichts dafür."

Und David bringt's auf den Punkt: "Man kriegt ja auch die Gelegenheit, die Messe besser zu sehen, mitzufeiern, weil man viel näher dran ist. Da ist das ganz anders, als wenn man in der Bank sitzt und immer aufstehen und sich dann wieder hinsetzen muß. Man muß eben was machen, Kelche tragen und so - da geht man auch mal unter der Woche ministrieren." Ganz nah am Altar sein und den Gottesdienst selbst und mit Freunden mitzugestalten - Das ist es also, was die zehn- bis 18jährigen bewegt, freiwillig für "Gotteslohn" zehn Minuten vor dem Gottesdienst die Jeansjacke gegen den Ministrantenrock einzutauschen

Es ist noch dunkel in der Kirche. In der Osternacht haben die 20 Ministranten voll zu tun. Sie sind es, die das Osterfeuer von draußen, wo es vorher entzündet wurde, hereintragen und an die Gemeinde verteilen - mit Leuchtern, die sie selbst blankgeputzt haben

In einem großen Zug vor der Schola, Diakonatshelfern, Priestern und dem Altbischof ziehen sie zum Altar. Unsicher schauen Tobias und Sebastian zu den Fackelträgern auf der rechten Seite: Wann und wohin genau mußten sie doch gleich schwenken? Am Ende haben alle ihren Platz in der ersten Reihe gefunden. Unzählige Kerzen brennen in der ganzen Kirche

Pfarrer Wolfgang Kresak singt das "Exsultet", das große Osterlob. Die Kirchenbeleuchtung geht an. Festlich geschmückt ist die Kirche mit Blumen und viel Grün. Das fällt auf nach der Karfreitags-Tristesse. Endlich läuten auch wieder die Glocken, die seit Gründonnerstag geschwiegen hatten. Dazu klingeln Monika, Theresia und David lange und laut die Schellen. Sie legen sich mächtig ins Zeug. Die Gemeinde singt das Gloria. Auferstehung. Ostern. Es läuft gut

Nach dem Gottesdienst stürmen alle Ministranten aus der Sakristei - in Jeansjacke oder Anorak. David, Francisco und Markus machen gleich die Überraschungseier auf, die sie bekommen haben: "Geschafft für heute! Gott sei Dank! Nichts wie heim! Puh, und morgen schon wieder um zehn Uhr auf der Matte!"

Claudia Breitkopf

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 15 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.04.1999

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