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Aus der Region

Moraltheologe Römelt zum Balkan-Krieg

Interview

Ist die Gewaltanwendung der Nato auf dem Balkan zu verantworten? Über diese Frage sprach der Tag des Herrn mit dem Erfurter Moraltheologen Josef Römelt:

Frage: Herr Professor Römelt, ist vom christlichen Glauben her der Einsatz militärischer Gewalt gegen Serbien zu rechtfertigen?

Römelt: Es gibt die Pflicht, wehrlosen Menschen, die von anderen bedroht und ums Leben gebracht werden, Hilfe zu leisten. Es ist naiv zu meinen, dies sei immer ohne Gewaltanwendung möglich. Insofern kann militärische Gewalt als "ultima ratio", als allerletztes Mittel, gerechtfertigt sein

Frage: Die Bomben auf Ser-bien haben aber doch das Gegenteil bewirkt: Mehrere hunderttausend Menschen sind seit Beginn der Luftangriffe von den Serben vertrieben worden, Frauen wurden vergewaltigt, Männer gequält und erschossen ..

Römelt: Das ist das große, schreckliche Problem. Offensichtlich haben die Verantwortlichen die Lage falsch eingeschätzt oder sich gar zuwenig nach den Folgen der Bombardements gefragt. Die Pflicht, Wehrlosen beizustehen, heißt sehr wohl, die Vor- und Nachteile bestimmter Mittel abzuwägen, bevor ich sie einsetze. Man kann den Eindruck haben, daß dies nicht passiert ist, sondern nur Klarheit bestand: Wir müssen jetzt die angedrohte Gewalt wahrmachen. Von daher war die Vorgehensweise wohl falsch

Frage: Bedeutet dies nicht, daß die Nato ihre Kriegshandlungen sofort einstellen müßte?

Römelt: Ich werde das Gefühl nicht los, das unser Einsatz für die Menschenrechte der Kosovo-Albaner nur halbherzig ist. Engagieren wir uns nicht letztlich zu distanziert, um - was durchaus verständlich ist - die eigenen Soldaten zu schonen, und verschärfen und verlängern dadurch das Leid der Menschen und vergrößern das Chaos?

Frage: Sie meinen, man hätte längst am Boden Soldaten einsetzen müssen, um den Kosovo-Albanern wirklich zu helfen?

Römelt: Ja. Nur durch wirkliche, unmittelbare Anwesenheit hätte vielleicht manche Gewalt gegenüber Zivilisten verhindert werden können

Frage: Zum Preis von Opfern unter den Nato-Soldaten ..

Römelt: Ja, möglicherweise

Frage: In der Geschichte der Moraltheologie gibt es die Lehre vom gerechten Krieg. Ist diese Theorie auf den Kosovo anzuwenden?

Römelt: Wir müssen heute eingestehen, daß wir sowohl mit der Vorstellung, man könnte unter Umständen Gewalt einsetzen, um eine gute Sache zu befördern, als auch mit dem einfachen Glauben, mit einer zunehmenden Demokratisierung der Welt werde sich der Frieden nach und nach immer mehr von selbst ausbreiten, am Ende sind. Die meisten Kriege nach 1945 waren Bürgerkriege. Aber auch auf den Ersten und den Zweiten Weltkrieg war die Lehre vom gerechten Krieg schon nicht mehr anzuwenden. Wir haben heute in der christlichen Ethik kein schlichtes, einliniges Instrumentarium mehr, mit dem wir unser Gewissen beruhigen könnten. Und zu diesem Eingeständnis müssen wir stehen

Frage: Worin besteht der Unterschied, einerseits zu sagen, Gewalt kann als letztes Mittel gerechtfertigt sein, und zugleich einzugestehen, daß es keine solide Rechtfertigung für die Bomben gibt?

Römelt: Wenn ich theoretisch sage, es ist ethisch legitim, Gewalt gegen einen Diktator schlimmster Sorte anzuwenden, so ist dies etwas anderes als wenn ich mich mit der Situation konfrontiert sehe, wehrlosen Menschen mit geeigneten Mitteln beistehen zu müssen. Das aufgezwungene und spontane Handeln dabei steht ethisch immer auf unsicherem Boden und muß dennoch getan werden

Frage: Die Nato handelt ohne Uno-Mandat. Halten Sie dies für vertretbar?

Römelt: Eine Weltfriedensordnung kann nur auf Kommunikation zwischen den Völkern beruhen. Von daher ist eine Einbindung der Vereinten Nationen unbedingt notwendig

Frage: Welche Aufgabe kommt neben humanitärer Hilfe jetzt der Kirche zu?

Römelt: Die Kirche hat die Pflicht, nachdrücklich an die Grenzen der Gewalt zu erinnern. Dies ist etwa deutlich, wenn sich Papst Johannes Paul II. für eine friedliche Lösung einsetzt und Korridore der Humanität gefordert hat. Zudem erleben wir derzeit eine Kriegsberichterstattung unguter Art. Der Krieg wird nicht selten als ein faszinierendes technisches Problem vorgeführt. Mit der Wahrheit wird es in der Eigendynamik der Gewalt schwierig. Dies muß die Kirche beim Namen nennen

Interview:Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.04.1999

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