Jetzt 4 Wochen kostenfrei Tag des Herrn lesen!
Aus der Region

Zum Freisemester nach Rio, Salzburg und anderswo

Theologiestudenten

Wer Theologie studiert, läßt sich auf eine vielseitige Wissenschaft ein, die zugleich mit dem eigenen Glauben konfrontiert. Die Zugänge, nach Gott und seiner Welt zu fragen, können dabei recht unterschiedlich sein. Seit der Wende haben auch die Theologiestudenten in Erfurt die Möglichkeit, während des fünften und sechsten Semesters an anderen Hochschulen zu studieren. Sie haben damit Gelegenheit kennenzulernen, wie anderswo theologisch gedacht wird, und zugleich die Chance, nebenbei einmal etwas Besonderes zu tun. Der Tag des Herrn sprach mit Studenten über ihre Erfahrungen

"Während meiner Zeit an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Bonn habe ich intensiv studiert", erzählt Monika Wenderdel aus Grimma. "Besonders interessant fand ich, welcher Wert dort auf die Verbindung mit dem Judentum gelegt wird", so die 21jährige. Gern erinnert sich die Theologiestudentin auch an die altestamentlichen Vorlesungen über das Buch Rut, das die Bonner Professorin Irmtraud Fischer teilweise aus feministischer Perspektive auslegt. Monika Wenderdel absolvierte während ihrer Externitas (Freisemester) jedoch nur ein Semester in der früheren Bundeshauptstadt und wechselte dann nach Freiburg im Breisgau. Hier hörte sie die Vorlesungen in Moraltheologie besonders gern. Interessant fand sie auch das der Kirchengeschichte zugeordnete Fach "Frömmigkeitstheologie", in dem sie ein Seminar belegte. Dennoch, so gesteht Monika Wenderdel: "In Freiburg habe ich nicht soviel studiert, sondern eher gelebt: Ich war viel mit dem Fahrrad unterwegs, habe mir viel angeschaut ..." Bedauernd stellt sie allerdings fest: "Gerade im Westen ist mir immer wieder kritisch die Frage gestellt worden, warum ich Theologie studiere, denn Kirche wäre doch nicht etwas, was man mögen könnte."

Ebenfalls in Freiburg studierte Schwester Bernadette Pruß von den Alexanderdorfer Benediktinerinnen. In Freiburg-Günterstal gibt es ein Kloster der Benediktinerinnen der heiligen Lioba, in dem sie während dieser Zeit mitleben konnte. "Ich habe die Erfahrung gemacht, daß in Freiburg andere Akzente gesetzt werden. Vom theologischen Standard her sind Erfurt und Freiburg aber sicher gleich, denke ich." Angetan war die 34jährige Ordensfrau zum Beispiel von der spekulativen und spirituell anregenden Art der Vorlesungen des Dogmatikers Gisbert Greshake, bei dem sie Schöpfungslehre und Christologie hörte. Daneben belegte sie zum Beispiel auch eine Vorlesung über christliche Archäologie. Während ihrer Zeit in Freiburg erlebte die Theologiestudentin einen dreiwöchigen Uni-Streik der Studenten wegen zu hoher Studiengebühren und schlechter Studienbedingungen - auch dies sei eine eigene Erfahrung gewesen, so die Benediktinerin

Tobias Reinhold (22) verbrachte seine Freisemester in Salzburg. Der aus Deuna stammende Priesteramtskandidat empfand dort vor allem die Vorlesungen in Pastoraltheologie als "sehr anregend" und schreibt in diesem Fach seine Diplomarbeit. Bemerkenswert fand er auch, daß es in Salzburg für jeden Priesteramtskandidaten Pflicht ist, ein Seminar in seelsorglicher Gesprächsführung zu belegen. Gewohnt hat Reinhold in dieser Zeit in einem Privatzimmer. "Ich habe mich um ein persönliches geistliches Leben bemüht, regelmäßig bei den Franziskanern ministriert, meine allererste Predigt gehalten ..." "Verunsichert" haben ihn hingegen in dieser Zeit die Bekanntgabe der römischen Instruktion über die Laien und die spannungen unter den österreichischen Bischöfen


Für Kestutis Palepsys (26) und Mindaugas Sabonis (22) aus Litauen ist ihr mehrjähriger Aufenthalt in Erfurt gewissermaßen die Zeit ihrer Freisemester. Den litauischen Priesteramtskandidaten, deren Studium vom Bistum Magdeburg finanziert wird, sind in Erfurt besonders die Fächer Altes und Neues Testament wichtig. Zugleich wollen sie auch seelsorgliche Erfahrungen aus der deutschen Kirche mitnehmen. "Größtes Problem" ist zunächst, die deutsche Sprache zu lernen, die auch den Zugang zur deutschsprachigen theologischen Literatur ermöglicht. In Litauen gibt es nur eine theologische Hochschule in Kaunas, an der nach Angaben der Studenten vor allem die Philosophie "stark betont" wird

Holger Schiel (23) aus Trier verbringt seine Freisemester in Erfurt. "Ich wollte bewußt Theologie und die kirchliche Situation in Ostdeutschland kennenlernen und stelle fest: Fragen wie: Warum bin ich Christ und was heißt das, werden hier viel intensiver gestellt als im noch volkskirchlich geprägten Westen", so der Priesteramtskandidat


Von der "total anderen Mentalität" der Menschen in Irland waren Hans-Martin Samietz und Friederike Stratmann beeindruckt. Beide verbrachten ihre Freisemester am All Hallows College in Dublin. "Die Iren praktizieren eine sehr handgreifliche Religiosität", erzählt der aus Gotha stammende Priesteramtskandidat Samietz. "Ich habe dort Exerzitien mitgemacht und dabei erlebt, wie stark irische Spiritualität von der Symbolik der Natur her lebt. Wir haben zum Beispiel an einer umgebrochenen Birke Leben, Sterben und Auferstehung Jesu meditiert ...". Friederike Stratmann aus Lippstadt ergänzt: "Die Religion spielt dort eine viel größere Rolle als bei uns. So manches am Volksglauben der Iren ist zwar unreflektiert, aber ihr Glaube kommt ganz aus dem Herzen. Hier in Deutschland", so die 24jährige Studentin, "kniet man vor dem Kreuz, dort umarmen die Menschen das Kreuz." Von dieser ganzheitlichen Religiosität könne man für die seelsorgliche Arbeit mit Kindern viel lernen, glaubt Hans-Martin Samietz. Angetan war der Student auch von der am Dubliner College angebotenen Abendausbildung für in der Seelsorge ehrenamtlich Tätige

"Meine Externitas lief ganz anders als ich erwartet hatte", erzählt Dominik Trost aus Heiligenstadt. Der 23jährige verbrachte seine Freisemester in Wien. "Das Studium war in Ordnung: Altes Testament, Neues Testament, Pastoraltheologie bei Paul Zulehner. Was aber nicht besonders lief, war meine Absicht, in einer Wiener Pfarrei im 15. Bezirk in der Gemeindearbeit mittun zu können." Grund: In die Gottesdienste kamen nur alte Menschen - keine jungen Familien und keine Kinder. "Von 5000 Gemeindemitgliedern kamen nicht mal zehn Prozent zur Sonntagsmesse..."


Einen Studienort besonders weit entfernt von Erfurt hatte sich Roswitha Pusch (23) aus Dessau ausgesucht. Sie ging nach Rio de Janeiro in Brasilien. Während des Studiums an der dortigen Jesuiten-Universität arbeitete die Studentin drei Wochen in einem Elendsviertel (Favela) der Stadt Belo Horizonte in einer Kindertagesstätte mit. Das von einer Italienerin geleitete Projekt verbindet die Arbeit mit den Kindern bewußt mit der Sorge um die jeweilige Familie. "Ich habe mit in der Favela gewohnt. Wenn man so selbst auch mitten unter den Armen lebt, ist die zu überwindende Hürde, für sie dazusein, nicht so hoch", sagt Roswitha Pusch. "Die großen sozialen Fragen der Region sind ein wichtiger Gesichtspunkt für die dortige Art, Theologie zu treiben."

Vergleichbare, aber auch andere Erfahrungen sammelte die Görlitzerin Ines Hansel (22) während ihrer Freisemester an der katholischen Hochschule St. Joseph in Cedara bei Pietermaritzburg in Südafrika. "Eines der Hauptprobleme der Theologie dort ist das Bemühen, eine eigene afrikanische Theologie und Liturgie zu entwickeln und so den christlichen Glauben stärker zu inkulturieren", sagt die 22jährige. Viele Afrikaner gingen zur Sonntagsmesse und feierten anschließend ihre afrikanischen Kulte. Positiv ist Ines Hansel aufgefallen, "wie selbstverständlich die Ökumene gelebt wird"

Eckhard Pohl

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.04.1999

Aktuelle Empfehlung

Der TAG DES HERRN als E-Paper - Jetzt entdecken!

Aktuelle Buchtipps