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Bistum Erfurt

Staatsminister bei Kreuzgang-Gesprächen zu Gast

Erfurt

Erfurt (ck) - Den Auftakt der diesjährigen Kreuzgang-Gespräche hat am vergangenen Donnerstag Staatsminister Steffen Heitmann aus Dresden gemacht. Sein Thema lautete "Deutschland im neunten Jahr nach der Wiedervereinigung". Zu den Kreuzgang-Gesprächen laden das Philosophisch-theologische Studium Erfurt und das Katholische Forum in Thüringen ein

Heitmann stellte zu Beginn die Frage, in wieweit die epochalen Veränderungen von 1989 / 1990 überhaupt als Revolution zu bezeichnen seien. Mit Sicherheit seien die Veränderungen keine "Wende" gewesen. Denn man habe nicht nur eine Kehre gemacht, sondern komplett das Fahrzeug gewechselt. Es seien vor allem die Ostdeutschen gewesen, die diese Veränderungen erzwungen hätten. Die Friedlichkeit dieser Revolution sei eine großartige Leistung gewesen. Folge davon sei aber, daß keine konsequente Erneuerung stattgefunden hätte. Das absurdeste Ergebnis ist, daß die Partei, die die Hauptschuld an der heutigen Misere trägt, heute in den Parlamenten sitzt, so Heitmann. Ganz Deutschland jedoch habe sich verändert. Dies werde im Westen jedoch nur langsam erkannt

Nach dem Überschwang der Gefühle mache sich nun Ernüchterung breit. An die Stelle der Hoffnungen von 1989 treten neue Ängste vor Arbeitslosigkeit, Kriminalität, einem diffusen Europa und vor ungebremster Zuwanderung. Mit dem Eintritt von demokratieunerfahrenen Menschen in eine alte und manchmal schwerfällig gewordene Demokratie, in der einzelne Gruppen ihre Besitzstände zu wahren versuchten, sei zwangsläufig ein Prozeß der Enttäuschung eröffnet worden. Er sei jedoch zuversichtlich, daß auch in den enttäuschten Menschen eine Ahnung davon vorhanden sei, daß die Demokratie die bessere Regierungsform ist, sagte Heitmann

Das eigentliche Problem der Wiedervereinigung sei die emotionale Bewältigung der gewaltigen Veränderungen, die den Menschen seit dem Fall der Mauer abverlangt werde. Die Menschen in Ost und West seien sich ähnlicher als sie oft glaubten, so Heitmann. Der Ruf nach dem allversorgenden Staat sei im Westen ähnlich verbreitet wie im Osten. Zu viele Menschen in den neuen Bundesländern empfänden noch immer die Folgen der Einigung als ungerecht. Es herrsche bei vielen das Gefühl der Kolonisierung und der Überfremdung vor. Solange ein solches Gerechtigkeitsdefizit empfunden werde, werde den Menschen im Osten eine Ostidentität regelrecht aufgewungen, warnte Heitmann. Vor der Gesellschaft stehende große Probleme würden hingegen tabuisiert, so Heitmann. Das wiedervereinigte Deutschland sei von einem Moral- und Autoritätsverfall von beängstigendem Ausmaß geprägt. Die zunehmende Dominanz der Ökonomie sei ein Alarmzeichen. Notwendig sei ein generelles Umdenken, das die Ökonomie wieder ihrem Gemeinzweck zuführe. Zudem müßten die ideologischen Fronten und Denkblockaden aufgebrochen werden, um in Deutschland wieder eine ideologiefreie Diskussion zu ermöglichen, die letztendlich Zukunft ermögliche. Dann könnte eine Rückkehr der Deutschen in die Geschichte erfolgen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 16 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.04.1999

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