Frauen aus Ost und West zwischen Beruf und Familie
Begegnungswerkstatt
Wolfen (jk) - Zu einer Begegnungswerkstatt "Frauen und Arbeit" trafen sich 35 Frauen aus Ost und West am vergangenen Wochenende in der evangelischen Friedensgemeinde Wolfen-Nord. Die Tage sollten Gelegenheit bieten, das Arbeitsleben von Frauen in West und Ost kennenzulernen und zu überlegen, welchen Anforderungen eine frauengerechte Arbeit genügen muß. Dr. Annette Schleinzer von der Huysburg stellte dazu in einem Vortrag die Biografien einer ost- und einer westdeutschen Frau vor. Zuvor erklärte sie, daß die außerhäusliche Erwerbsarbeit für Frauen noch nicht besonders alt sei. Zunächst arbeiteten die Frauen vor allem in drei Bereichen: in der Landwirtschaft, als Fabrikarbeiterinnen oder als Dienstmädchen.
Schon damals stellte sich die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, so Annette Schleinzer. Verheiratete Frauen sollten sich über ihre Kinder definieren und allenfalls etwas Heimarbeit leisten. Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts sei Erwerbsarbeit in bürgerlichen Kreisen verpönt gewesen. Noch in den 50er und 60er Jahren gehörte es in Westdeutschland zum guten Ton, daß eine Frau aus bürgerlichen Kreisen zu Hause blieb. In der DDR dagegen war es eher umgekehrt. Wer hier Hausfrau sein wollte, mußte sich ebenso rechtfertigen, betonte Annette Schleinzer
Dieser Gegensatz wurde auch in den beiden Biografien eder Frauen aus Ost und West deutlich. Während Waltraud Thomas aus Oschersleben immer klar war, daß sie trotz ihrer drei Söhne keine Hausfrauenrolle übernehmen wollte, blieb Waltraud Bölte aus Süddeutschland scheinbar selbstverständlich zu Hause, um die vier Kinder großzuziehen. Sie ebnete damit der Karriere ihres Mannes den Weg und erinnert sich: "Ich habe mir früh überlegt, daß ich nicht beleidigt sein darf, wenn mir die Kindererziehung zufällt."
Waltraud Thomas dagegen probierte unterschiedliche Formen der Kinderbetreuung aus: Kinderkrippe, Tagesmutter oder ein zeitweises Aussetzen vom Beruf. Heute arbeiten beide Frauen: Waltraud Bölte ist Diözesanvorsitzende des Frauenbundes Rottenburg-Stuttgart, Waltraud Thomas ist zur Zeit Jugendpflegerin
Dr. Annette Schleinzer stellte in ihrem Vortrag fest, daß bei beiden Frauen trotz vieler Unterschiede Grundstrukturen gemeinsam seien: Beide mußten sich überlegen, wie sie Beruf oder Ehrenamt und die Kindererziehung organisieren und waren immer wieder vor neue Entscheidungssituationen gestellt
In Arbeitsgruppen trafen sich anschließend die Teilnehmerinnen, um über ihre Ansichten von Arbeits- und Familienwelt ins Gespräch zu kommen. Viele der ostdeutschen Frauen meinten, daß seit der Wende eine viel stärkere Flexibilität gefordert sei als vorher. Seit dieser Zeit würden die alten traditionellen Bilder stärker betont als vorher. Für andere wurde im Gespräch deutlich, "daß die Gesellschaft darunter leidet, daß der Wert der Arbeit der Frau in der Familie nicht genügend geschätzt wird."
Es gebe zwischen ost- und westdeutschen Frauen eine große Parallele. Die persönliche Entscheidung, ob man arbeiten geht oder nicht, mußte immer dagegen abgewogen werden, was von außen vorgegeben wird. In der DDR war das die Staatsdoktrin. Die westdeutschen Frauen mußten sich gegen traditionelle Frauenbilder behaupten oder damit klarkommen. Und bei allen ging es auch immer darum, ob es sich die Familie finanziell leisten kann, daß die Ehefrau zu Hause bleibt.
Ein anderer Programmpunkt war ein Vortrag von Dr. Edda Winter aus Königswinter zum Thema "Wert unserer Arbeit oder: Ehrenamt statt Erwerbsarbeit". Dabei wurde deutlich, daß Erwerbsarbeit, das Ehrenamt und Hausarbeit gleichrangig bewertet werden müssen. Vor allem die Hausarbeit müsse gesellschaftlich aufgewertet werden. Außerdem sei es notwendig, daß alle drei Formen von Arbeit Männern und Frauen gleich möglich sein müßten
Das dreitägige Seminar wurde veranstaltet von der Ökumenischen Arbeitsgruppe Expo 2000, den Katholischen Akademien Magdeburg und Berlin, Steig e. V. (Studiengruppe Entwicklungsprobleme der Industriegesellschaft) und dem Katholischen Deutschen Frauenbund (KDFB).
Für Dr. Joachim Klose von der Katholischen Akademie Berlin war die Frage interessant, wie und warum die meisten Frauen von vornherein auf eine Doppelbelastung als Hausfrau und Berufstätige festgelegt werden
Der katholische Akademiedirektor Hans-Joachim Marchio erklärte, daß das Seminar bewußt in Wolfen stattgefunden hat: "Hier gibt es viel sozialen Brennstoff und die Arbeitslosigkeit ist sehr hoch."
Die westdeutschen Seminarteilnehmerinnen waren in Gastfamilien der evangelischen Friedensgemeinde und des katholischen Pfarrverbandes Wolfen untergebracht. Auch dies sollte ein Beitrag sein, einen lebendigen Dialog zwischen Ost und West in Gang zu bringen
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 25.04.1999