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Bistum Görlitz

Anlaufstelle für psychisch kranke und behinderte Menschen in Forst

Caritas

Forst (jh) - Bernd Joachim hat eine neue Hose - eine schwarze Jeans. Diese Nachricht wird sicherlich nicht so viele vom Hocker reißen. Doch für Herrn Joachim ist die neue Hose etwas besonderes. Seine psychischen Probleme machen ihm einen Einkauf nämlich schwer. Die letzte neue Hose ist schon ziemlich lange her. Doch kürzlich sind Carola Hoffmann und Brigitte Kaiser mit ihm einkaufen gewesen - und heute hat er das gute Stück hier zum ersten Mal an - hier in der Kontakt- und Beratungsstelle (KBS) der Caritas für psychsisch kranke und behinderte Menschen, wo er und die beiden Frauen nachmittags oft hingehen

Gerade solche kleinen Begebenheiten fallen auf und zeigen, daß es vorwärts geht, erklärt Sabine Szecny, als sie nach den Fortschritten in der Beratungstelle gefragt wird. Die Diplom-Sozialarbeiterin ist bei der Forster KBS beschäftigt, gemeinsam mit der Sozialberaterin Roswitha Hoffmann und dem Diplom-Sozialarbeiter Markus Adam. Ihre 50-Prozent-Stellen werden vom Land Brandenburg gefördert. Mit ihrer Arbeit setzen sie sich dafür ein, daß Menschen mit psychischen Erkrankungen aus Forst und Umgebung hier Hilfe bekommen. Ihr größtes Anliegen ist, daß die Leute, die wegen ihrer Krankheit nicht so gut mit dem Alltäglichen zurechtkommen, ihre Aufgaben Schritt für Schritt wieder besser bewältigen können. Einerseits bieten Sabine Scezny, Roswitha Hoffmann und Markus Adam Beratungsgespräche an, aber daneben stehen sie den Männern und Frauen, die zu ihnen kommen, auch einfach im Alltag beiseite

Immer nachmittags sind die zwei kleinen Räume am Forster Gutenbergplatz geöffnet. An jedem Wochentag gibt es ein anderes Angebot

Heute ist Dienstag. Das bedeutet: Kaffeerunde. Die lassen sich viele nicht entgehen. Deshalb ist es heute auch etwas enger als sonst in dem Raum, hier, wo neben den Küchenschränken und dem Waschbecken, den Regalen mit Büchern und CDs und dem Schreibtisch die Kaffeetafel geradeso Platz findet. Neben dem Plätzchenteller stehen frische Tulpen, die noch gar nicht richtig aufgeblüht sind, und ein Körbchen mit sorbischen Ostereiern. Die haben die Besucher der KBS kurz vor Ostern selbst verziert. Eine Referentin der Volkshochschule des Landkreises war extra gekommen, um die sorbische Wachstechnik zu erklären. Jeden Freitag gibt es einen von der Volkshochschule vermittelten Vortrag. Wissenswertes über die Gesundheit, Sagen aus der Heimat und die Forster Stadtgeschichte stehen dann auf dem Programm, ein anderes Mal die Besichtigung eines Kräutergartens oder Informationen darüber, was die Krankenversicherung alles zahlt. Montags ist "Klub"- dann werden die Gesellschaftsspiele auf dem Tisch ausgebreitet. Immer mittwochs ist die kleine Küche im Raum wichtig, denn dann wird gebacken und gekocht. Und am Donnerstag gilt es, die eigene Kreativität auszutesten, etwa bei der Seidenmalerei, beim Körbe flechten, bei Papierarbeiten oder beim Basteln - je nachdem, was so in die Jahreszeit paßt

Die beiden noch jüngeren Nebenstellen der KBS in Guben und Spremberg sind noch im Aufbau und nur an zwei Nachmittagen in der Woche geöffnet

Die Angebote werden unterschiedlich stark genutzt. Mal sind nur zwei Leute da, mal kommen zehn oder zwölf. Diese Schwankungen müsse man akzeptieren, meint Frau Scezny. Man dürfe auch nicht vergessen, daß gerade psychische Probleme sehr oft von der Stimmung abhängig sind. Und außerdem sei es ja auch normal, daß nicht jeder gerne bastelt oder kocht. Insgesamt kommen 59 Leute aus Forst und Umgebung. Der "harte Kern" ist allerdings kleiner. Männer und Frauen zwischen 18 und 72 gehören dazu. Natürlich gebe es auch Konflikte zwischen ihnen, erklärt Sabine Scezny, aber im großen und ganzen sei die Gemeinschaft doch schon ein bißchen zusammengewachsen. Wenn einer Weihnachten alleine ist, dann lädt ein anderer ihn ein. Oder Herr Joachim, Frau Hoffmann und Frau Kaiser suchen eben gemeinsam eine Hose aus ..

An der Fassade des Gebäudes hängt ein Schild mit dem Caritas-Logo. "Kontakt- und Beratungsstelle für psychisch kranke / behinderte Menschen" steht darauf. Die Überwindung sei sicher erstmal sehr groß, an diesem Schild vorbei in die Räume der Beratungsstelle zu gehen, so schätzen es die Mitarbeiter ein, denn man müsse sich seine Krankheit eingestehen. Nach ihrer Erfahrung sei dieser Schritt schwieriger als die Entscheidung für eine Beratungsstelle von der Kirche. Viele der Männer und Frauen sind keine Kirchgänger, manche gar nicht getauft. Aber hier sind alle eingeladen. Oft kommen in den Gesprächen jedoch Fragen auf, die mit Schuld und Sünde zu tun haben. Einsamkeit und Ängste sind immer wiederkehrende Themen. Doch nicht sie allein, auch andere handfeste psychische Krankheiten treten auf, mit denen die Mitarbeiter trotz ihrer Ausbildung und intensiven Zusatzschulung überfordert wären. Sie sind aber nicht allein gelassen, denn sie arbeiten mit Psychiatern und anderen Fachleuten zusammen. Meist schicken diese auch Patienten zur KBS. Und dann entscheidet mitunter der allererste Eindruck darüber, ob sie sich hier wohlfühlen und wiederkommen. Das sei eine der größten und schwierigsten Anforderungen an sie, meint Sabine Scezny: Einen guten Kontakt zueinander aufzubauen und ganz behutsam gegenseitiges Vertrauen zu entwickeln

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 17 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 02.05.1999

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