Christentum und Moderne im Dialog an Berliner Humboldt-Uni
Guardini-Lectures 1999
Berlin - In Europa und nicht zuletzt in Deutschland haben immer weniger Menschen einen positiven Zugang zum christlichen Glauben. Ist dies ein Zeichen für das Veralten des einst so kulturprägenden Christentums? Besitzt die christliche Botschaft für das heutige Leben keine innovative Kraft mehr? Diesen Fragen widmen sich die Guardini-Lectures 1999, zu denen in diesen Tagen die Katholische Akademie in Berlin und die Katholische Studentengemeinde Maria Sedes Sapientiae in die Berliner Humboldt-Universität einladen
Die Vorlesungsreihe, die an das Wirken des Religionsphilosophen Romano Guardini in Berlin anknüpft, findet zum zweiten Mal statt. Zu Zeiten der Nationalsozialisten und in der DDR an der Humboldt-Universität undenkbar, wird damit ein Forum geboten, das den fairen Dialog zwischen Christen und Nichtglaubenden befördern will. Das diesjährige Thema "Überlebt das Christentum die Moderne?" scheint mehr als geeignet gerade für dieses Gespräch. Und dies an einem Ort, an dem über Jahrzehnte Ideologie die Wissenschaft beherrschte und im Uni-Hauptgebäude Unter den Linden Besuchern noch immer der Marx`sche Satz ins Auge springt: "Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern." Für die Guardini-Lectures 1999 konnte der renommierte Bielefelder Soziologe Franz-Xaver Kaufmann gewonnen werden
Vor Beginn der ersten der vier Vorlesungen erinnerte Bildungsreferent Thomas Brose, der maßgeblich am Entstehen der Guardini-Lectures beteiligt war, an die große Zahl der dem Christentum eher ablehnend gegenüberstehenden Ostdeutschen. Für viele, die "unter dem geteilten Himmel aufgewachsen sind", sei Glaube etwas Gestriges, sagte der Theologe vor 200 Teilnehmern der Veranstaltung. Brose hält auch von daher die über Jahrzehnte atheistisch geprägte Humboldt-Universität für einen "besonders geeigneten und dazu herausfordernden Ort", als Christen den Dialog mit Nichtglaubenden zu führen
In einem Grußwort beklagte der erste Vizepräsident der Humboldt-Universität, der evangelische Theologe und Bürgerrechtlicher Richard Schröder (SPD), das Fehlen einer katholisch-theologischen Fakultät an der Hochschule und erinnerte daran, daß dies nicht zuletzt auf "erhebliche innerkatholische Probleme" zurückzuführen sei. Prälat Franz-Xaver Walter, Vertreter des Erzbistums Berlin, griff Schröders Ausführungen auf und sagte: "Wir selbst sind angefragt, wie weit wir schon begriffen haben, worum es eigentlich gehen müßte." Als Christen, so Prälat Walter, "sollten wir uns darüber im klaren sein, daß wir eine sehr offene Zukunft vor uns haben und daß es auch an uns liegt, was darin geschieht". Daß das Thema "Überlebt das Christentum die Moderne?" für den Katholiken Kaufmann "keine rhetorische Frage", sondern ein zentrales Problem seines jahrzehntelangen Forschens ist, darauf wies die Direktorin der Katholischen Akademie, Susanna Schmidt, bei der Vorstellung des Soziologen hin. Zudem habe Kaufmann immer wieder seine "kritische Unbestechlichkeit auch gegenüber der Kirche" unter Beweis gestellt
Kaufmann widmet sich dem ihm gestellten Thema "Überlebt das Christentum die Moderne?" in vier Schritten. Bei seiner ersten Vorlesung fragte er nach Gründen, die das Christentum von einer kleinen jüdischen Gruppe zur bestimmenden Religion des Römischen Reiches werden ließ. Ursachen sieht der Soziologe in der erfahrungswissenschaftlich nicht zureichend zu beschreibenden Auferstehungserfahrung des Jüngerkreises. Später hätten dann die "große Offenheit und starke Integra-tionsfähigkeit" sowie die gute Organisation der Gemeinden zum "Aufstieg des Christentums" beigetragen. Ob sich der christliche Glaube ohne die politische Protektion Kaiser Konstantins hätte durchsetzen können, ließ Kaufmann offen
Bei seiner zweiten Vorlesung fragte der Wissenschaftler nach dem Beitrag des Christentums für die Entwicklung Europas und wies nach, wie maßgeblich christliche Überzeugungen für die Ausbildung des heutigen Menschenrechtsverständnisses waren. "Modernisierung, Säkularisierung und Verkirchlichung des Christentums" stehen im Mittelpunkt des dritten Abends. Die letzte Vorlesung widmet sich dem Thema "Gesellschaft, Religion und Christentum im Horizont von globaler Interdependenz und Selbstverwirklichungsansprüchen". Dabei soll es um Konsequenzen für die Kirche und den christlichen Auftrag heute gehen.
Eckhard Pohl
Die Guardini-Lectures finden noch am 11. und 18. Mai, jeweils 18.00 Uhr, im Hauptgebäude der Berliner Humboldt-Universität statt.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.05.1999