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Aus der Region

Pfarrer Schnieder gegen das Hitler-Regime

Widerstand

Der Kirchenkampf in der Nazizeit spielte sich nicht nur zwischen den Bischöfen und den damaligen Machthabern ab, sondern auch auf der Ebene der Pfarrgemeinden. Nur ist hier leider mit wenigen Ausnahmen nichts schriftlich festgehalten worden. Eine Ausnahme ist die Chronik der 100 Jahre alten Pfarrei Thale/Harz, die von 1931 bis 1954 vom damaligen Pfarrer Friedrich Schnieder (1886-1956) geführt wurde. Pfarrer Schnieder hatte es auch gewagt, eine Akte anzulegen, die durch verschiedene Schriftstücke den Haß der Nazis auf die Kirche dokumentiert. Der Staßfurter Pfarrer Peter Zülicke über den Widerstand eines katholischen Pfarrers während der Nazizeit:

Pfarrer Friedrich Schnieder war im Ort als ein temperamentvoller Mensch bekannt, der sein Recht laut und deutlich verteidigte und sich nicht so schnell einschüchtern ließ. Deswegen war er auch den Behörden ein Dorn im Auge. Immer wieder versuchten sie, ihn zu schikanieren. Schon im Juli 1933 gab es eine Durchsuchung des Pfarrhauses nach Dokumenten der kirchlichen Vereine. Der Pfarrer protestierte am folgenden Sonntag offen und lautstark in der Predigt gegen den Eingriff der staatlichen Behörden in kirchliche Rechte. Er sprach von Kulturkampfmethoden. Mit der Zeit kannte er auch den Spitzel der Gestapo, der die Sonntagspredigten regelmäßig notierte.

Neben den Schwierigkeiten, die sich aus der Vereinsarbeit ergaben, nahmen die Anfeindungen der Nazi-Behörden gegen die Person des Pfarrers immer mehr zu. Aus Protest war er der Reichstagswahl 1933 ferngeblieben. Was nun folgte, beschreibt er wie folgt: "Man hatte zweimal telefonisch und einmal durch Boten den Pfarrer zur Wahl gerufen. Am folgenden Tag war mit dem Wahlergebnis in ganz Thale auch bekannt, daß der katholische Pfarrer der Wahl ferngeblieben war. Nun begann eine systematische Hetze, die sich im Laufe der Woche zu dem Gerücht verdichtete, die Parteileitung habe sich wegen des Falles an den Bischof gewandt. Am Montag der folgenden Woche fuhr der Pfarrer zu einem zweiwöchigen Urlaub nach Gerleve in Exerzitien und in die Heimat. Nun hieß es, der kommt nicht wieder, und in einer Kundgebung im ,Braunen Hirsch' seitens der Arbeitsfront wurde der Pfarrer von dem Reichsredner als Lump und Vaterlandsverräter gebrandmarkt. Als er nach zwei Wochen wiederkam, waren manche Katholiken verschüchtert. Am folgenden Sonntag verteidigte sich der Pfarrer kräftig von der Kanzel. Nachdem auch die Beschwerde nach Paderborn widerlegt und der Pfarrer mutig durch die Straßen von Thale schritt trotz einiger Anrempelungen, war den Katholiken der Mut wiedergekehrt und die Empörung legte sich allmählich wieder."

Ein weiterer Höhepunkt der Auseinandersetzungen zwischen dem Pfarrer und dem NS-Staat erfolgte im Jahre 1937. In sogenannten "Sittlichkeitsprozessen" versuchte man Priestern und Ordensleuten sittliche Vergehen nachzuweisen. In der Presse wurde darüber in übelster Weise berichtet. Der Pfarrer sah sich nach entsprechender Berichterstattung im Lokalblatt veranlaßt, dieses abzubestellen. Auf eine Postkarte schrieb er: "Wegen der gehäßigen Tendenz einer Skandalnachricht in Nr. 8 vom 11. Januar 1937 ihrer Zeitung bestelle ich hiermit das Tageblatt ab 15. Januar ab." Der Inhalt dieser Karte war wiederum Anlaß, gegen den Pfarrer vorzugehen. Zunächst erstattete man gegen den Pfarrer Anzeige wegen Pressenötigung. Bald merkte man aber, daß hier keine stichhaltigen Gründe vorzubringen waren. So wurde der Pfarrer wegen persönlicher Beleidigung des Hauptschriftleiters verklagt

Es kam zu einer öffentlichen Gerichtsverhandlung, in der der Pfarrer zu 100 Mark Strafe verurteilt wurde. Er hatte offen ausgedrückt, was viele spürten: Hier soll der Haß gegen die Kirche geschürt werden. Im Jahre 1939 schreibt das Hetzblatt "Der Stürmer": "Der katholische Pfarrer Schnieder von Thale am Harz zeigte am 17. Mai diesen Jahres, daß er ein Judenfreund ist, indem er ein Flugblatt des Stürmers zerriß und die Papierstückchen auf die Straße warf." Ein begeisterter Leser dieses Blattes schrieb darauf hin empört an Pfarrer Schnieder eine Postkarte voller übler Beleidigungen

Der letzte Schlag der Behörden gegen den Pfarrer, über den die Chronik berichtet, ist seine Verhaftung im Juli 1941. Er selbst überschreibt diesen Abschnitt: "In memoriam perpetuam - zur bleibenden Erinnerung". Am Tage nach der Fronleichnamsprozession war ihm berichtet worden, daß nach der Feier fünf Polen von der örtlichen Kriminalpolizei festgenommen worden waren. Acht Tage später wurde er zum Rathaus gerufen und dort von der Gestapo verhört. Man legte ihm zur Last, daß er nichts angeordnet habe, um die Teilnahme der Polen am Gottesdienst zu verhindern. Der Pfarrer wies darauf hin, daß es ihm nicht möglich sei, die Teilnahme von unbekannten Besuchern am Gottesdienst zu verbieten. Dann heißt es in der Chronik: "Am 11. Juli wurde ich telefonisch zum Rathaus bestellt und dort auf Anordnung der Geheimen Staatspolizei durch die einheimische Polizei in Schutzhaft genommen. Ich wurde in Zelle vier hinter dem Rathaus geführt und dort drei Wochen festgehalten. Die Behandlung durch die Schutzpolizei war verhältnismäßig nobel. Ich durfte mir Bücher kommen lassen, um mich zu beschäftigen. Ich habe die Zelle vier durch mein Gebet geheiligt. Diese drei Wochen waren für mich geistliche Übungen, wie ich sie fruchtbarer in Exerzitien nicht gemacht habe. Am 1. August, dem Fest Petri Kettenfeier und dem Herz-Jesu-Freitag, schlug für mich mittags wieder die Stunde der Freiheit."

Dieser Bericht ist in der Chronik der letzte, in dem der Pfarrer etwas über seine Auseinandersetzungen mit dem NS-Staat schreibt. Es mag Klugheit oder Vorsicht gewesen sein, die ihn schweigen ließen. Eines wird jedoch deutlich: Hier versucht ein Pfarrer, in seiner Gemeinde Unrecht nicht einfach hinzunehmen und sich ohne Rücksicht auf seine Person einzusetzen, auch wenn dienstbeflissene Beamte drohten und zupackten.

Im Jahre 1941 erfolgten auch verschärfte Maßnahmen des Staates gegen sogenannte "hetzende Pfarrer". Je nach Schwere des Falles und unter Berücksichtigung der örtlichen Umstände wurden angeordnet: Warnung, Sicherungsgeld, Redeverbot, Aufenthaltsverbot, Betätigungsverbot, kurzfristige Festnahme und Schutzhaft. Von diesen Anweisungen wurde von den Nazibehörden reger Gebrauch gemacht. In dem Gebiet des heutigen Bistums Magdeburg waren 75 Prozent aller damals hier wirkenden Priester von einer oder mehrerer Maßnahmen betroffen. Diese liefen nicht immer so harmlos ab, wie die Bezeichnung vermuten läßt. Der Widerstand gegen die Nazidiktatur kam in vielen kleinen Aktivitäten der Gemeinden zum Ausdruck. Nur wenige Zeitzeugen können heute davon noch berichten, doch sollte nicht vergessen werden, daß es den Einsatz vieler "kleiner" Leute gab

Peter Zülicke

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.05.1999

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