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Bistum Görlitz

Wo die Gründerin einst das Laufen lernte...

Caritas Socialis

"In Wien habe ich nichts mehr zu suchen, jetzt bin ich hier zu Hause", sagt Schwester Mechthild Schlemitz, obwohl sie erst zwei Monate in Görlitz lebt. Sie gehört zur Caritas Socialis, einer Schwesterngemeinschaft, die in Österreich ihren Ursprung hat. Zusammen mit Schwester Rita Geiser hat sie hier an der Neiße in ihrem neuen Zuhause einen guten Start gehabt. Dabei wären die ersten Tage für viele wohl kein besonders guter Anfang gewesen: Fast ohne Beleuchtung, nur mit einem Nachttischleuchter und einer Taschenlampe, ein provisorisches Schlaflager auf dem Fußboden - so "hauste" Schwester Mechthild die erste Zeit in der Dreizimmer-Wohnung. Doch für sie war dieses Provisorium interessant. Mit Begeisterung erzählt sie, es sei spannend gewesen, so ganz einfach zu leben und sich einmal so abhängig zu fühlen, denn "normalerweise sind wir ja immer die Stärkeren und helfen anderen"

Anderen helfen, die in materieller und vor allem auch seelischer Not sind, um ihnen so die Liebe Gottes erfahrbar zu machen - das ist seit eh und je die Zielrichtung der 1919 ins Leben gerufenen Gemeinschaft. Mit viel Liebe sind auch Schwester Rita und Schwester Mechthild dafür im Einsatz - ganz für Gott und ganz für den Menschen

Schwester Rita stammt aus Südtirol, Schwester Mechthild aus Niederösterreich. Trotzdem fühlen sie sich in Deutschland nicht wie Ausländer, denn, so erzählen sie, die Leute seien ihnen gegenüber aufgeschlossen. An so manche neue Vokabel müssen sie sich allerdings noch gewöhnen. So werden sie zukünftig beim Bäcker "Brötchen" bestellen müssen, um die gewünschten Semmeln zu bekommen

Ihre Wohnung haben die beiden in der Elisabethstraße 36. Hier, unweit vom Markt, bieten wochentags viele Besitzer kleiner Stände Bratwürste, Schuhe oder künstliche Blumen an. Einkäufer laufen über den Platz und durch die Straßen. Zu den Hauptverkehrszeiten quälen sich Autoschlangen langsam durch die Straßen des Görlitzer Stadtzentrums wenige Schritte vom "Domizil" der Schwestern. Genau das ist der Platz, den sie suchen: mitten unter den Menschen, mittendrin im Brennpunkt, auch im Brennpunkt der Not

Doch noch eine andere Bewandnis hat die besagte Adresse: In diesem Haus mit der Nummer 36 wurde 1883 Hildegard Burjan geboren, die Gründerin der Caritas Socialis. Hier war sie aufgewachsen und hatte die Grundschule besucht, bis die Eltern 1895 nach Berlin und wenig später in die Schweiz übersiedelten. Nach ihrer Taufe im Erwachsenenalter setzte die verheiratete Frau in Österreich ihr ganzes Engagement für Menschen, besonders Frauen, in Not ein. Ihr Lebensprinzip "Die Liebe Christi drängt uns" wurde zum Leitwort für die Caritas Socialis, auch für Schwester Mechthild und Schwester Rita

Nach und nach wird die Einrichtung ihrer Wohnung in dem geschichtsträchtigen Haus vollständig. Bald wird eine Einbauküche die kleine Nische im Wohnzimmer füllen, wo bislang noch das hellbraune Regal und der Kühlschrank alle Lebensmittel beherbergen. Im Wohnzimmer, wo die Schrankwand bereits aufgebaut ist und frische Tulpen den Eßtisch zieren, war auch Prälat Peter Canisius Birkner schon zu Besuch. Er ist vom Görlitzer Bischof beauftragt, "Verbindungsmann" zwischen der Diözese und den Schwestern zu sein. War er es doch auch, der ihr Kommen nach Görlitz in die Wege geleitet hatte: Schon zu DDR-Zeiten nahm er Kontakt mit der Caritas Socialis auf. Bereits damals hatte er die Idee, die Schwestern in die Elisabethstraße zu holen. Doch er erlebte Rückschläge in seinen Bemühungen um das Haus, bis er im letzten Jahr von seiner Renovierung erfuhr, und davon, daß künftig Mietwohnungen frei werden sollten. Wieder setzte er alle Hebel in Bewegung, und seit November war die Sache dann spruchreif

Auch jetzt noch kümmert sich Prälat Birkner. Beispielsweise stellt er Schwester Rita und Schwester Mechthild dem Bürgermeister, Ärzten und anderen Vertretern des öffentlichen Lebens vor. So sind die Schwestern schon viel rumgekommen und haben einige Kontakte geknüpft. Neben dem blauen Telefon im Flur liegt schon ein Merkbuch mit Görlitzer Telefonnummern. Daneben hat der kleine Schreibblock Platz gefunden, in dem die kommenden Termine und Besuche genau festgehalten sind. Damit ist die Zeit von Schwester Rita und Schwester Mechthild auch prall gefüllt. Trotzdem hatten sie zwischen all den Ereignissen auch schon Gelegenheit, Krankenbesuche zu machen oder den Frauenfrühstücks-Kreis kennenzulernen

Später wollen sie sich dann aber noch viel mehr dem widmen, weswegen sie eigentlich nach Görlitz kamen: Sie wollen Kranke und Alte besuchen, seelsorgerisch tätig werden. Wie es schon Hildegard Burjan wichtig war, wollen sie offen sein für den Dienst, der gebraucht wird. Wie ihre Gründerin sind sie dynamisch, um angepaßt an die Not der Zeit zu helfen. So war es bei der Caritas Socialis seit 1919. In den ersten Jahren setzten sich die Schwestern häufig für ledige Mütter ein. Diese hatten sonst keine Fürsprecher. Nach dem Krieg halfen sie Flüchtlingen. Jetzt sind die in der Welt verteilten 126 Schwestern oft in der Krankenseelsorge und in der Altenpflege tätig. Sie kümmern sich um junge Mütter und Alleinstehende in Not, um Kinder und Jugendliche

Schwester Mechthild liebt die Dynamik, die mit ihrem Beruf - besser gesagt ihrer Berufung - zusammenhängt. Mit Abenteuerlust freut sie sich auf ihren neuen Lebensabschnitt. Sie war von Anfang an begeistert, von Wien nach Görlitz umzusiedeln. Schwester Rita hatte die Frage des Umzugs länger und zögernder abgewogen. Für sie ist eine solche Umstellung schwieriger als für Schwester Mechthild

Schließlich entschlossen sich aber beide für Görlitz, jedoch nicht ohne vorher zu überlegen, ob sie miteinander auch klar- kommen könnten, in einer Gemeinschaft zusammen leben wollten. Denn vorher waren sie an unterschiedlichen Stellen in Wien "stationiert". Wie die beiden leben die CS-Schwestern, wie sie kurz genannt werden, in kleineren Gemeinschaften, oftmals zu viert oder zu fünft, selten auch mal alleine. Oftmals arbeitet jede auf einem anderen Gebiet. Schwester Mechthild zum Beispiel arbeitete vorher in einem Haus für Mutter und Kind. Schwester Rita war in der ambulanten Pflege und in einem gemeinschaftseigenem Pflegeheim tätig

Was sie in Görlitz erwarten würde, wußten sie nicht genau, nur, daß die Katholiken hier in einer Diaspora-Situation leben. Um so mehr waren sie erstaunt, daß "die Menschen hier mit Überzeugung zur Kirche gehen" und lebendig in ihrem Glauben seien. Viele gingen nicht nur aus Tradition, sondern engagiert in die Kirche, hat Schwester Mechthild beobachtet

Bereits kurz nach ihrer Ankunft war sie durch die Stadt gebummelt, hatte sich Sehenswürdigkeiten angesehen und war im Konzert. Auch den Hildegard-Burjan-Platz kennt sie schon. Görlitz sei eine Stadt, meint sie, wo man merke, daß es vorwärts geht, auch wenn sie sich noch nicht überall so gut auskennt. Glücklich ist Schwester Mechthild auch über die herzliche Art der Menschen. Männer der Gemeinde hatten in der Wohnung der Schwestern geholfen, einer hatte ihnen sogar eine Lampe fürs Badezimmer geschenkt. Viele der Möbel sind frühere Geschenke. Auch zur sozialen Wohnungsbörse wollen die Schwestern nochmal gehen. Denn neben dem Gehorsam und der Ehelosigkeit haben sie auch Armut versprochen

Noch ist in dem weißen Flur bislang nicht viel mehr als ein Garderobenschrank untergebracht. Ihre eigenen Zimmer haben die Schwestern aber schon bezogen. Jede hat sich ihres mit persönlichen Gegenständen eingerichtet. Besonders für Schwester Mechthild sind die persönlichen Erinnerungsstücke wichtig, um sich ein Zuhause zu schaffen. So steht in ihrem Zimmer eine alte Truhe, mit der ihr Vater in den Krieg gezogen war. Eine Pinnwand mit Karten, Sprüchen und Bildern hängt gleich rechts neben der Zimmertür. Gegenüber dem alten dunkelbraunen Bettgestell hat sie sich einen Gebetsplatz eingerichtet. Eine selbstgestaltete bunte Kerze steht dort und ein altes steinernes Kreuz, das sie selbst vor Jahren fand, und das seitdem für sie ein Stück Zuhause bedeutet. Hier sucht sie im Gebet die Nähe Gottes, hier erbittet sie die Kraft und Freude für den manchmal sicherlich sehr anstrengenden Dienst. Schwester Rita hat sich ebenfalls ein solches Eckchen eingerichtet. Neben dem persönlichen Gebet, das jeder für sich immer wieder sucht, nehmen sie sich auch gemeinsam Zeit, über Erfahrungen im Glauben zu reden, zusammen zu beten oder Bibel zu lesen. Den Rhythmus dafür müssen sie in ihrer neuen Umgebung aber noch finden. Für die Zukunft würden die Schwestern diesen Kreis gerne auch öffnen für andere Interessierte

In Österreich gibt es verschiedene Formen, wie Menschen mit der Caritas Socialis verbunden sind. Manche Frauen legen die drei Versprechen ab und leben nach dem Leitbild der Gemeinschaft, arbeiten aber in einem "ganz normalen" Beruf. Andere Männer und Frauen gehören zum Freundeskreis. Sie unterstützen das Anliegen der Gemeinschaft ehrenamtlich durch Gebet und Spenden - vielleicht gibt es solche Menschen ja irgendwann auch in Görlitz

Eine Beratung in der Elisabethstraße 36 für Menschen in Not könnten sich die beiden auch vorstellen. Vorerst jedenfalls lernen sie Görlitz und Görlitzer kennen, leben mit ihnen und halten die Augen offen, wo ihre Hilfe wichtig sein könnte

Schon jetzt haben sie hier ihren Namen weg. In Wien, wo die Zentrale der Caritas Socialis ist, sind sie seit Jahrzehnten als die CS-Schwestern bekannt. In Görlitz, so erzählt Schwester Mechthild mit Schmunzeln, würden sie die Hildegard-Burjan-Schwestern genannt. Caritas Socialis würde man hier leicht mit der Caritas verwechseln und CS-Schwestern könnte so manchen vermuten lassen, sie kämen aus Tschechien. Ein Ordensgewand haben die beiden jedenfalls nicht, und das genieße sie auch, meint Schwester Mechthild. Man könne so leichter "man selbst sein". Das war schon Hildegard Burjan vor 80 Jahren wichtig im Hinblick auf die Zielrichtung der Gemeinschaft: "Wir wollen keine Klausur oder Einengung durch klösterliche Formen, sondern beweglich und immer einsatzbereit sein für jede Not, die auftaucht."

Schwester Mechthild und Schwester Rita sind froh, nach ihren Begabungen und Interessen arbeiten zu können. Das ist für die Caritas socialis typisch. Schwester Rita, beispielsweise, hat ihre Spezialstrecke in der Sorge für alte Menschen und Schwester Mechthild freut sich darauf, hier ganz neu anzufangen, Freiraum für Entwicklung und Neuaufbau zu haben

Juliane Hutmacher

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 18 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 09.05.1999

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