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Aus der Region

Wolfram Hänsch: Arbeiten aus ganz einfachen Dingen heraus

Kunst und Kirche

Wäre es nach dem Willen einer großen deutschen Bank gegangen, dann würde sich das Atelier von Wolfram Hänsch heute irgendwo im Kasernenviertel im Dresdner Norden befinden. Wollte doch die Bank nur allzugern ihren Hauptsitz in das repräsentative Gebäude der Dresdner Kunstakademie auf der Brühlschen Terrasse verlegen. Doch Geld ist zum Glück nicht alles ... und der Umzug blieb eine Utopie der Bank. So kann der Maler und Grafiker Wolfram Hänsch sein Wissen weiter dort vermitteln, wo es schon Generationen von Künstlern vor ihm taten. Beispielsweise Oskar Kokoschka, der im Atelier nebenan seine Bilder von der Dresdner Augustusbrücke malte

Die Wände in Hänschs Atelier sind vollgestellt: Treppenstudien, Akte, ein Christus am Kreuz ... Aus seiner Beschäftigung mit der Heiligen Schrift entstanden Arbeiten zu biblischen Themen, so ein Altar für das Altenpflegeheim Riesa, der Kreuzweg im ökumenischen Andachtsraum des Kreiskrankenhauses Sebnitz oder die Gestaltung der Kapelle in Netzschkau. Viele dieser Arbeiten kamen auf Vermittlung von Pfarrer Joachim Scholz (Sebnitz, seit Mitte April Pfarrer in Freital) zustande, der sich engagiert für Kunst im religiösen Raum einsetzt. Scholz ist überzeugt davon, daß die Gemeinden stärker auf Künstler zugehen müßten. "Vieles von dem, was heute in den Kirchen hängt, ist einfach schrecklich", betont auch Wolfram Hänsch. "Ich habe bei vielen Dingen ein ungutes Gefühl, ist es eine nachgeholte Religionsstunde oder eine Meditationsübung?" Die bloße Wiedergabe eines Themas genüge nicht, vielmehr müsse das Werk die innere Auseinandersetzung spüren lassen und den Betrachter zu einer solchen Auseinandersetzung führen.

In diesem Zusammenhang erinnert Hänsch an den französischen Künstler George Rouault: "Bei ihm ist das Thema keine Beigabe, sondern der innerste Quell. Rouault illustriert keine Themen, bei ihm ist das Konkrete so direkt, daß kein Verlust stattfindet. Und was ich von jeder Arbeit fordere, ist, daß sie ganz konkret und ganz allgemein ist." Zudem ist es ein Anliegen von Wolfram Hänsch, in seinen Arbeiten ein Zentrum zu schaffen. "Es bezieht sich alles aufeinander und alles konzentriert sich wieder auf ein Zentrum."

Seiner Meinung nach müsse sich die Kirche mit Sachverständigen zusammentun, wenn es um die künstlerische Gestaltung von Kirchen geht. "Wer sich nur in den Gemeinden umsieht und es immer wieder so macht, wie er es dort vorfindet, kommt nie auf ein höheres Niveau", betont der Künstler. Leider habe er feststellen müssen, daß bei vielen Theologen das Wissen um die bildende Kunst sehr gering ist. Was durchaus nicht sein müsse, wie es die Kenntnisse in Literatur oder in Musik beweisen. Zwar könne die Kunst die Religion nicht ersetzen, aber es sei schon im Innersten berührend zu sehen, wie beispielsweise Matisse, ähnlich einem Beter, an seine Sachen heranging. Diese Haltung fasziniert Hänsch sehr, für ihn ist ein Künstler eine Brücke, um religiöse Dinge an Menschen zu vermitteln, die nicht glauben. "Irgendwie fühle ich mich den Künstlern des Mittelalters verbunden, einer Zeit, in der die Künstler ganz für Gott geschaffen haben. Selbst in den entferntesten Winkeln der gotischen Kathedralen - die sowieso niemand sah - wurde mit der gleichen Sorgfalt wie beispielsweise an den Portalen gearbeitet."

Wolfram Hänsch hat seine eigene Geschichte mit dem Gebäude der Hochschule für bildende Künste, wie sie vollständig heißt. Siebzehnjährig kam er zu Beginn der sechziger Jahre hierher, um Kunst zu studieren. "Vermutlich meinte man damals, ich sei noch leicht formbar", meint Hänsch heute. Doch dies war nur eine Erwartung, das Studium und sein Leben prägten Hänsch anders

"Es war damals einfach eine kuriose Zeit, schon der war suspekt, der sich Matisse oder selbst Cézanne ansah", berichtet Hänsch. Ihm reichte es irgendwann. Seine Diplomarbeit, ein Grafikzyklus zum Thema Ernte, war die Spitze des Eisberges. Zunächst wurde sein Thema "Ernte" begrüßt, "sie dachten wohl, es hätte irgendetwas mit LPG zu tun, doch dann kam die Ablehnung der von Hänsch angestrebten ganzheitlichen Umsetzung des Themas. "Auf einem Bild zeigte ich ein Liebespaar in einem Heuhaufen, dahinter befand sich eine Friedhofsmauer, und darüber ragte ein Kreuz. Das war schon zuviel", erinnert sich Hänsch. Daraufhin verließ er die Schule. Und lächelnd fügte er hinzu: "Und ich habe mir geschworen, sie nie wieder zu betreten." Wie es mit Schwüren dieser Art ist, sie sind schwer zu halten. Inzwischen ist er als Dozent für Grafik in seiner einstigen Studienstätte tätig

Nach seinem damaligen Weggang wählte Wolfram Hänsch das Land oberhalb Meißens. Eine rauhe und zugleich schöne Landschaft voller Gegensätze. Unterkunft fand er beim Bäckermeister. Für Wolfram Hänsch war damit eine Art Lebenswende verbunden. Selbst nennt er die Begegnung heute ein "Schicksalsgeschenk". "Zum einen war er für mich Tor zu den einfachen Leute, die ich jahrelang zeichnete." So saß Hänsch in den bäuerlichen Stuben und konnte sich satt sehen an den Geschichtern, die geprägt waren von einem Leben voll harter Arbeit. "Auf dieses Sehen kam es mir an, das Sprechen war nicht so wichtig", erinnert sich Hänsch

Zum anderen öffnete der Bäcker für den jungen Künstler die Tür zur Welt der Bücher: Adalbert Stifter, Jean Paul, Hermann Hesse ... "Durch seine Kenntnisse bekam ich Anregungen, die ich ohne ihn nie bekommen hätte." So las er Hermann Hesse lange vor der Zeit, in der dieser zur Modelektüre avancierte

Neben seiner künstlerischen Tätigkeit half Wolfram Hänsch in der Landwirtschaft oder in der Backstube. Und wenn ihn die Menschen oft nicht verstanden, so akzeptieren sie ihn. Offiziell galt er nach seinem Weggang von der Dresdner Hochschule zunächst nicht als Künstler. Sieben Jahre gingen ins Land bis er Mitglied im Verband der bildenden Künstler wurde. "Sie ließen mich einfach eine Weile zappeln". Hänschs Weg blieb steinig. Beispielweise wurde eine Ausstellung mit befreundeten Künstlern von der Stasi verhindert. Doch all diese Widrigkeiten hatten keinerlei Auswirkungen auf seine persönliche und künstlerische Entwicklung. Wolfram Hänsch lebt und arbeitet ganz aus den einfachen Dingen heraus. Unterstützung erhält er aus persönlichen Bindungen. "Ich hatte immer Menschen um mich, die den Weg mit mir gingen. Meine Mutter hat nie gezweifelt, meine Frau hat das Arbeiten alle Jahre mitgetragen. Das sind die ganz großen Dinge, es ist einfach Urvertrauen."

Wichtig ist ihm die Treue zu einer einmal als richtig erkannten Sache. Dies zeichnet einen Künstler für Wolfram Hänsch aus, leider würden gerade in der heutigen Zeit viele Menschen die Berufung eines Künstlers völlig mißverstehen, "sie haben das Gefühl, Künstler hängen nur am Spektakulären". Wolfram Hänsch hält dagegen: "Der Künstler benutzt die Dinge der sichtbaren Welt, um seine Bewunderung zum Ausdruck zu bringen. Kunst ist eine bewegliche, schwebende Freiheit ohne in Selbstherrlichkeit abzugleiten." Der Samen für diese Haltung wurde für Hänsch in den Meißner Landjahren gelegt. Dort hat er eines gelernt: Das Wachsenlassen. Übrigens eine seiner liebsten Sichten auf das Leben, die er mit Adalbert Stifter das "sanfte Gesetz" nennt. Nur nach diesem Gesetz ist für Hänsch echtes, tiefes und dauerhaftes Leben möglich. Jetzt - in seiner fast täglichen Begegnung mit jungen Studenten - ist es ihm Anliegen, diese Haltung weiterzugeben. Leider, so Wolfram Hänsch, schauen viele nur auf die Oberfläche und sehen nicht die Dimensionen dahinter. Nicht zuletzt ist dies für ihn eine Folge der Reizüberflutung der heutigen Zeit. Kaum erscheint ein Bild ist es schon verschwunden ..

Ein Katalog seiner Ausstellung aus dem Jahr 1993 gibt einen Einblick in den künstlerischen Werdegang - Zeichnungen, Gemälde, Grafiken. Seinen Bildern stellte er einen Text von Hermann Broch voran. Darin heißt es: "Denn was immer der Mensch tut, er tut es, um die Zeit zu vernichten, um sie aufzuheben, und diese Aufhebung heißt Raum. Selbst die Musik, die bloß in der Zeit ist und die Zeit erfüllt, wandelt die Zeit zum Raume, und daß alles Denken im Räumlichen vor sich geht, daß der Denkprozeß eine Verquickung unsagbar verwickelter vieldimensionaler logischer Räume darstellt, diese Theorie besitzt allergrößte Wahrscheinlichkeit."

Räumlichkeit ist das Thema vieler Bilder von Wolfram Hänsch, nichts ist überflüssig, alles gehört zu den im Bild festgehalten Räumen. Beispielsweise seine Treppenstudien, die er in den 80er Jahren immer wieder schuf - Räume, die nach oben und unten hin offen sind. Oder Türen, die ihn immer wieder faszinierten. Erst später ist ihm bewußt geworden, daß offene Türen ein religiöses Symbol sind

Themen des Glaubens geht Hänsch nicht nur als Künstler sondern als gläubiger Mensch an. Zugleich ist es ihm wichtig, mit dem Auftraggebern die Sachen durchzusprechen und sie am Entstehungsprozeß teilhaben zu lassen. So könne beispielsweise Kunst in der Kirche für beide Seiten zu einer spannenden Sache werden. Mittels der Anschaffung von bloßen Devotionalien sei eine solche Erfahrung allerdings nicht möglich. Wolfram Hänsch: "Eine Gemeinde bat mich, ihre neue Marienfigur zu bemalen. Ich habe es nicht gekonnt. Die Leute sahen nicht, daß es sich einfach nur um Kitsch handelte. Ich meine, sie wurden betrogen."

Holger Jakobi

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.05.1999

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