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Bistum Magdeburg

Dem Caritas-Jahresthema 1999 auf der Spur

Altenpflegeheim Sandau

Sandau - "Menschen würdig pflegen" heißt das diesjährige Jahresthema des Caritasverbandes. Am Beispiel des Caritas-Altenpflegeheimes Sandau in der Altmark stellt der Tag des Herrn vor, wie das in der Praxis aussehen kann. In einer der nächsten Ausgaben wird das Thema aus der Perspektive einer Sozialstation in den Blick genommen

"Warum hat Sandau eigentlich einen solch guten Ruf?" hat sich Hertha Herr gefragt, als sie vor einem Jahr in das Sandauer Altenpflegeheim der Caritas umzog. Das Zimmer der 93jährigen ist kleiner als in dem Altenheim, in dem sie vorher lebte, die Einrichtung ist einfacher, einen Fahrstuhl gibt es noch nicht. Dennoch hat die einstige Berliner Werksfürsorgerin auf die Frage nach dem guten Ruf längst eine Antwort gefunden: Die gute Betreuung der Bewohner ist dafür verantwortlich, daß die Sandauer Einrichtung bislang nie Schwierigkeiten hatte, freiwerdende Heimplätze wieder zu belegen

"Ich kann hier alles tun, was in meinem Alter noch möglich ist", freut sich Hertha Herr. Sie nutzt die Angebote des Hauses zum gemeinsamen Basteln, Singen oder Turnen, nimmt am Spaziergang teil und auch an der wöchentlichen Einkaufsfahrt. Obwohl seit einigen Jahren ihr Augenlicht nachläßt, fühlt sie sich in Sandau nicht isoliert. Dazu tragen für die Katzenliebhaberin auch die drei Heimkatzen ein bißchen bei. Sie hat die Pflegestufe eins und ist noch so mobil, daß sie selbst zum Wohlbefinden der Mitbewohner beitragen kann. Gerne macht sie anderen ein Freude, stellt zum Beispiel heimlich jemandem einen Blumenstrauß hin

Nicht jeder nutzt die Heimangebote so intensiv wie Frau Herr. Manchem, der sein Lebtag in der Landwirtschaft hart zugepackt hat, erscheinen Beschäftigungen wie Basteln als Kinderei. Auch solche Einstellungen werden akzeptiert im Caritas-Pflegeheim. Jeden Bewohner in seiner Persönlichkeit individuell zu fördern und ihm möglichst viel Selbständigkeit zu erhalten, gehöre zu den wichtigsten Zielen des Hauses, sagt Heimleiterin Maria Wisgrill. Bei den Frauen und Männern, die ihr Bett nicht verlassen können, ist das allerdings gar nicht so einfach. Manches könnten die Altenpflegerinnen am schnellsten alleine erledigen. Stattdessen nehmen sie sich die Zeit, die alten Menschen die Handgriffe alleine erledigen zu lassen, die sie noch selbst erledigen können. Bald wird ein Erweiterungsbau mit Aufzug und behindertengerechter Einrichtung dem Sandauer Caritasheim manche Erleichterung verschaffen. Die derzeitigen baulichen Gegebenheiten sind für die Mitarbeiter mit mancher Mühe verbunden. Zum Beispiel ist es ohne Aufzug immer aufwendig, Bettlägerige im Rollstuhl zu einem Spaziergang ins Freie zu bringen

Maria-Luise Berg gehört zu den Bewohnerinnen, die aus eigener Kraft nicht mehr aus dem Bett kommen. Sie kam vor 21 Jahren aus ihrem Heimatort Tangerhütte nach Sandau. Damals konnte sie noch laufen und Näharbeiten machen. In den letzten Jahren hat sich ihre Krankheit so verschlimmert, daß sie sich heute kaum noch bewegen kann und Pflegestufe drei hat

Manchmal ist sie niedergeschlagen, weil es immer weiter bergab geht mit ihren Kräften. Die Mitarbeiter des Caritasheimes und der Steckelsdorfer Pfarrer Thomas Friedrich, der regelmäßig in Sandau zu Besuch ist und hier Gottesdienste hält, helfen ihr in solchen Momenten, die schönen Erinnerungen ihres Lebens wach zu halten. Besonders gern denkt Frau Berg zum Beispiel an die beiden Lourdesreisen, die sie gemacht hat. Viel Freude findet die 71jährige auch beim Lesen von Büchern und Zeitungen. Den Tag des Herrn liest sie von der ersten bis zur letzten Seite durch. Jeder Pfleger in Sandau kümmert sich um vier oder fünf Heimbewohner in besonderer Weise. Von ihnen kennt er auch persönliche Vorlieben, zum Beispiel, welche Seife sie mögen. Hin und wieder lädt er sie zu gemeinsamen Unternehmungen ein, etwas zu einem Frühstück in der Adventszeit

Bei allem was sie tun, befinden sich Maria Wisgrill und ihre Mitarbeiter in einem Zwiespalt: Einerseits möchten sie die Qualität ihrer Einrichtung beibehalten, andererseits werden ihnen immer weniger Kosten erstattet. Schwierigkeiten gibt es immer wieder auch mit den Pflegekassen. Maria Wisgrill sieht einige dieser Probleme als "Kinderkrankheiten" der Pflegeversicherung, deren Einführung sie im Prinzip sehr begrüßt. In einem Rechtsstreit wehrt sich die Sandauer Einrichtung zum Beispiel gerade dagegen, daß die Kassen sich weigern, Pflegehilfsmittel wie Rollstühle, Toiletten-Sitzerhöhungen oder Ernährungspumpen für die Heimbewohner zu bezahlen

Ein weiteres Manko des Gesetzes sieht die Heimleiterin darin, daß Altersverwirrtheit bisher kein Kriterium für die Gewährung einer Pflegestufe ist. Die Gutachter, die über die Einstufung entscheiden, achten nur darauf, ob ein alter Mensch körperlich noch dazu in der Lage ist, sich alleine anzuziehen oder alleine zu essen. Sie nehmen keine Rücksicht darauf, daß dieser Mensch im Alltag nur zurecht kommt, wenn ein Betreuer neben ihm steht, der ständig wiederholt: "Ziehen Sie die Jacke an, und jetzt machen Sie die Knöpfe zu ..." Der tatsächliche Betreuungsaufwand bei verwirrten Menschen ist also erheblich höher als der von den Pflegekassen anerkannte und bezahlte. Durch erhöhtes Engagement tragen die Caritas-Mitarbeiter dafür Sorge, daß die Bewohner die "Kinderkrankheiten" der Versicherung nicht zu spüren bekommen

Zu einem würdevollen Umgang mit den Heimbewohnern trägt in Maria Wisgrills Augen auch das Betreuungsgesetz bei, das seit einigen Jahren in Kraft tritt. Diesem Gesetz zufolge dürfen alte Menschen nicht mehr entmündigt werden. Für die einzelnen Lebensbereiche, die sie nicht mehr alleine meistern können, werden ihnen jeweils für eine befristete Zeit Betreuer zur Seite gestellt, die zum Beispiel die Post öffnen dürfen, die finanziellen Angelegenheiten des alten Menschen regeln oder Entscheidungen über Krankenhausaufenthalte oder Operationen treffen. Angehörige, aber auch katholische Gemeindemitglieder oder Berufsbetreuer übernehmen in Sandau diesen Dienst

Um mit anderen Menschen würdevoll umgehen zu können, muß man mit sich selbst im reinen sein. Diese Erfahrung macht das Sandauer Caritas-Team immer wieder. Wenn einem Mitarbeiter die privaten Probleme über den Kopf wachsen, wenn er sich durch seine Arbeit überfordert fühlt oder wenn "dicke Luft" zwischen den Kollegen herrscht, wirkt sich das auch auf den Umgang mit den Pflegebedürftigen aus

Das Bemühen um ein gutes Betriebsklima hält Maria Wisgrill deshalb für ebenso wichtig wie die Weiterbildung der Mitarbeiter. Damit möglichst viele Kollegen an Seminaren teilnehmen können, ist die Sandauer Einrichtung dazu übergegangen, Veranstalter ins Haus einzuladen. Kürzlich ging es bei einem solchen Kurs beispielsweise um ein ausgewogenes Verhältnis von menschlicher Nähe und Distanz in der Begleitung von Sterbenden. Unter anderem wurde den Mitarbeitern dabei nahegelegt, nicht alles Leid, das sie im Pflegealltag erleben, mit nach Hause zu nehmen. "Andernfalls hält man eine solche Arbeit nicht lange durch", meint auch Maria Wisgrill.

Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 19 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 16.05.1999

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