Predigt zur Männerwallfahrt
Auszüge
Wir stehen derzeit vor einem neuen Jahrhundert. Eine Jahrtausendwende - das fasziniert viele Menschen. Aber wir schauen nicht nur mit Freude und Zuversicht in die Zukunft. Viele fragen ängstlich: Was erwartet uns? Manche machen auch bewußt den Menschen Angst: Die Computer würden abstürzen, ein neuer Weltkrieg werde kommen, ein Kampf der Kulturen und Religionen stehe bevor, eine atomare Vernichtung der Menschheit ..
Hört nicht auf solche falschen Propheten. Die Geschichte, der Weg Gottes mit der Menschheit ist noch längst nicht zu Ende. Gott selbst stellt uns auf einen Weg, auf dem wir unsere Erfahrungen machen, uns bewähren müssen. Wir müssen lernen, mit der von Gott geschenkten Freiheit verantwortungsvoll umzugehen: als Völkergemeinschaft, die endlich lernt, daß Völkermord und Vertreibung nicht mehr Mittel der Politik sein können; als deutsches Volk, das lernen muß, sich nicht von Stammtischparolen aufhetzen zu lassen: Ossis gegen Wessis, Einheimische gegen Ausländer, Gesunde gegen Behinderte, Rechte gegen Linke und so weiter. Gebt nicht solchen Eure politische Stimme, die aus dem Bauch heraus Politik machen, die Ressentiments schüren und die die Vergangenheit glorifizieren. Es ist Gottes Wille, daß wir an Aufgaben, auch an derzeit noch ungelösten Fragen wachsen und reifen, daß wir "mündig" werden, vor ihm erwachsen - als seine freien Söhne und Töchter. ..
Gott bleibt mit uns im Gespräch - so wie der Vater im Gleichnis. Der Sohn kann noch im Elend an den Vater denken und sich zurechtlegen, was er ihm sagen will. Geht es Euch nicht manchmal auch so: "Ja, wenn Vater noch leben würde, das würde ich ihm gern einmal sagen!" Ihr könnt es ihm sagen - diesem Vater da oben - denn er ist uns nicht fern. Er bleibt uns nahe, auch wenn wir meinen, wir seien allein und gottverlassen
Echte väterliche Autorität zeigt sich darin, daß sie losläßt - aber nicht fallen läßt! Das rate ich Euch übrigens auch, wenn Ihr es mit Euren heranwachsenden Kindern schwer habt: Bleibt mit ihnen im Gespräch! Brecht nicht den Dialog ab - denn so macht es Gott mit uns. Er bleibt mit uns im Gespräch. Er spricht zu uns durch Jesus, seinen menschgewordenen Sohn. Und dieser Jesus ist unser Wortführer im Dialog der Menschen mit Gott. Wo miteinander gesprochen wird, ist Hoffnung! ... Wenn sie doch miteinander sprechen würden - die Serben und die Albaner, die Hutu und die Tutsi, die katholischen und die evangelischen Nordiren, die Hindus und die Moslems und wo immer sich Menschen die Knüppel über die Köpfe schlagen statt miteinander ins Gespräch zu kommen. Menschliche Dialoge können scheitern. Aber nicht Gottes Dialog. ..
Trotz aller Todeszeichen in dieser Welt, die uns erschrecken - wie jetzt das grausame Geschehen auf dem Balkan - trotz so vieler Erbärmlichkeit, so vieler menschlicher Nöte und Ängste: Wir sind zum Fest der Freude eingeladen! Unser Leben ist wegen dieser Verheißung eine kostbare Gabe. Es lohnt sich zu leben und es ist gut - trotz allem - ein Mensch zu sein, eben, weil wir nicht nur von Menschen geliebt sind sondern von Gott! ... Darum behaltet auch in diesen Zeiten Euer christliches, Euer katholisches Profil! Dazu gehört die Freude an Gott und seinen Verheißungen, die Treue im Gottesdienstbesuch, der würdige Empfang der heiligen Sakramente, das Gebet im Alltag, das Hochhalten von Ehe und Familie, die handfeste, konkrete, unpathetische Nächstenliebe. ...
Bischof Joachim Wanke
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 23.05.1999