Verantwortung vor Gott und den Menschen
Bischof zum Grundgesetz
Der 50. Geburtstag unseres Grundgesetzes ist für mich als Bischof in einem neuen Bundesland Anlaß, dankbar an die stabile Grundordnung unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens zu erinnern
Dankbar können wir sein, weil nach einem furchtbaren Krieg Frauen und Männer ihrem Land ein Grundgesetz gaben, das die Würde des Menschen schützt
Auch während der politischen Wende 1989 haben sich die Menschen an den Werten und Zielen dieses Grundgesetzes orientiert. Die in ihm verbürgten Freiheitsrechte ließen die Rufe laut werden "Wir sind das Volk!" und "Wir sind ein Volk!"
Ich bin froh darüber, daß unser Grundgesetz einen Konsens von Grundwerten beschreibt, der dem christlichen Menschenbild entspringt. Der Mensch hat seinen Wert in sich, weil er von Gott gewollt ist, egal welcher Rasse, Religion oder sozialen Klasse er angehört, ob er krank oder gesund ist
Als Mensch haben wir darüber hinaus in dieser Welt eine Verantwortung für Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung
Die Worte der Präambel "in Verantwortung vor Gott und den Menschen" umschreiben diesen Zusammenhang und den darf auch eine global ausgerichtete Gesellschaft im dritten Jahrtausend nicht vergessen
Werte wie menschliche Würde, persönliche Freiheit und Solidarität dürfen nicht im Strudel wirtschaftlicher Interessen oder politischen Machtstrebens untergehen. Nicht allein materielle Werte ermöglichen ein funktionierendes Zusammenleben. Das Grundgesetz ist - zum Beispiel mit seinen Bestimmungen zur Glaubensfreiheit, zum Schulwesen sowie zu den Rechten und Pflichten der Religionsgemeinschaften - eine stabile Grundlage für das öffentliche Wirken der Kirche. Es hat uns als Kirche in den neuen Bundesländern die Tür in die Gesellschaft weit aufgestoßen. Auch dafür sind wir dankbar
Nach Jahrzehnten des Ausschlusses aus dem öffentlichen Leben ist das gerade in den östlichen Bundesländern eine Herausforderung, die wir als Chance auffassen. Aus der christlichen Sicht der Welt und des Menschen will die Kirche Menschen zum Leben helfen
Das Grundgesetz muß immer wieder neu gelebt und erlebt werden. So rufe ich alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger auf, von ihrem Recht zur Wahl des Europaparlaments und ihrer kommunalen Parlamente in Sachsen-Anhalt unbedingt Gebrauch zu machen
Eine hohe Wahlbeteiligung ist ein Zeichen dafür, daß die parlamentarische Demokratie funktioniert. Zugleich bringt sie die Identifikation mit dieser bislang sicherlich besten Verfassung Deutschlands zum Ausdruck
Insbesondere ermutige ich die Jungwähler ab 16 Jahre, die an der Kommunalwahl in Sachsen-Anhalt teilnehmen dürfen: Gehen Sie mit Ihrem Wahlrecht verantwortungsbewußt um!
Mit Ihrer Entscheidung über die Zusammensetzung der kommunalen Parlamente haben Sie Einfluß auf die Gestaltung Ihres unmittelbaren Lebensumfeldes
Bischof Leo Nowak
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 30.05.1999