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Die Welt blickte auf das ottonische Sachsen

Zur Magdeburger Ottonen-Ausstellung (3): "...das goldene Zeitalter"

" … das goldene Zeitalter" -Thietmar von Merseburg, aus dessen Chronik das Zitat stammt, war sich sicher: Die Zeit Ottos des Großen war die glänzendste in der Herrschaft der Ottonen. Auch wenn der Merseburger Bischof Otto den Großen nicht mehr erlebt hatte -Thietmar wurde zwei Jahre nach dem Tode Ottos des Großen geboren -, die Regentschaft der jeweiligen Nachfolger reichte, seiner Ansicht nach, nicht mehr an die alten glorreichen Zeiten heran. Dies sah nicht nur der Merseburger Bischof so: Schon zu Lebzeiten wurde Otto von seinen Zeitgenossen als "der Große" bezeichnet.

Was war es nun, was diese Größe ausmachte? Den sächsischen Geschichtsschreibern war dies deutlich: Mit dem Vater Ottos des Großen, Heinrich I. (919 - 936) war erstmals einer aus ihrem Stamm König geworden, Otto der Große steigerte das Ansehen des Stammes in beeindruckender Weise. Er war nicht nur König, er war Kaiser geworden. Er hatte angeknüpft an alte karolingische Traditionen, an das Kaisertum Karls des Großen. Zudem hatte er die Ungarn und, so sah es jedenfalls eine Zeit lang aus, die Slawen besiegt. Die Gewinne kamen Sachsen zugute: Pfalzen, vor allem Kirchen und Klöster wurden gebaut und prachtvoll ausgestattet. Die damalige Welt blickte auf das ottonische Sachsen. "Wir sind jetzt wer! Wir stellen Könige und Kaiser! Wir stehen im Mittelpunkt königlicher Herrschaft!", so könnte die Haltung der Sachsen im zehnten Jahrhundert beschrieben werden, ein sächsisches Selbstbewusstsein, mit dem noch hundert Jahre später der Salier Heinrich IV. (1056 - 1106) im Harz zu kämpfen hatte.

Schon im zehnten und elften Jahrhundert war die Sicht der Geschichtsschreiber auf Otto den Großen eine, die von dem jeweiligen Standpunkt des Betrachters und seiner Gegenwart beeinflusst war. So war für den Merseburger Bischof die Zeit Ottos des Großen nicht zuletzt deshalb eine "gute, alte Zeit", weil Otto damals das Bistum Merseburg gegründet hatte; die darauf folgenden Zeiten waren eher schlechter, da das Bistum hier aufgehoben wurde und erst unter Heinrich II. wieder eingerichtet wurde. Die Sachsen im elften Jahrhundert erinnerten sich an ihre besondere Bedeutung, als Heinrich IV. begann, königliche Rechte im Harz einzufordern.

Auch mittelalterliche Geschichtsschreibung war, und dies gilt, seitdem Menschen über (ihre) Geschichte schreiben, abhängig von den jeweiligen Zeitumständen. Sie sagt zumeist ebensoviel, manchmal sogar mehr, über die Gegenwart des Schreibers aus als über den berichteten Zeitraum.

Etwa 900 Jahre später, zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde die Erforschung des Mittelalters zum Gegenstand der allmählich beginnenden akademischen Beschäftigung mit der Geschichte. In den Mittelpunkt des Interesses geriet zunehmend das "goldene Zeitalter", die Zeit Ottos des Großen: 1876 sah der Historiker Ernst Dümmler in der, bis heute ausführlichsten Beschreibung der Regierung Ottos des Großen, einen "nationalen Zug ... durch die Herzen des Volkes gehen, das damals zuerst anfing (!), sich das Deutsche zu nennen und deutsch zu fühlen." Die Entstehung eines deutschen Staates, eines ersten Reiches der Deutschen stand im Vordergrund dieser Geschichtsbetrachtung, die in ihrer Gegenwart die gerade geschehene Reichsgründung von 1871 erlebt hatte. Der Glanz des Mittelalters, die "glorreichen" Zeiten der mittelalterlichen Kaiser, vor allem aber die "Einigung der deutschen Stämme zu einem deutschen Volk in einem deutschen Staat" waren die Überschriften, unter denen von nun an die Bewertung vor allem Heinrichs I. und Ottos des Großen stattfinden sollte. Diese Überschriften haben sich bis heute erhalten und bestimmen die Bewertung der beiden ersten Ottonen, zumindest in der Presse und manchmal noch in Schulbüchern: Heinrich, der erste deutsche König und Otto, der erste deutsche Kaiser.

Die Forschung zur mittelalterlichen Geschichte, gerade zu den Ottonen, hat seit den letzten zwanzig Jahren all diese vermeintlichen historischen Erkenntnisse in den Grundfesten erschüttert: "Königsherrschaft ohne Staat", so fasste Gerd Althoff, einer der besten Kenner der Ottonen, seine Forschungsergebnisse im letzten Jahr zusammen. Von einem "deutschen" Heinrich I. und Otto dem Großen ist in der Geschichtswissenschaft seit Jahrzehnten nicht mehr die Rede, seitdem deutlich geworden ist, dass ein Reich der Deutschen erst lange Zeit nach den Ottonen greifbar wird.

Trotz dieser Erkenntnisse haften die Bilder von den ersten deutschen Königen und Kaisern im Gedächtnis. Dies liegt unter anderem daran, dass es sehr lange dauert, bis Forschungsergebnisse aus der mittelalterlichen Geschichte von einer großen Öffentlichkeit wahrgenommen werden. Zum anderen erfüllen diese Bilder einen bestimmten Zweck: Sie erinnern an vergangene, vermeintlich ruhmreichere Zeiten; sie können (Selbst-) Bewusstsein stärken und vielleicht sogar Identität schaffen. Wie stark diese Bilder sind, zeigen die heftigen Diskussionen über die neuesten Erkenntnisse zur Kaiserpfalz Ottos des Großen in Magdeburg. Auch heute, wie vor 1000 Jahren, enthüllt die Wahrnehmung und Interpretation Ottos des Großen oft mehr über die Gegenwart als über die Vergangenheit: Das macht Geschichte lebendig, aber auch politisch.

Jutta Gladen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 45 des 51. Jahrgangs (im Jahr 2001).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 08.11.2001

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