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Bistum Magdeburg

Bei Schwester Martina vom Tango träumen

Caritas-Jahresthema 1999

Schönebeck - "Menschen würdig pflegen" heißt das diesjährige Jahresthema des Caritasverbandes. Nachdem vor drei Wochen im Tag des Herrn ein Altenpflegeheim vorgestellt wurde, das dieses Motto umzusetzen versucht, steht in der heutigen Ausgabe die Caritas-Sozialstation Schönebeck im Mittelpunkt

"Ich würde so gerne nochmal Tango tanzen oder den Walzer linksrum." Mit Schwester Martina Koppenhöfer kann Gertrud Stahl beim morgendlichen Waschen über solche Sehnsüchte sprechen. Manchmal sagt sie der Caritas-Schwester beim Rückenwaschen Gedichte auf, die sie einst in der Schule gelernt hat. Viele kann die 82jährige noch mit allen Strophen, ohne zu stocken, und Schwester Martina kann gut zuhören

"Es gibt nichts besseres als die Caritas-Sozialstation", hat Frau Stahl kürzlich dem jungen Fahrer eines privaten Pflegedienstes erzählt, der sie zum Arzt gefahren hat. Dabei ist es ihr anfangs gar nicht so leicht gefallen, von fremden Leuten Hilfe anzunehmen. Erschreckend hatte sie vor allem die Vorstellung gefunden, jemandem zur Last zu fallen und bei Morgengrauen aus dem Bett gerissen zu werden

Bis vor einigen Monaten konnte sie sich noch gut selbst versorgen. Dann hatte sie plötzlich einen Schwächeanfall, fühlte sich auch danach noch kraftlos und abgeschlagen. Ihre Tochter wohnt zwar im selben Haus, kann ihre Wäsche waschen und für sie einkaufen, tagsüber ist sie jedoch an ihrer Arbeitsstelle in Magdeburg. Ein ambulanter Pflegedienst schien die einzige Alternative zu sein, Gertrud Stahl akzeptierte das schweren Herzens

Für sie als Katholikin lag es nahe, sich an die Caritas-Sozialstation zu wenden. Als sie erfuhr, daß sie ihren gewohnten Tagesablauf beibehalten konnte, fiel ihr ein Stein vom Herzen. Sie hatte sich in den letzten Jahren daran gewöhnt, bis neun Uhr zu schlafen. Anfangs halfen ihr die Mitarbeiter der Caritas-Sozialstation nur beim Rückenwaschen. Mittlerweile nimmt sie auch noch andere Hilfsangebote in Anspruch, darunter auch den "Essen-auf-Rädern-Dienst"

"Wenn es irgendwie möglich ist, gehen wir auf die Wünsche und Lebensgewohnheiten unserer Patienten ein", sagt Annette Schwarz, die Leiterin der Sozialstation. Wer möchte, bekommt schon früh um sechs Besuch von den Caritas-Mitarbeitern, wer lieber ausschläft, darf dies ebenfalls tun. Die Hilfsbedürftigen entscheiden selbst, ob sie morgens unter der Dusche, in der Badewanne oder im Bett gewaschen werden

Allerdings sind nicht alle Patienten so leicht zufriedenzustellen wie Frau Stahl. Die Caritas-Einrichtung sieht sich bei einigen Patienten und ihren Angehörigen einer sehr hohen Erwartungshaltung ausgesetzt. "Vielen ist nicht bewußt, daß die Pflegeversicherung eigentlich nur eine ,Teilkaskoversicherung' ist. Sie fragen nicht danach, wie wir unsere Arbeit finanzieren und denken, die Caritas kann alles machen.

Tatsächlich sind den Mitarbeitern durch die Pflege- und Krankenkassen Grenzen gesetzt, die in letzter Zeit immer enger werden. Beispielsweise wollen die Kassen physiotherapeutische Behandlungen in der Regel nur dann bezahlen, wenn bei den Patienten noch eine Verbesserung der Bewegungsabläufe zu erwarten ist. Für die Betroffenen ist es aber oftmals schon ein großer Gewinn an Lebensqualität, wenn ihr körperliches Befinden sich mit Hilfe einer Physiotherapie nicht weiter verschlechtert. Die beiden Physiotherapeutinnen der Schönebecker Caritas-Sozialstation wünschen sich, daß der Erhalt des Vorhandenen stärkere Anerkennung und finanzielle Unterstützung findet

Pflegeeinsätze für das Spritzen von Insulinpatienten werden nur noch in Ausnahmefällen von den Kassen finanziert. Patienten sollen sich die Insulinspritzen selber setzen. Mancher, der dazu eigentlich noch in der Lage wäre, sträubt sich heftig dagegen. Der Besuch von der Krankenschwester oder der Hauswirtschafterin hat oft auch soziale Bedeutung. Die Schönebecker Caritas-Mitarbeiter sind sich bewußt, daß sie für manchen Patienten die ganze Woche über die einzigen Gesprächspartner sind. Eine alte Dame beispielsweise, die wegen ihrer offenen Beine von der Sozialstation betreut wurde, kratzte sich die verheilenden Wunden immer wieder auf, weil sie den täglichen Besuch nicht missen wollte

Die Schwestern und Pfleger nehmen sich Zeit für Gespräche und engagieren sich auch über die reguläre Arbeitszeit hinaus für die alten Menschen, erledigen beispielsweise in ihrer Freizeit Einkäufe für sie. Dennoch hat jede Pflegekraft auch ihre persönlichen Grenzen, auf die sie den einen oder anderen Patienten gelegentlich hinweisen muß, zum Beispiel mit einem freundlichen Hinweise auf den nächsten Patienten, der bereits wartet

Die ehrenamtlichen Dienste der katholischen Pfarrgemeinde ergänzen das Angebot der Sozialstation. Der Gemeinde-Besuchsdienst gibt der Station hin und wieder einen Hinweis: "Dort wohnt jemand, der alleine nicht mehr klarzukommen scheint. Könntet ihr euch da nicht mal kümmern?" Magdalena Kupczyk, Gemeindereferentin im Ruhestand, baut derzeit einen Hospizdienst für die Stadt Schönebeck auf. Sie mobilisiert ehrenamtliche Helfer, die sterbenskranken Menschen Zeit widmen möchten

Die meisten Patienten, die mit Annette Schwarz und ihren Kollegen über das Sterben gesprochen haben, möchten ihre letzten Stunden gerne zu Hause erleben. Alleine schafft es die Sozialstation allerdings nicht, ihnen diesen Wunsch zu ermöglichen. Sobald Pflegebedürftige eine Betreuung rund um die Uhr benötigen, stößt der Caritas-Pflegedienst an die Grenzen seiner personellen Kapazität. Der Einsatz von Angehörigen, Nachbarn und ehrenamtlichen Helfern ist deshalb erforderlich, damit ein Patient der Caritas-Sozialstation auch als schwerer Pflegefall in seiner gewohnten Umgebung weiterleben kann

Dorothee Wanzek

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 22 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 06.06.1999

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