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Aus der Region

Blick in Berlin auch auf die Kirchen gelenkt

Geschichtsforum

Berlin (mh) - Der Appell von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) war eindeutig: Damit "Getrennte Vergangenheit - Gemeinsame Geschichte" wird - so das Motto eines Forums in Berlin, zu dessen Eröffnung Thierse sprach - bedürfe es einer "größeren Bereitschaft, über die eigenen Biographien zu sprechen, und einer größeren Bereitschaft zum Zuhören". Notwendig sei dabei auch der "selbstkritische Blick des Westens", der den selbstkritischen Blick des Ostens erleichtere. Thierse forderte für den Umgang mit der jüngsten deutschen Geschichte Differenzierung, einen pluralen Blick und "Respekt vor dem gelebten Leben"

Drei Tage lang beschäftigten sich rund 1400 Teilnehmer des Forums in rund 80 Veranstaltungen mit der deutschen Geschichte. Dabei wurde auch der Blick auf die Kirchen gelenkt. Einer der markantesten Punkte ist der Rückgang der Kirchenzugehörigkeit im Gebiet der ehemaligen DDR. Bezeichneten sich 1946 95 Prozent der Bevölkerung als christlich, waren es 1989 nur noch 30 Prozent. Aber: Kirchenaustrittswellen habe es schon seit den Zeiten der Weimarer Republik und nach 1945 auch im westlichen Teil Deutschlands gegeben. Darauf machte Gerhard Besier (Heidelberg) aufmerksam. Das SED-Regime habe die Säkularisierung nicht initiiert, nur beschleunigt. Auch sei es der SED - mit Ausnahme der Jugendweihe - nicht gelungen, eine "Ersatzreligion" mit entsprechenden Riten zu schaffen. Es habe etwas gekostet, in der DDR zur Kirche zu gehören. Das habe einerseits zur inneren Festigung der Kirche geführt, andererseits seien die Kosten -vor allem wenn es die Kinder und ihre beruflichen Perspektiven betraf - teilweise so hoch geworden, daß ein Kirchenaustritt die Folge war

Mit Blick auf die katholische Kirche bescheinigte Bernd Schäfer (Dresden) der SED-Kirchenpolitik einen Mißerfolg mit Blick auf die Kirchenmitglieder. Das "katholische Milieu" in der DDR - besonders im Eichsfeld und in der Oberlausitz - sei überaus stabil gewesen. Den Rückgang der Katholikenzahlen führte Schäfer vor allem auf "Abwanderung" in den Westen zurück

Für das Ausmaß des Rückgangs an Kirchlichkeit im Osten Deutschlands sei ohne Zweifel der staatliche Druck verantwortlich, betonte der frühere evangelische Landesbischof von Mecklenburg, Christoph Stier. Allerdings habe sich die evangelische Kirche, obwohl sie kleiner wurde, nicht zurückgezogen oder zurückdrängen lassen. Vielmehr habe sie - etwa durch ihre Funktion als Zufluchtsort - einen Beitrag zum Aufbrechen der Gesellschaft 1989 geleistet

Auf den Beitrag beider Kirchen zu den politischen Veränderungen in der DDR verwies der ehemalige katholische Propst von Leipzig, Günter Hanisch: Die Kirchen hätten in der Wendezeit einen Vertrauensvorschuß gehabt. Ihr Beitrag sei es gewesen, Chaos zu verhindern und demokratische Wahlen mit zu ermöglichen. Selbstkritisch zitierte Hanisch für die gesamte DDR-Zeit allerdings den evangelischen Altbischof Werner Krusche: "Wir haben Flagge gezeigt, Zähne haben wir nicht gezeigt."

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 23 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 13.06.1999

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