Kommt demnächst der Baby-TÜV?
Diözesanrat des Bistums Dresden-Meißen tagte in Schmochtitz
Schmochtitz (mh) -Der Diözesanrat des Bistums Dresden-Meißen fordert ein umfassendes Fortpflanzungsmedizingesetz für Deutschland. In einer Erklärung, die das oberste Laiengremium des Bistums zum Abschluss seiner Vollversammlung in Schmochtitz verabschiedet hat, werden die Politiker aufgefordert, die Erarbeitung dieses Gesetzes "angesichts des rasanten Forschungsfortschrittes zu beschleunigen". Der Diözesanrat lehnt außerdem die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) ab. PID ist eine Untersuchungsmethode, die es schon kurz nach der Befruchtung der Eizelle im Reagenzglas erlaubt, genetische Defekte festzustellen. Abgelehnt werden auch Spätabtreibungen, die bei zu erwartender Krankheit oder Behinderung des Kindes bis kurz vor der Geburt möglich sind. Notwendig seien hier politische Entscheidungen, zumindest die Einführung einer Pflichtberatung.
Der Diözesanrat hatte sich mit mehreren Vorträgen über Biomedizin und deren ethische Konsequenzen informiert. Dr. Caspar Sölling (Limburg) zeigte, welche einschneidenden Veränderungen mit der Biomedizin verbunden sind. "Bisher haben wir nur die äußere Umwelt manipuliert. Die Grenze, dass der Mensch sich selbst manipulieren kann, wird jetzt zumindest theoretisch überschreitbar." Es gehe nicht darum, die neuen Möglichkeiten pauschal zu verurteilen. Dafür nannte er positive Beispiele: So könne mit einem Gentest beim erwachsenen Menschen frühzeitig die so genannte Eisenspeicherkrankheit diagnostiziert werden. Die Therapie sei dann einfach: Regelmäßig Blut spenden. Werde die Krankheit zu spät festgestellt, helfe nur noch eine Lebertransplantation.
Sölling warnte vor zu hohen Erwartungen. Zwar könnten durch PID 600 genetisch bedingte Erkrankungen erkannt werden, doch davon seien heute höchstens 50 heilbar. "Was machen Eltern, wenn sie erfahren, dass die Krankheit ihres ungeborenen Kindes nicht heilbar ist?" Im Falle einer Behinderung käme den Ärzten eine Schlüsselfunktion zu: "Welches Bild vermitteln sie den Eltern vom Leben eines Behinderten?" Behinderung werde heute nach dem Motto "gesund gleich glücklich, behindert gleich unglücklich" zunehmend als Übel gesehen. Ein weiteres Problem bestehe darin, dass viele Krankheiten zwar genetisch veranlagt sind, aber nicht tatsächlich ausbrechen müssten. Im Fall von Brustkrebs liege die Rate bei höchstens zehn Prozent. "Wie geht ein Betroffener mit diesem Wissen um?"
Wie wichtig die Frage nach dem Beginn des menschlichen Lebens für die ethische Beurteilung der Gentechnik ist, zeigten der Erfurter Moraltheologe Josef Römelt und die Leipziger Medizinhistorikerin Ortrun Riha. Die katholische Kirche habe 1867 eine rund 50 Jahre ältere naturwissenschaftliche Erkenntnis nachgeholt, wonach menschliches Leben mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginne. Doch gebe es auch heute zahlreiche andere Vorstellungen. So vertrete die anglikanische Kirche die Auffassung, dass menschliches Leben mit der Einnistung der Eizelle in die Gebärmutter (etwa am 14. Tag) beginnt. In Israel liege der Zeitpunkt noch später: Nach jüdischer Vorstellung erhalte der Mensch am 40. Tag seine Seele.
Dies war einer der Gründe, weswegen Römelt die Verwendung des Begriffs Seele in der gegenwärtigen Diskussion ablehnte. Dies hatte Ortrun Riha gefordert. Die Kirche solle besser mit der Seele argumentieren als mit der "Menschenwürde eines Achtzellers". Römelt verteidigte das Argument Menschenwürde. Sie sei etwas, was vom geborenen auf das ungeborene Leben "abstrahle". Die Entwicklung des Menschen sei ein kontinuierlicher Prozess, der mit der Befruchtung beginne. "Wenn man kurz danach in das Genom etwas einpflanzt, wird der geborene Menschen das spüren!" Einig waren sich beide, dass die Kontinuierlichkeit der menschlichen Entwicklung in der Diskussion ein wichtiges Argument sei.
Ortrun Riha warnte vor Hysterie in der Biomedizindebatte. Die Diskussion sei voller irrationaler Argumente und Szenarien. Die Zahl der tatsächlichen Anwendungen sei relativ gering. Auch stehe ein "Kind nach Maß mit blauen Augen und blonden Haaren gegenwärtig überhaupt nicht zur Debatte". Riha forderte von den Kirchen deshalb, die Diskussion in größere Zusammenhänge zu bringen. "PID und Stammzellenforschung sind Sonderthemen." Solange Spirale und Pille danach erlaubt seien, sei der Embryo außerhalb des Mutterleibes besser geschützt als im Mutterleib.
In der aktuellen politischen Debatte gehe es aber um die Fragen der Zulassung von PID und des Imports von Stammzellen, betonte Sölling. "Die Kirche muss sich hier positionieren." Nicht die geringen Zahlen seien das Problem, sondern das damit verbundene Denken. "Ich befürchte, dass die Vorstellung vom Baby-TÜV Schule machen könnte."
Themen der Versammlung waren auch die Reform der kirchlichen Strukturen im Bistum und die Schulproblematik (Schulen im ländlichen Raum, vor allem im Gebiet der katholischen Sorben). Berichte dazu demnächst.
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Donnerstag, 15.11.2001