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Bistum Magdeburg

Suche nach einer neuen Kultur der Endlichkeit

Akademietag

Halle (leo) - "Was darf ich vom Leben erwarten?" Unter dieser Fragestellung befaßten sich anläßlich des zweiten "Tages der Akademie" am 5. Juni in Halle die Gäste der Katholischen Akademie des Bistums Magdeburg mit dem Thema "Endlichkeit". Im Rahmen einer Podiumsdiskussion hielten Persönlichkeiten aus Philosophie, Theologie und Zeitgeschehen Plädoyers zu einer "neuen Kultur der Endlichkeit"

Claudia Nothelle, MDR-Redakteurin für Politik und Zeitgeschehen in Dresden, verwies dabei auf den Zwiespalt zwischen den Anforderungen christlicher Ideale und der Rolle von Politikern in der Gesellschaft. Während die Politik "Bilder einer besseren Welt" als Muster für politische Ziele im Diesseits verspräche, sei für die Christen ein "idealer endzeitlicher Zustand" erst im Jenseits zu erzielen. Um die "beste aller möglichen Welten bemüht, stoße die Politik immer wieder an die Grenzen ihrer gestalterischen Möglichkeiten, ein Zustand, der vielen Christen politisches Engagement schwer mache

"Das alltägliche Schicksal von Politikern, das kleinere Übel wählen zu müssen", veranlasse viele Menschen zu der Frage: "Ist es überhaupt christlich, Politik zu machen?" Die Schwierigkeit für christliches Engagement bestünde auch darin, daß sich aus der biblischen Botschaft selbst kein politisches Programm ableiten lasse, betonte Nothelle

Doch durch den moralischen Maßstab der Liebe als Grundlage für politisches Handeln könnten Christen einen unverkennbaren Beitrag leisten, betonte die promovierte Journalistin. Sie warnte vor einem religiösen Leistungsgedanken im politischen Handeln und forderte, lieber viele kleine Schritte zu tun als sich den Mut nehmen zu lassen

Josef Römelt, Professor für Moraltheologie in Erfurt, mahnte ein neues Bewußtsein für die Endlichkeit an. Scheine es heute weniger Grenzen als je zuvor zu geben, so müßten sich die Menschen erneut bewußt werden: "Die Endlichkeit gehört zum Leben dazu."

Gerade im ökologischen und medizinischen Bereich müsse dieser Grenzenlosigkeit durch die "Kraft zur Begrenzung der eigenen Technik" ein Ende gesetzt werden. Endlichkeit heute bedeute aber auch die Grenze der Demokratie, der Wirtschaftsform und des eigenen Lebensstils

Das Christentum sieht Römelt an der "modernen Kultur der Grenzenlosigkeit" beteiligt: "Die Heiligkeit des Lebens verlangt eine maßlose Verlängerung des Lebens". Auch die ökologischen Probleme würden dem Christentum angelastet, weil es dem Menschen seine Freiheit offenbart habe. Der Mensch, der in der Bibel vor Gott einzigartig groß und mit Freiheit ausgestattet sei, müsse seine eigenen Grenzen integrieren, forderte Römelt: Die Sterblichkeit und die Schuldhaftigkeit. "Die Akzeptanz der Endlichkeit des Lebens gehört zu einer wirklichen Freiheit und Fülle des Lebens." Den Weg in die Zukunft wiesen daher Werte wie Verzicht oder Beschränkung

Rainer Enskat, Professor für Philosophie in Halle, verstand unter einer "neuen Kultur der Endlichkeit" die "Pflege des Erwerbs von Wissen". "Die Endlichkeit des menschlichen Lebens hat mit den Grenzen seines Wissens, seines Grades an Informiertheit zu tun." Um sich auf die Bedingungen der Endlichkeit einzustellen, sei der Erwerb von situationsgebundenen Informationen wichtigste Voraussetzung. So könne die Endlichkeit der Energieressourcen nur durch technisches Wissen überwunden werden

Doch auch der menschliche Wissenserwerb stoße an Grenzen, betonte Enskat: So übersteige beispielsweise die sich stetig verkürzende Veralterungszeit unseres Wissens die Grenze unserer kognitiven Möglichkeiten

Eine Kultur der Endlichkeit habe es mit einer unübersehbaren Vielzahl derartiger Endlichkeiten zu tun, so Enskat. Was der Einzelne vom Leben erwarten darf, sei die Chance, kognitive und emotionale Fähigkeiten zu entwickeln, sein eigenes Scheitern zu verarbeiten und so die Endlichkeit zu bewerkstelligen

Zwischen den Eckpunkten Wissen, Verzicht und Engagement entwickelte sich eine rege Diskussion unter den Gästen der Akademie

Akademiedirektor Hans-Joachim Marchio bezeichnete diesen zweiten "Tag der Akademie" als Meilenstein für eine "gute, jährliche Tradition". Die Öffentlichkeit verlange den Diskurs mit allem und jedem. Die katholische Akademie wolle dafür ein Forum sein

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 23 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 13.06.1999

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