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Bistum Dresden-Meißen

Im Storchennest wird taubblinden Menschen geholfen

Begegnungsstätte

Radeberg (fun) - "Sie mag Musik nur wenn sie laut ist ...Wenn der Boden unter den Füßen bebt, dann vergißt sie, daß sie taub ist" - so der Anfang eines Liedes von Herbert Grönemeyer. Musik fühlen, nach ihrem Rhythmus tanzen - dieses seltene Angebot bekommen taubblinde Menschen, wenn sie in der Begegnungsstätte "Storchennest" zu Gast sind. Im Keller der alten Villa nahe Dresden ist für sie extra ein Raum eingerichtet worden, wo Musik ohne Begrenzung aufgedreht werden kann

Die Leiterin Ruth Zacharias, eine evangelische Pastorin, und die Mitarbeiter der einzigen Begegnungsstätte speziell für Taubblinde in Deutschland haben sich ein ehrgeiziges Ziel gesetzt: Die Menschen, die bei ihnen für zwei bis drei Wochen zu Gast sind, sollen intensiv betreut werden. Dazu gehört auch, daß ihnen die Möglichkeit gegeben wird, all das zu tun, wozu sie aufgrund ihrer Behinderung im Alltag keine Gelegenheit haben

So ist der Aufenthalt für die meisten Gäste des "Storchennestes" eine Art Urlaub. Für einige ist der Besuch aber auch eine Bereicherung: "Ein paar von den taubblinden Menschen, die zu uns kommen, lernen die Verständigungssprache der Taubblinden erst hier in unserem Haus", erzählt der Geschäftsführer. Das sogenannte "Lormen" ist die Zeichensprache auf der Hand. Dabei werden die einzelnen Buchstaben nacheinander auf spezifische Stellen auf der Handfläche oder auf den Fingern getippt

Durch die speziell auf den taubblinden Menschen abgestimmte Betreuung, hat sich das "Storchennest" mittlerweile einen guten Ruf erkämpft: "Den Gästen, die zum ersten Mal hier sind, gefällt es sehr gut. Es gibt aber auch schon einige Taubblinde, die zum zweiten oder dritten Mal hier sind", erklärt der Verwaltungsleiter des "Storchen-nestes" Gerold Augart

Bundesweit sind zirka 2000 Menschen jeder Altersgruppe taubblind. Durch diese Behinderung haben sie einen Sinnesausfall von 80 Prozent, so daß ihnen nur noch die Sinne Riechen, Schmecken und Tasten übrig bleiben, um ihre Umwelt wahrnehmen zu können. Häufig wohnen sie in Heimen, teilweise mit ihrer Familie zusammen, in seltenen Fällen auch allein

In der Zeit, in der sie im "Storchennest" sind, wird jedem Besucher für den ganzen Zeitraum ein persönlicher Betreuer zur Verfügung gestellt. Dadurch ist "die Arbeit mit taubblinden Menschen sehr personalintensiv", sagt Augart. So sei der Tagessatz von 40 Mark für jeden Besucher zwar bezahlbar, stehe jedoch in keiner Relation zu den anfallenden Kosten. Denn trotz der vielen ehrenamtlichen Mitarbeiter müßten eine Sozialarbeiterin, eine Köchin, zwei Hausangestellte und einige Vorruheständler bezahlt werden. Die Deckung der Kosten ermögliche zum einen die Unterstützung des Diakonischen Werkes und öffentliche Fördergelder zum anderen sei man auf die eingereichten Spenden angewiesen

Dabei habe die Leiterin Ruth Zacharias enorme Vorarbeit geleistet. Die evangelische Pastorin baute schon zu DDR-Zeiten im Diakonischen Werk die Taubblindenseelsorge mit auf. Im Rahmen des evangelischen Blindendienstes besuchte sie betroffene Menschen und knüpfte in dieser Zeit viele Kontakte, die ihr später beim Aufbau des "Storchennestes" weiterhelfen konnten

Der Name des Begegnungszentrums stammt noch aus alten Zeiten, denn die Villa diente bis 1973 als Entbindungsklinik. Danach verfiel das Gebäude nach und nach. Bis die evangelische Pastorin in dem Haus eine Chance sah, ihre Arbeit in der Blindenseelsorge auszubauen. So wurde in mühevoller Arbeit und mit viel Energie das alte Haus zu einer nunmehr völlig behindertengerechten Einrichtung mit 18 Zimmern umgebaut und saniert. Im Jahre 1993 wurden Ruth Zacharias und die vielen Helfer mit der Einweihung belohnt. Die 2,5 Millionen Mark, die zum Umbau benötigt wurden, bekam die evangelische Pastorin vorwiegend aus Spenden über den gleichnamigen Förderverein

Doch neben der finanziellen Seite gibt es auch eine andere wichtige Komponente, die für die Einrichtung einer solchen Begegnungsstätte für Menschen mit außergewöhnlichen Behinderung ausschlaggebend ist. "Ruth Zacharias ist selbst blind und kann sich so sehr gut in diese Menschen einfühlen", so Augart. Sie wußte, worauf zu achten ist: Direkt hinter der Villa gibt es einen Duftgarten, in dem Tast- und Geruchsinn voll zur Geltung kommen können. Ein spezielles Wegesystem mit Handläufen und Hinweisen auf Metallplatten führt die Besucher zu hunderten von Pflanzen mit verschiedenen Düften

Weiterhin ist das ganze Haus mit verschiedenen Bodenbelägen ausgestattet, die den Taubblinden Höhenunterschiede ankündigen. Außerdem sind überall Handläufe angebracht. An der Wand hängen Bilder, die aufgrund ihres Profils er-fühlt werden können. Und im Keller gibt es einen Bastel- und einen Discoraum. Dort können die Besucher des Storchennestes sich entweder unter eine Körperdusche stellen - das ist ein Vorhang aus aufgefädelten Korken, Schaumstoffbällen, Wollknäulen und Glocken, der von der Decke baumelt - oder eben zu den Bässen der Musik tanzen

Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 24 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.06.1999

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