Die Heiligen auf Eis gelegt
Priester Ferdinand Weber
Pretzsch - Wenn Ferdinand Weber aus seinem Leben erzählt, ist das spannend wie ein Krimi und lehrreich wie eine Geschichtsstunde, oft urkomisch und manchmal fast zum Heulen. Den Pretzscher Ruheständler, der am 24. Juni sein diamantenes Priesterjubiläum feiert, kann man sich kaum gemütlich auf der Wohnzimmercouch ausgestreckt vorstellen
Er wollte immer ein glaubwürdiger Seelsorger sein, einer, der sich nicht zu schade ist für schmutzige Hände und der all das durchleidet, was auch seine Gemeinde durchmachen muß
Geboren wurde Ferdinand Weber vor 84 Jahren in der Südbukowina, einem Teil des österreichischen Kaiserreiches, der heute zu Rumänien gehört. Dort empfing er 1939 die Priesterweihe und kam dann als Vikar in eine bitterarme Gemeinde. Die meisten Gemeindemitglieder stellten einen Antrag auf Umsiedlung ins Deutsche Reich, nicht zuletzt, weil sie als Katholiken und als Deutsche Nachteile in Kauf nehmen mußten. Vikar Weber schloß sich ihnen an und gelangte mit ihnen in den Warthegau
Die Auswirkungen von Hitlers Idee, aus diesem Gau einen nationalsozialistischen Mustergau zu machen, waren für Ferdinand Weber und seine Gemeinde deutlich zu spüren. Fast alle Kirchen in der Gegend waren geschlossen worden, nur auf Druck der neuen Siedler wurden sie wieder geöffnet. Religionsunterricht in der Schule war ebenso verboten wie Kollekten, Kirchensteuern und gemeinsame Gottesdienste mit polnischen Gläubigen. Der Vikar hielt dennoch Kontakt zu den Polen
Als seiner Gemeinde 1945 die Vertreibung bevorstand, bekam er von Polen gesagt: "Sie können doch bleiben. Ihnen wird hier ganz gewiß nichts geschehen." Seine Antwort war die gleiche wie beim Wegzug aus der Bukowina: "Geht die Herde, geht der Hirt."
Er schloß sich dem Vertriebenentreck an und übernahm selbst die Leitung eines Pferdegespanns. In Pratau bei Wittenberg endete die Fahrt. Einige Kilometer weiter, in Kemberg, wurde Ferdinand Weber kurz darauf Kuratus eines riesigen Seelsorgegebietes. Mehr als 60 Kilometer legte er fortan jeden Sonntag mit dem Fahrrad zurück auf dem Weg zu den Gottesdienststationen. Bald bekam er Hilfe durch Rosa Merk, die im Warthegau als Lehrerin gearbeitet hatte und die der Krieg zu ihrer Familie nach Bayern verschlagen hatte. Auf sein Bitten kam sie als Seelsorgehelferin nach Kemberg und begleitete ihn auch zu seiner nächsten Wirkungsstätte. Von ihr habe er eine Menge gelernt, insbesondere über lebendige Gestaltung des Religionsunterrichts, erzählt der Ruheständler
Seinen alten Traum, ganz auf Kirchensteuereinkünfte zu verzichten und seinen Lebensunterhalt durch körperliche Arbeit zu verdienen, trug er von Kemberg aus zum zweiten Mal an einen Bischof heran. Oft hatte er zu hören bekommen: "Sie reden so, weil Sie dafür bezahlt werden." Außerdem hatte er immer den Wunsch, den Menschen etwas zu bringen anstatt etwas von ihnen zu holen. Schon als Neupriester hatte er seinem damaligen Bischof angeboten, in einem Sägewerk zu arbeiten. Der hatte abgelehnt mit der Begründung, ein solcher Schritt wäre Wasser auf die Mühlen derer, die die Priester als unausgelasteten Berufsstand sähen. Auch in Magdeburg stieß sein Vorschlag nicht auf Gegenliebe
Von 1954 bis 1971 war Ferdinand Weber Seelsorger in Osterburg, eine Zeit, die er selbst als die härteste in seinem Leben beschreibt. Ein großer Teil der Gemeinde trauerte seinem sehr beliebten Vorgänger nach, akzeptierte den Neuen nicht und kritisierte seine Strategie, "die Heiligen auf Eis zu legen, um sich den Sündern zuzuwenden". Während er sonntags predigte, lasen Gemeindemitglieder demonstrativ in ihrem Meßbuch, wenn er den Segen spendete, gab es einige, die ihm den Rücken zudrehten. "Eine heilsame Kreuzerfahrung", sagt Pfarrer Weber über diese Jahre. Eine dicke Akte legte die Stasi in Osterburg über den katholischen Geistlichen an und stellte ihm eine Reihe von Fallen, um ihn wegen seiner offen regimekritischen Haltung ins Gefängnis zu bringen - ohne Erfolg. Im Blickpunkt des Interesses stand insbesondere der Gemeinde-Schaukasten, der weit über Osterburg hinaus Berühmtheit erlangte. In einer EOS lautete sogar einmal die Abituraufgabe: "Was würden Sie auf folgende Äußerung aus dem Schaukasten der katholischen Kirche in Osterburg entgegnen?
Einmal hängte der Pfarrer beispielsweise religionskritische Passagen aus Heinrich Heines "Wintermärchen" aus. Daneben stellte er einen Auszug aus dem Testament des Dichters, in dem er von seiner Bekehrung berichtet und sich bei allen entschuldigt, die er durch seinen spöttischen Umgang mit der Religion verletzt hat. Stasimitarbeiter öffneten den Schaukasten, ersetzten die Texte durch einen erfundenen Brief Webers, in dem der seine Bekehrung zum Sozialismus verkündet und sich für bisherige politische Worte entschuldigt. Die Männer brachen den Schlüssel ab und verschanzten sich in einer gegenüberliegenden Wohnung. Als Weber nach Hause kam, zerschlug er den Kasten, holte einen katholischen Glasermeister und hängte die Heine-Texte erneut auf mit der Bemerkung: "Zweite Auflage, die erste war sehr schnell vergriffen."
Von 1971 bis 1983 war Ferdinand Weber Pfarrer in Meyendorf. Wegen seines nachlassenden Gehörs lebt er seit 1983 im Ruhestand in Pretzsch, in der Nähe seines Einsatzortes Kemberg
Im ganzen Dekanat und auch darüber hinaus übernimmt der Geistliche Rat, der jeden Gottesdienst mit einem kleinen Witz abschließt und fehlende Sangeskünste durch schöne Musikaufnahmen aus der Retorte ersetzt, gerne Vertretungen als Zelebrant und Beichtvater. Jeden Donnerstag hält er zum Beispiel um 6.30 Uhr die Frühmesse bei den Wittenberger Schönstatt-Schwestern
Das wird auch an seinem Jubiläumstag, dem 24. Juni, nicht anders sein. Am 26. Juni wird er um 10 Uhr einen Festgottesdienst mit den Geistlichen des Dekanates, Gemeindemitgliedern und Galiziendeutschen aus vielen Teilen Deutschlands in der evangelischen Kirche in Pretzsch feiern. Am 28. Juni folgt eine Zusammenkunft mit anderen Priestern seines Weihejahrgangs aus dem rumänischen Bistum Jassy. Anstelle von Geschenken wünscht er sich Geld, mit dem er die Christen in seiner rumänischen Heimat unterstützen möchte.
Dorothee Wanzek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 20.06.1999