Religion ist Grenzmarkierung für den Staat
Edzard Schmidt-Jortzig (FDP)
Berlin - Für die finanzielle und administrative Unabhängigkeit der Kirchen hat sich der frühere Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) ausgesprochen. Dabei sei die Kirchensteuer die "Nagelprobe" für das Verhältnis von Staat und Kirche, erklärte er bei einer Abendveranstaltung der Katholischen Akademie in Berlin zum Thema "Was hat Religion mit Politik zu tun?" Das jetzige staatliche Inkasso der Kirchensteuer sei kein Modell für die Zukunft. Bei einer Neuordnung müsse aber die finanzielle Lebensfähigkeit der Kirchen gewahrt bleiben
Positiv bewertete Schmidt-Jortzig das italienische Steuersystem, bei dem alle Bürger eine Kultursteuer entrichten - ein Verfahren, bei dem sich Christen dafür entscheiden könnten, ihren Beitrag ihrer Kirche zukommen zu lassen, könne er sich auch in Deutschland gut vorstellen, meinte der Politiker. Die diakonischen und karitativen Aufgaben der Kirchen müßten jedoch allgemein finanziert werden, da sie allen zugute kommen
Im Gegensatz zum persönliche Bekenntnis zum christlichen Glauben, das der Freiheit des einzelnen unterliege, sei "Reli-gion keine Privatsache" sondern eine öffentliche Angelegenheit, erklärte Schmidt-Jortzig weiter, der auch Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist. Reli-gion sei auch eine Sache des Staates. Doch dürfe der Staat sich nicht an die Stelle der Religion setzen, wie es totalitäre Regime täten. "Religion ist eine Grenzmarkierung für den Staat", betonte der Politiker. Sie sei "Wächter" über die Freiheit des Menschen im Staat
Eine Übereinstimmung zwischen dem Christentum und dem von seiner Partei vertretenen Liberalismus sieht Schmidt-Jortzig darin, daß beide die Freiheit und Autonomie des Individuums unterstreichen. Gleichzeitig aber betonen beide die Verantwortung für andere. Dies erfordere auch politisches Engagement. Die Kirchen fordert der Synodale auf, sich auf diese Welt mit ihrer Unvollkommenheit einzulassen. Dabei müsse sie mit dem Staat unbedingt in einen kritischen, "absolut unabhängigen Dialog" treten. Zur Werteerziehung erklärte Schmidt-Jortzig, der Staat dürfe seine Verantwortung nicht auf die Kirchen abschieben. Vielmehr müßten diese ihn an seinen Teil der Aufgabe erinnern. Besondere Bedeutung bei der Werteerziehung komme aber den Familien zu. Die Kirchen rief der Politiker auf, den Missionsgedanken zu beleben, "damit Jugendliche nicht in die falsche Richtung rennen".
R. Cimbollek
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 27.06.1999