Im kleinsten Mittelgebirge Deutschlands lauert Gott hinter jeder Ecke
Urlauberseelsorger
Mönch und Schildkröte, Orgel und brütende Henne - wer durch das Zittauer Gebirge wandert, kann vieles entdecken. Über 100 Felsblöcke gibt es im kleinsten Mittelgebirge Deutschlands, denen die menschliche Phantasie einen Namen gegeben hat. Sagen und Geschichten ranken sich um sie. Die Menschen haben sie sich an den langen Winterabenden erzählt - zu Zeiten als es noch kein Radio und Fernsehen gab. Einer, der heute davon erzählen kann, ist Johannes Johne. Seit April ist Pfarrer Johne im Zittauer Gebirge tätig - als katholischer Urlauberseelsorger, der erste im Bistum Dresden-Meißen
Im Flur der kleinen Neubauwohnung in Olbersdorf, in der der Pfarrer wohnt, stehen Rucksack und Wanderschuhe. Im Bücherregal einträchtig nebeneinander theologische Literatur und Bücher über die Schönheit der Bergwelt. Eine Schublade des Wohnzimmerschrankes ist voller Wanderkarten von fast allen gebirgigen Gegenden Europas. Pfarrer Johne ist begeisterter Wanderer und Kletterer, und er ist fasziniert von der Schönheit der Natur. Hier setzt eines seiner Ziele an, die er als Urlauberseelsorger verfolgt: "Ich will die Menschen über die Schönheit der Natur zu Gott führen."
Das nur rund 50 Quadratkilometer große Gebirge, das man - bei guter Kondition - an einem Tag durchwandern kann, eignet sich dafür seiner Ansicht nach besonders gut. "Hier lauert Gott hinter jeder Ecke", sagt Pfarrer Johne. Wenn er mit Urlaubern unterwegs ist, macht er sie darauf aufmerksam, "wenn sie darauf ansprechbar sind". Seine Erfahrung ist, daß die meisten Leute für religiöse Dinge offen sind. Mitunter kommt es dann auch zu einem intensiven persönlichen Gespräch. "Der Urlaub ist ja eine Zeit, in der vieles von dem ins Bewußtsein kommt, was man sonst vielleicht verdrängt." Doch auch wenn ein solches Gespräch nicht zustande kommt, habe katholische Urlauberseelsorge in dieser Region ihren Sinn, denn: "Viele, die hierher kommen, glauben, daß es hier gar keine katholische Kirche gibt."
Ganz unbegründet ist dieser Eindruck nicht. Die nächste katholische Pfarrkirche befindet sich in Zittau. In den Gebirgsorten gibt es zwar sehenswerte evangelische Kirchen, aber die katholische Kirche hat nur zwei unscheinbare Kapellen, besser: größere Zimmer in zwei Häusern in Olbersdorf und Jonsdorf. Die Jonsdorfer Kapelle hat der Urlauberpfarrer zu Pfingsten wieder nutzbar gemacht. Fast zehn Jahre hat es hier keinen Gottesdienst gegeben. Jetzt lädt Pfarrer Johne regelmäßig in beiden Kapellen zu Begegnung, Gespräch und Abendgebet ein
Ein Blick auf die Faltblätter, die Pfarrer Johne macht und in den Kapellen, Touristen-Informationen, Hotels und Gaststätten auslegt, oder ein Blick in den örtlichen Veranstaltungskalender zeigen, welche Angebote der Urlauberseelsorger noch macht: "Leute treffen, Natur erleben, miteinander reden" heißt das Motto der Wanderungen, zu denen er einlädt. In Lichtbildervorträgen will er die Schönheit der Bergwelt zeigen oder über das Ordensleben informieren. Auf dem Berg Oybin befindet sich eine alte Klosterruine und in der Nähe die Klöster St. Marienthal und St. Marienstern. Und Pfarrer Johne hat noch eine ganze Menge Ideen: Wandern für Rentner, Kinder oder junge Familien, Video-Aufführungen mit anschließendem Gespräch, Einkehrtage oder Wanderwochen ... "Möglichkeiten gibt es viele, und ich bin erfinderisch!", sagt er. Entmutigten läßt sich Pfarrer Johne nicht, wenn einmal etwas nicht so klappt. Kommt keiner zu seiner Wanderung, "dann gehe ich halt alleine los - Urlauber fangen!"
Der Aufbau der Urlauberseelsorge ist für Pfarrer Johne eine sinnvolle Aufgabe: Er will katholische Kirche in der atheistischen Umgebung präsent machen. "Wir werden damit nicht die Kirche erneuern und es werden nicht alle gleich gute Christen werden, aber wir zeigen: Wir sind da!" Damit kommt er einem Anliegen seines Bischofs entgegen. Die Kirche muß nach draußen, zu den Menschen gehen, wünscht sich der Dresdner Bischof Joachim Reinelt. Deshalb ist Pfarrer Johne für alle da. Damit für die Nichtchristen die Hemmschwelle nicht zu groß ist, bietet er viele Veranstaltungen in nichtkirchlichen Räumen an, zum Beispiel im "Haus des Gastes" in Oybin oder im Kurpark-Pavillon in Jonsdorf
Bei den Fremdenverkehrsverbänden und Touristeninformationen hat Pfarrer Johne schnell offene Türen gefunden. Renate Burghardt, Leiterin der Touristen-Information und des "Hauses des Gastes" in Oybin, findet es "toll", daß es einen katholischen Urlauberseelsorger gibt. Zum einen sei das ein zusätzliches Angebot für die Urlauber, denn auf Pfarrer Johne stößt man beim Durchblättern des Veranstaltungsplans häufig. Zum anderen fragen immer wieder Gäste nach Gottesdienstzeiten. Und schließlich: "Irgendwie gehört es ja auch zum Urlaub, sich mit Kirche zu beschäftigen". In Oybin etwa ist ein Besuch der historischen evangelischen Bergkirche und der Klosterruine auf dem Berg Pflichtprogramm
Natürlich gibt es Anlaufschwierigkeiten, und beide Seiten - Tourismus-Verantwortliche und der Pfarrer - müssen noch ein bißchen experimentieren. So sollen jetzt die Wanderungen nicht mehr als "Wandern mit dem katholischen Urlauberseelsorger" angekündigt werden, sondern als "Wandern mit Pfarrer Johne". Das "katholisch" sei für machen vielleicht doch eine Hemmschwelle, sagt Frau Burghardt. Pfarrer Johne sei aber gerade jemand, der seine kirchliche Funktion nicht gleich in den Vordergrund drängt und vor allem sei er jemand, "mit dem man über alles sprechen kann". Sie hoffe, "daß die Kirche lange genug die Kraft hat, dieses Angebot auch durchzuhalten"
Die erste richtige Bewährungsprobe steht für Pfarrer Johne jetzt ins Haus. Wenn in Berlin und Brandenburg die Sommerferien losgehen, beginnt im Zittauer Gebirge die Hochsaison. Die rund 1100 Gästebetten in Oybin und Lückendorf sind dann gut belegt. Rund 100 000 Übernachtungen haben beide Orte im letzten Jahr gezählt, dazu kamen rund 300 000 Tagesgäste
Ein gutes Stück Arbeit liegt damit hinter den Tourismus-Verantwortlichen in der Region. 1989/90 war der DDR-Massentourismus zusammengebrochen. FDGB-, Betriebs- und Kinderferienheime wurden geschlossen. Inzwischen ist vieles in privater Hand, wurde umgebaut und neu eröffnet. Die Ortskerne wurden saniert, die Infrastruktur verbessert, 300 Kilometer Wanderwege teilweise neu gekennzeichnet und die Sehenswürdigkeiten, an denen 40 Jahre kaum etwas gemacht worden war, sind vor dem Verfall gerettet. Allein in den Erhalt von Kloster- und Burgruine auf dem Berg Oybin seien elf Millionen Mark geflossen, berichtet Frau Burghardt. Heute bietet das Zittauer Gebirge dem Urlauber alles, was er anderswo gewohnt ist: Minigolf- und Tennisplätze, Kurparks und Museen, Erlebnisbäder und Sommerrodelbahnen. Nur mit einer EC-Karte in Oybin an einem Automaten Geld abzuheben, das geht noch nicht, ärgert sich Frau Burghardt
Nicht nur Gelder von Bund, Land und Kommunen sind in die Region geflossen, sondern auch viel privates Geld und Engagement. Einer, der sich engagiert hat, ist Ullrich Grundmann. Auf dem 536 Meter hohen Nonnenfelsen betreibt er einen Berggasthof. Vor fast 150 Jahren war hier der erste Ausschank eröffnet worden. Immer wieder wechselten die Besitzer, häufig mußten sie wegen Geldsorgen aufgeben. 1990 wurde der Berggasthof geschlossen. Das Haus kam immer mehr herunter, drohte sogar auseinander zu brechen. Als Grundmann den Gasthof 1996 übernahm, "war das hier eine Ruine. Aber zu sehen, wie diese historische Gastwirtschaft verfiel, das hat mir einfach wehgetan."
Ullrich Grundmann gehört zu den Gastwirten der Region, die Pfarrer Johne regelmäßig besucht. In der Gaststube legt er 20 Exemplare seines Informationsblättchens aus. Und manchmal setzen sich Wirt und Pfarrer zusammen und überlegen gemeinsam, was man machen kann. Herausgekommen ist beispielsweise die Idee für einen Berggottesdienst am 11. Juli um 9 Uhr auf einer der Aussichtsterrassen der Gaststätte mit anschließendem Frühschoppen und Wanderangebot
Auch für eine andere Idee will Grundmann den Pfarrer gewinnen. Der Wirt plant, auf dem Nonnenfelsen eine kleine Grotte einzurichten - mit einem Kreuz, das der Pfarrer segnen soll. "Auf einen Berg gehört ein Kreuz", sagt Grundmann, der sich auch dafür engagiert, auf anderen Bergen wieder Kreuze aufzustellen. Auf die Frage nach dem Warum, erzählt er die Geschichte von einem erfahrenen Bergsteiger, der beim Klettern von einem Eisbrocken erschlagen wurde. "Wer in die Berge geht, kann die Risiken nie abschätzen. Hier oben ist man halt ein bißchen näher dran - am Kreuz!" Pfarrer Johne findet die Idee gut. Gemeinsam werden beide überlegen, wie das Kreuz für den Nonnenfelsen gestaltet werden kann. Zwar werden die Menschen sich nicht gleich bekehren, wenn sie das Kreuz sehen, sagt Pfarrer Johne. "Aber auseinandersetzen müssen sie sich damit."
Matthias Holluba
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.07.1999