SPD-Pläne verunsichern kirchliche Schulträger
Vor der Landtagswahl
Erfurt (ep) - Gewinnt die Thüringer SPD die Wahlen im September und verdrängt damit die CDU auch aus der Verantwortung für das Kultusministerium, bedeutet dies für den Schulbereich: In Thüringen wird in den Klassen 5 und 6 die Orientierungsphase zur schulformübergreifenden Orientierungsstufe ausgebaut, was möglicherweise ein 13. Schuljahr für Abiturienten zur Folge hat. Diese Umstrukturierung würde insbesondere bei Schulen in katholischer Trägerschaft auf Widerstand stoßen. Dies wurde einmal mehr bei einem schulpolitischen Gespräch deutlich, zu dem am 29. Juni die Leiter der Kontaktbüros der Katholischen und der Evangelischen Kirche zu Landtag und Landesregierung eingeladen hatten. Neben je einem Vertreter der in Thüringen engagierten Parteien nahmen daran zahlreiche Verantwortliche aus dem Bereich der konfessionellen Schulen sowie für den Religionsunterricht, kirchliche Verbandsvertreter, Eltern- und Schülersprecher und andere im Schulbereich Engagierte teil
Landtagsvizepräsident Hans-Jürgen Döring (SPD), Vorsitzender des Bildungsausschusses im Thüringer Landtag und potentieller Anwärter auf das Amt des Kultusministers, sprach sich im Bereich der Klassen 5 und 6 für den Ausbau der Orientierungsphase zur schulformübergreifenden Orientierungsstufe aus, wie es auch im SPD-Landtagswahlprogramm festgeschrieben ist. Zudem votierte er nachdrücklich für integrierende Schulformen und gegen das Nebeneinander "reiner Hauptschul- und Realschulklassen" an den Regelschulen. "Wir wollen, daß die Schüler in Klassenverbänden bleiben, aber dennoch teils differenziert lernen können." Bündnis 90 / Die Grünen, bei der Diskussion durch Carsten Meyer vertreten, plädiert für eine sechsjährige Grundschulzeit. Und auch die PDS, die an dem Gespräch durch Isolde Stangner beteiligt war, spricht in ihrem Wahlprogramm vom "gemeinsamen Lernen bis Klasse 6"
Wenn in den Klassen 5 und 6 eine Orientierungsstufe eingeführt würde, sei es eine "Frage des Verhandelns", was dies für die Schulen in freier Trägerschaft, also auch für die katholischen Schulen in Erfurt und Heiligenstadt, bedeuten würde, so Hans-Jürgen Döring auf Nachfrage. Eindeutiger äußerte sich dazu Carsten Meyer von Bündnis 90 / Die Grünen: "Wenn die sechsjährige Grundschule (die von Bündnis 90 / Die Grünen favorisiert wird) eingeführt würde, müßte diese selbstverständlich für alle Schulen in Thüringen gelten." Martin Fahnroth von der Schulabteilung im Bischöflichen Ordinariat Erfurt sieht in einem solchen Fall erhebliche Probleme auf die katholischen Schulen in Erfurt und Heiligenstadt zukommen: "Unsere Schulprofile sind auf das bisher in Thüringen geltende Schulsystem eingerichtet, zumal wir von dieser Konzeption pädagogisch überzeugt sind", sagt Fahnroth. Die Zahl und Auswahl der Lehrer sowie das Raumkonzept sei darauf ausgerichtet, mit der fünften Klasse zu beginnen. Außerdem zeige der Vergleich mit anderen Bundesländern, daß dieses Schulkonzept bei Eltern und Schülern klar im Vorteil sei. Fahnroth: "Im Fall einer Umstrukturierung würden wir gegen eine zwangsweise Angleichung der Schulen in freier Trägerschaft kämpfen", so der Leiter der Schulabteilung auf Anfrage des Tag des Herrn. Der Leiter des Katholischen Büros, Ordinariatsrat Winfried Weinrich, erinnerte während der Diskussion daran, daß es im Ringen um angemessene Schulstrukturen immer wieder zwei Aspekte "auszubalancieren" gelte: "Ausreichende Differenzierung, um den unterschiedlichen Begabungen und Neigungen der Schüler und ihrer individuellen Entfaltung gerecht zu werden" (Nagelprobe für Schulmodelle, die der Integration unterschiedlicher Schulformen den Vorzug geben) und "ausreichende Durchlässigkeit, die prinzipiell von jeder Schule und Schulart aus zusätzliche weiterführende Abschlüsse und Qualifikationen erreichen läßt" (Nagelprobe für das gegliederte Schulsystem)
Thüringens Kultusminister Dieter Althaus (CDU) will am Zugang zum Gymnasium ab Klasse 5 und am mehrgliedrigen Schulsystem festhalten. Zudem dürfte am Leistungsniveau der Regelschulen und Gymnasien keinesfalls Abstriche gemacht werden. Es gebe keinen wissenschaftlichen Nachweis dafür, daß es für die Schüler sinnvoller ist, sich erst in der siebten Klasse für das Gymnasium oder andere Bildungswege zu entscheiden, so der Minister. Nur bei vier bis fünf Prozent der Kinder sei am Ende der vierten Klasse nicht klar, welche Schulform für sie die bessere ist. Auch der stellvertretende Landesvorsitzende der F.D.P., Andreas Möller, sprach sich "eindeutig" gegen die sechsjährige Orientierungsstufe aus, "weil sie ein 13. Schuljahr bedeutet", was angesichts der internationalen Wettbewerbssituation nicht zu verantworten sei
Klar positionierte sich der Katholik Althaus auch hinsichtlich der Schulen in kirchlicher Trägerschaft: "Schulen in christlicher Trägerschaft haben einen deutlichen Vorteil gegenüber den anderen Schulen: Sie haben ein klares geistiges und geistliches Profil." Auch Hans-Jürgen Dö-ring, ebenfalls katholischer Christ, tritt dafür ein, "kirchliche Schulen weiter zu fördern" F.D.P. und Bündnis 90 / Die Grünen stehen Schulen in freier Trägerschaft ebenfalls grundsätzlich positiv gegenüber, wobei alle Träger gleichberechtigt zu behandeln seien. Die Vertreterin der PDS, Frau Stangner, von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, sagte: "Ich würde mich für die Fortsetzung einer Förderung kirchlicher Schulen einsetzen, wenn dafür ein Bedarf und ein entsprechender Elternwille vorhanden wäre." Andernfalls wäre es undemokratisch gegenüber einer nichtchristlichen Mehrheit
Kultusminster Althaus sprach sich für die Beibehaltung des konfessionellen Religionsunterrichts und des Ethikunterrichts aus. Nur wer als Christ seine eigene Konfession kenne, könne die Ökumene befördern. Angesichts der Diaspora-Situation und erheblich zurückgehender Schülerzahlen versprach Althaus: "Für mich und die CDU ist ganz klar: Wir wollen auch neue Wege gehen, um an der Grundsatzentscheidung für den konfessionellen schulischen Religionsunterricht weiter festhalten zu können". Der Minister verwies in diesem Zusammenhang auf ein im neuen Schuljahr in der ostthüringischen Diaspora beginnendes Modellprojekt, das monatlich einmal am Samstag schulischen Religionsunterricht und gemeindliche Kinderarbeit verbinden wird. Hans-Jürgen Döring plädiert seitens der Thüringer SPD für eine Werteerziehung sowohl im Religionsunterricht für die christlichen als auch im Ethikunterricht für die nichtkonfessionellen Schüler. Hinsichtlich des konfessionellen Religionsunterrichts sei eine "gewisse Kooperation nötig", so der SPD-Vertreter. Carsten Meyer von Bündnis 90 / Die Grünen sagte, die Kirche müsse selbst entscheiden, ob es für ihre "Profilierung" besser sei, Religionsunterricht konfessionell oder ökumenisch anzubieten. "Unbestritten" sei, daß den Kindern Werte vermittelt werden müßten. Angesichts dieser zu lösenden Aufgabe sollte man den "Richtungsstreit", ob Religion und Ethik oder das in Brandenburg für alle Kinder verbindliche Fach "Lebensgestaltung, Ethik, Religionskunde" die bessere Lösung seien, "nicht so hoch hängen", so Meyer. Und auch die Thüringer F.D.P. hat mit der derzeitigen Praxis von Religions- und Ethikunterricht in der Schule keine Probleme
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 11.07.1999