Aus der Region
Liturgiker Kranemann für einladende Gottesdienstformen
Interview
Seelsorger und Gemeinden müssen sich noch viel stärker um Gottesdienstformen mühen, die auch der Kirche Fernstehende und Nichtchristen ansprechen. Dafür hat der Erfurter Liturgiker Benedikt Kranemann (39) bei seiner Antrittsvorlesung plädiert. Der Tag des Herrn sprach mit dem Nachfolger von Dozent Franz Schneider an der Theologischen Fakultät Erfurt:
Herr Professor Kranemann, im Erfurter Mariendom fand in diesem Jahr zum zweiten Mal eine Lebenswendefeier für nichtchristliche Jugendliche statt. Was halten sie als Liturgiker davon?
Diese Feiern sind ein mutiger Schritt, der in die richtige Richtung weist. Wir sollten uns als Gemeinden viel mehr um die Entwicklung von Feiern für fernstehende und ungetaufte Mitmenschen mühen. Seit Jahren geschieht dies in Erfurt auch mit dem nächtlichen Weihnachtslob am Heiligabend im Dom. Denn unsere Gottesdienstpraxis ist zur Zeit viel zu sehr auf die Feier der Eucharistie konzentriert. Doch die heilige Messe als "Gipfel und Quelle" kirchlichen Lebens, wie das Vaticanum II sagt, kann letztlich nicht die einzige Gottesdienstform sein.
Welche Möglichkeiten sehen Sie?
Ich denke etwa an einfache Formen des Psalmengebetes verbunden mit einem anderen Schrifttext und einem Lied. Selbst die liturgische Form der Vesper ist vielleicht noch zu anspruchsvoll. Ich denke auch an kirchenmusikalische Feiern mit wortgottesdienstlichen Elementen, wie sie teilweise in Kirchen der Großstädte angeboten werden. Und ich frage, ob es bei den priesterlosen Sonntagsgottesdiensten reicht, auf den Wortgottesdienst der Messe zurückzugreifen. Wir sollten dafür neue liturgische Formen entwickeln.
Stellen Sie als gebürtiger Westdeutscher Unterschiede bei der liturgischen Praxis in den alten und den neuen Bundesländern fest?
Ich habe den Eindruck, daß sich die Gemeinden hier stärker selbst als die Träger der Liturgie verstehen und auch Gottesdienste mitgestalten. Mir scheint auch, daß für die Katholiken hier Liturgie und Gemeindeleben viel selbstverständlicher zusammengehören.
Wie muß ein Gottesdienst aussehen, damit sich möglichst viele Menschen darin Zuhause fühlen können?
Es braucht eine Liturgie, die nicht nur in Großformen gefeiert wird. Notwendig ist eine verständliche Sprache. Es wäre zum Beispiel denkbar, daß Tages-, Gaben- und Schlußgebet inhaltlich im Meßbuch vorgegeben sind, aber mit eigenen Worten formuliert werden könnten, wie dies jetzt schon für Kindergottesdienste und Gruppenmessen möglich ist. Zeichen, die ohnehin zum Gottesdienst gehören, sollten zum Tragen kommen, etwa, in dem die Gläubigen zur Kommunion unter beiden Gestalten eingeladen sind oder Zeichen wie Wasser, Weihrauch, Licht wiederentdeckt werden. Wichtig sind aber auch vielfältige Formen der Kirchenmusik und die angemessene Gestaltung der liturgischen Räume.
Interview: Eckhard Pohl
Dieser Beitrag wurde veröffentlicht in Ausgabe 28 des 49. Jahrgangs (im Jahr 1999).
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.07.1999
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.07.1999