Katharina von Bora wollte frei über ihr Leben bestimmen
Auf den Spuren großer Frauen (Teil zwei)
"Konnte die Kranke noch einmal aufstehen, ein paar Schritte laufen, sich an den Tisch setzen, Briefe schreiben? Erschien ihr, als ihr am allerbängsten um das Herze war und Trübsal und Verzweiflung überhandnehmen wollten, der zum Bilde, den Martin in die Kirche zurückholen wollte? Margarethe drückte ihr die Augen zu. Zog ihr den Ring vom Finger. Vorbei die Lähme, die Wehtage. Die Sterbeglocke läutete." So die Schriftstellerin Eva Zeller in ihrem 1996 erschienenen Buch "Die Lutherin", in dem sie versucht, mit Katharina Luther ins Gespräch zu kommen. Die von Eva Zeller gestellten Fragen können nicht beantwortet werden, sie stellen sich vielmehr bei manchem Besucher der Katharina-Luther-Stube in Torgau immer wieder neu und anders. Mit den zwei kleinen Gedenkräumen im Sterbehaus der Katharina Luther entstand im September 1996 in Torgau eine reformationsgeschichtlichen Gedenkstätte, die den Menschen in den Mittelpunkt rückt, der an Luthers Seite lebte
Daß Katharina aber viel mehr ist als nur Luthers Frau, dies ist eine Erfahrung, die viele Menschen nach intensiver Beschäftigung mit ihrem Leben erfahren. So Valko Kretzschmar, der die Besucher der Stube mit einer Kollegin betreut. Er sagt: "Sie war eine eigenständige Persönlichkeit neben Martin Luther." Dabei verweist Valko Kretzsch-mar auf die vielseitigen Begabungen der Katharina Luther, die unter anderem mit dem "Schwarzen Kloster" in Wittenberg und den Gütern und Ländereinen ein großes Unternehmen leitete
Geboren wurde Katharina von Bora - so der Mädchenname - am 29. Januar 1499 südlich von Leipzig. 1505 kam sie in das Kloster Brehna, 1509 ins Zisterzienserinnenkloster Marienthron in Nimbschen bei Grimma - einige Ruinen haben sich bis heute erhalten. In Marienthron kam Katharina mit den Gedanken und Schriften Martin Luthers in Berührung. In der Nacht vom 6. auf den 7. April 1523 fliehen Katharina und neun weitere Nonnen mit Hilfe des Torgauer Ratsherrn Leonhard Koppe über Torgau nach Wittenberg. Die romantisierende Variante der Fluchtgeschichte von den Nonnen in den Heringsfässern ist jedoch Legende. Übrigens findet der Besucher Torgaus noch heute das Wohnhaus Leonhard Koppes, ein Wegweiser ist in der Katharina-Luther-Stube erhältlich
In Wittenberg lebt Katharina vermutlich zunächst bei der Familie Cranach. Alle der mit Katharina geflohenen Nonnen heiraten in kurzer Zeit, leben wieder in einem sicheren Stand. Nur Katharina blieb allein und wurde zu einem Wittenberger Stadtgespräch, das auch die Reformatoren beschäftigte. Nach einer kurzen "Liebelei" mit Hieronymus Baumgartner - den Luther drängte, die Bora zu heiraten - kam als neuer Ehepartner ein Kaspar Glatz ins Gespräch. Der Leiter der Wittenberger Lutherhalle, Martin Treu, zitiert in diesem Zusammenhang in seiner Katharina-Biographie Luther. Dieser antwortete auf den Einwurf von Nikolaus Amsdorf, die Bora "würde den alten Geizhals nicht lieben" mit den Worten: "Welcher Teufel will sie denn haben. Mag sie den nicht, so mag sie noch eine Weile auf einen anderen warten." Jedenfalls betonte Katharina wiederum gegenüber Amsdorf ihre Abneigung gegen Glatz. Und, so Martin Treu in seiner Biographie weiter: "... wenn es nicht anders ginge, dann" wolle sie "ihn selber (Amsdorf) oder Martin Luther" heiraten. Luther selbst bezieht sich später in seinen Tischgesprächen auf diese Zeit: "Wenn ich vor vierzehn Jahren hätte heiraten wollen, dann hätte ich mir Ave von Schönfeld, die jetzige Frau des Blasius Axt, ausgesucht. Die meine habe ich (damals) gar nicht geliebt; ich hatte sie immer im Verdacht, sie sei hochmütig." Diese Zeilen verweisen auf die Selbständigkeit Katharinas, die eigenverantwortlich und frei über ihr Leben bestimmen will - für die damalige Zeit eine ungewöhnliche Haltung. Schließlich heiraten Luther und Katharina am 13. Juni 1525. Ob es bei beiden schon damals die große Liebe war, ist fraglich, jedenfalls ist klar, sie wurde es. Dazu noch einmal Luther in zwei seiner brieflichen Anreden: "Meine liebe Käthe" und "Meiner herzlieben Hausfrau Katharin Lutherin zu Wittenberg"
Bleibt die Frage, was Katharina Luther für katholische Christen bedeuten kann. Oft steht noch der Vorwurf von der Klosterflucht, dem gebrochenen Gelübde im Raum. Doch sollte nicht vergessen werden, Katharina entschloß sich nicht freiwillig für ein Leben mit Gott hinter Klostermauern, sie entschloß sich jedoch ganz frei für ein Leben mit Gott inmitten einer Familie. Und gerade dieses Thema ist heute aktueller denn je
Holger Jakobi
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 18.07.1999