Familienbildung kaum im Blick der Parteien
Landtagswahl
Erfurt - Fragen der Familien- und der Jugendpolitik, der Unterstützung freier Träger von Jugendarbeit und Betreuungs- und Beratungsangeboten sowie die Förderung des Ehrenamts waren Themen eines Gesprächs zwischen Vertretern der katholischen / christlichen Verbände und der in Thüringen engagierten Parteien CDU, SPD, Bündnis 90 / Die Grünen, F.D.P. und PDS. Zu dem bewußt im Vorfeld der Landtagswahl angesetzten Treffen hatte der Leiter des Katholischen Büros, Ordinariatsrat Winfried Weinrich, am 13. Juli in die Bildungsstätte St. Martin eingeladen. Weinrich übernahm auch die Moderation
Kurt Herzberg, Geschäftsführer des Familienbundes im Bistum Erfurt beklagte, daß in den Wahlprogrammen der bei dem Gespräch vertretenen Parteien "Familie" keine Rolle spielt. "Die Familie ist der Raum, in dem junge Menschen zu allererst Werte erleben und erlernen", so Herzberg. Über 80 Prozent aller Kinder lebten bei verheirateten Eltern. Doch Familie zu sein und Kinder zu erziehen, werde kaum irgendwo vermittelt und die Eltern "ganz normaler Familien" fühlten sich oft mit ihrer Aufgabe überfordert, so Herzberg. Anliegen des Katholischen Familienbundes, aber auch anderer Verbände sei es, "den Eltern zu helfen, ihre Kinder kompetenter zu erziehen und familiäre Verhaltensweisen zu reflektieren"
Doch von Seiten der Parteien gibt "es wenig politischen Willen, Familien in diesem Sinne zu stärken", so Herzberg. Familienpolitik werde nur als ein finanzielles Problem der Transferleistungen des Staates an die Familien gesehen (Erziehungsgeld, Kindergeld ...)
Dabei sei die inhaltliche Stärkung der "Eigenkraft der Familien" für die Gesellschaft eminent wichtig und die "beste Prävention". "Denn die Folgekosten für nicht erfolgte Sozialisation von Menschen sind immer höher", so Herzberg. Dem stehe entgegen, daß die Fördermittel für diese Aufgaben im Freistaat Thüringen von Jahr zu Jahr von 750 000 Mark im Jahr 1992 auf 385 000 Mark im vergangenen Jahr reduziert wurden
Die Vertreter aller Parteien räumten entsprechende Defizite ein, wiesen allerdings darauf hin, daß "nicht alles, was nicht im Wahlprogramm steht, unwichtig ist", wie es der stellvertretende F.D.P.-Landesvorsitzende Andreas Möller formulierte. Der "Zweck einer Familie, soziale Sicherheit zu geben", so Möller weiter, werde "immer mehr aufgebrochen". Zudem gelte es einzugestehen, daß es die klassischen Familien gar nicht mehr so häufig gebe. In diesem Zusammenhang zeigten sich Möller und die Vertreter der meisten anderen Parteien über die von Kurt Herzberg vorgelegte Zahl von über 80 Prozent in Familien aufwachsenden Kindern skeptisch erstaunt. Der Staat, so Möller, müsse zum Beispiel auch die gleichgeschlechtlichen Paare, die Kinder erziehen möchten, berücksichtigen. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU im Thüringer Landtag, Johanna Arenhövel, räumte ein, daß der entsprechende Haushaltstitel zur Förderung von Familienbildung in den zurückliegenden Jahren massiv gekürzt wurde, und sprach von "einer traurigen Bilanz", die "nicht hinnehmbar" sei. Zudem sagte sie zu, daß - vorausgesetzt die CDU bleibe in der Regierungsverantwortung - ihre Partei in Zusammenarbeit mit den Kommunen dafür sorgen werde, daß die Kindertagesstätten in öffentlicher Trägerschaft in einen "ordentlichen Zustand kommen"
Die PDS-Fraktionsvorsitzende Brigitte Klaubert wies darauf hin, daß Familienpolitik eine komplexe Angelegenheit sei und auch Bereiche wie "Arbeiten, Wohnen, Vereinbarkeit von Arbeit und Familie" berücksichtigen müsse. Zugleich fragte sie an, inwieweit Familie heute noch ihre Aufgaben leistet. Die Landessprecherin von Bündnis 90 / Die Grünen, Anne Voß, die um sehr ehrliche Antworten bemüht war, wie auch Ordinariatsrat Weinrich feststellte, räumte ein: "Wir sind in unserem Programm davon ausgegangen, daß Familien in der überkommenen Form kaum noch existieren." Wertevermittlung müsse nach Ansicht ihrer Partei deshalb vor allem außerhalb der Familie stattfinden. "Deshalb stehen wir für eine sechsjährige Grundschule und setzen auf Kinder- und Jugendpolitik", so Frau Voß. Beruf und Familie seien ihres Erachtens nicht miteinander vereinbar, zumal in den unteren Gehaltsklassen beide Partner arbeiten müßten, um finanziell über die Runden zu kommen. Im übrigen frage sie, was denn die Kirche unter zu fördernden Familien verstehe. "Wenn eine Familie sich entscheidet, nicht zusammenzuleben, so ist das für mich auch normal, oder wenn Männer allein Kinder erziehen", so Frau Voß. Für den stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Günter Pohl müssen Familie und Beruf vereinbar bleiben. Er sieht es als Aufgabe des Landes an, die Familien-, Ehe- und Sexualberatungsstellen zu erhalten, um so Hilfe anzubieten
Die Vertreter aller Parteien zeigten sich grundsätzlich der Forderung nach einer Stärkung des Ehrenamtes, wie sie zum wiederholten Mal Diözesan-Caritasdirektor Bruno Heller vortrug, aufgeschlossen gegenüber, machten aber zugleich Bedenken deutlich, da nicht nur Menschen im Umfeld der Sozialverbände, sondern etwa auch zahlreiche Bürger in den Sportverbänden oder bei der Freiwilligen Feuerwehr ehrenamtliche Arbeit leisteten und dann auch berücksichtigt werden müßten. In Thüringen liegt seit mehreren Jahren ein Entwurf für ein Ehrenamtsgesetz in der Schublade. Eine Entscheidung darüber wurde aber immer wieder vertagt
Eckhard Pohl
Aufgenommen in die Online-Ausgabe: Sonntag, 01.08.1999